Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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nein!“, schüttelte Vincent seinen Kopf und musterte den Hüpfer von Kopf bis Fuß. Zappel trug blaue Schuhe und eine gelbe Hose. Sein Hemdchen war mit unzähligen, lustigen Farbtupfern übersät, und auf seinem Kopf saß eine gepunktete Streifenmütze mit orangen Quasten.

      „Wir brauchen deine Hilfe!“, teilte ihm Farbenfein mit. „Ein Antimago hat sich unerlaubt einer Koloritkarte der Brafhörnchen bemächtigt.“

      „Von wegen bemächtigt!“, gummelte Pilobolus. „Gestohlen hat er