Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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Freundes sichtlich schockiert. Nur Vincent verstand die Aufregung nicht, da er die Empörung seiner Freunde nicht nachvollziehen konnte.

      „Ihr tut ja alle so, als wäre ein Q etwas Unanständiges“, runzelte er seine Stirn und warf einen verwunderten Blick in die Runde.

      „Als Q bezeichnet zu werden, ist mehr als unanständig!“, stellte Filomena klar. „Ein Q ist ein ganz gemeines Schimpfwort, eine unerhörte Beleidigung und bedeutet soviel wie Null mit Schwänzchen“, erklärte Filomena bestürzt, während sie reglos neben dem Maler stand und Pilobolus entsetzt anstarrte. Nun waren alle Chancen, eine Koloritkarte zu erhalten, vertan, und diese Tatsache erzürnte sie sehr.

      „Ihr scheint mir hier alle ein wenig unverträglich zu sein“, stellte Vincent fest.

      „Das war nicht immer so“, versuchte sich Filomena zu entschuldigen. „Kolorien war lange Zeit ein Paradies der Farben und Harmonie. Streit und Zwietracht kannten wir lediglich aus Büchern. Doch seit Monotonia uns ihre Herrschaft aufgezwungen hat, ist es grau und kalt bei uns geworden, leider auch in den Herzen der Bewohner. Der Hass zieht auf und mit ihm Hader und Zwietracht, und wo immer sie auftreten, zerstören sie unser Land.“

      Filomena drehte schnell ihren Kopf zur Seite, damit Vincent nicht sah, wie sie zu tropfen begann. Es entging ihm dennoch nicht, weshalb er ihr schnell sein Taschentuch reichte und sah, wie sie ihr Näschen säuberte.

      „Geht’s wieder?“, fragte er mitfühlend, während sie sich schnell ein paar Tröpfchen aus dem Gesichtchen wischte.

      „Mhm“, versicherte sie ihm, obwohl ihre geröteten Augen sie Lügen straften.

      „Sie hat leider recht“, seufzte das Erdhörnchen. „Wir liegen uns tatsächlich viel zu oft im Pelz und das wegen jeder Kleinigkeit, obwohl wir unsere Zeit viel sinnvoller nützen sollten.“

      „Hört, hört!“, sah Huf Farballa auf und warf dem Hörnchen einen hoffnungsvollen Blick zu.

      „Deswegen werde ich dem Einfaltspinsel da drüben auch das Q nachsehen, da wir trotz allem auf derselben Seite stehen.“

      „Ich stehe mit niemandem auf derselben Seite, der mich einen Einfaltspinsel nennt“, brauste Pilo auf, „du ...“, doch bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte, wurde ihm von Filomena die Hand vor seinem Mund gehalten. „Du nachsichtigstes aller Farbhörnchen“, schmeichelte sie dem Tier und trat dem Pinsel in die Borsten.

      „Aua!“, beschwerte sich dieser und warf der Zeichenfeder einen schmerzerfüllten Blick zu. „Steckst du mit dem da unter einer Tube?“, raunte er so leise, dass nur sie es hören konnte.

      „Wieso, weil er dich einen Einfaltspinsel genannt hat?“, lächelte die Zeichenfeder verschmitzt. „Dafür muss ich mich mit niemandem in einer Tube stecken, sondern dir einfach ein paar Minuten zuhören!“

      „Frechheit!“, schnaubte der Pinsel, während er nach einer gebührenden Antwort suchte.

      „Reg dich ab“, zwinkerte sie ihm zu. „Hab’s nicht so gemeint.“

      „Hast du doch!“, seufzte Pilo gekränkt.

      „Lässt ihr uns an eurem Schwätzchen teilhaben oder ist das eine Party für zwei?“, mischte sich Barock in das Geflüster der beiden ein.

      „Nein, ist es nicht!“, erwiderte die Feder, während alle Blicke neugierig auf ihr ruhten. „Wir ...“

      „Wir haben uns lediglich gefragt, ob es wohl möglich wäre, einen Blick auf eine Karte zu werfen, die 111 gar nicht besitzt“, fiel ihr der Malpinsel schnell ins Wort, und erhielt von Filomena prompt einen weiteren Stoß in seine Seite. Nun wanderten alle Blicke zum Farbhörnchen und ein jeder der Anwesenden wartete gespannt, wie es wohl reagieren würde.

      „Einen Blick kannst du darauf werfen“, bot das rote Tier zu seinem maßlosen Erstaunen an. „Aber mehr nicht. Da diese Karte viel zu kostbar ist. Und keine faulen Tricks. So schlau wie ihr Borstenpinsel sind wir Brafhörnchen schon lange!“

      Pilobolus starrte das Hörnchen einen Augenblick lang mit offenem Mund an, da er sein Glück kaum fassen konnte. Auch Huf Farballa glaubte, sich verhört zu haben. Dann ertönte unvermittelt ein schriller Pfeifton, worauf die beiden anderen Hörnchen ebenfalls ihre drolligen Schnäuzchen aus dem Boden steckten.

      „!etraktiroloK eid tloh ettiB“, trug Sagittarius den beiden Hörnchen auf, während sein Auge wachsam die Umgebung absuchte. Das grüne Farbhörnchen sah 111 verdutzt an und auch sein Freund schüttelte ungläubig seinen Kopf. „?nerolrev dnatsreV nenies gitlügdne tztej Etor red taH?, fragte es das grüne Hörnchen außer sich.

      „!thcin re taH“, erwiderte Sagittarius leicht verärgert, worauf die Köpfe sofort in der Erde verschwanden, um ein paar Sekunden später wieder mit einer geheimnisvoll schimmernden Rolle aufzutauchen. Abermals ertönte ein kurzes Pfeifen, worauf die Karte durch die Luft flog und wie von einem Magneten angezogen geradewegs in Sagittarius Pfote landete.

      Alle Blicke ruhten nun gespannt auf der Karte, die Vincents Meinung nach Ähnlichkeit mit Papyrus hatte, jedoch irgendwie seltsam leuchtete.

      „Bitte sehr – ein Blick und nicht mehr!“, raunte Sagittarius und rollte das ungewöhnlich schimmernde Stück in seiner Pfote auf, worauf sich ein ehrfürchtiges Staunen in den Gesichtern der Freunde abzeichnete.

      „Ich werd’ verrückt!“, rief Barock wie vom Donner gerührt und ignorierte den Anflug von Nervosität, die seine Blätter erfasst hatte.

      „Mir fliegen gleich die Borsten weg!“, stammelte Pilobolus und starrte wie vom Blitz getroffen auf die Karte vor ihm. Auch das Regenbogenpferd war dermaßen von den Hufen, dass es keinen Wieher hervorbrachte. Genau wie Filomena, der beim Anblick der Karte leicht schwindelte. Selbst Vincents Herz hörte einen Moment auf zu schlagen, so dass ihm das Atmen ein wenig schwer fiel, obwohl er nicht hätte sagen können, warum.

      „Diese Karte wurde aus Kolorit gefertigt“, meinte der Zeichenblock ehrfurchtsvoll und sah Sagittarius völlig aus dem Häuschen an. „Ich dachte, solche Karten gäbe es gar nicht mehr und sie wären lediglich ein Mythos.“

      „Das ganze Land ist ein Mythos“, lächelte das rote Farbhörnchen, doch es lag eine gewisse Traurigkeit darin.

      „Was ist Kolorit?“, runzelte Vincent seine Stirn und kam sich wie das berühmte fünfte Rad am Wagen vorkam.

      „Kolorit ist etwas ganz Besonderes!“, geriet Barock in Verzückung. „Es ist Licht gewordene Farbe“, schwärmte Filomena. „Und Farbe gewordenes Licht!“, lächelte Pilobolus verklärt und verneigte sich verspielt vor der Zeichenfeder, worauf sie ihm sanft ihre Hand auf seinen Arm legte und sich mit einer kühnen Halbwärtsdrehung in seine Arme ziehen ließ. Dann begannen sich die beiden zu drehen und ein Lied zu singen, in das auch Huf und Sagittarius freudig einstimmten:

      Kolorit, Kolorit,

      ist bei uns ein großer Hit,

      sorgt für Stimmung, pure Wonne,

      gleißt viel heller als die Sonne

      und hält jede Zeichnung fit.

      Kolorit, Kolorit,

      gänzt und glitzert, lässt dich schweben,

      freudig zittern und erbeben,

      ist wie Farbendynamit

      Kolorit, Kolorit, Kolorit.

      Nagen an dir Sorgen

      und die Zukunftsangst von morgen

      weißt du vor Kummer nicht mehr ein

      und nicht mehr aus.

      Quälen dich gar fürchterliche Schmerzen,

      brennt die Schmach tief drin in deinem Herzen,

      darfst du am Leide nicht verzagen,

      denn es ist alles zu ertragen,

      mit Kolorit, Kolorit, Kolorit.

      Kolorit,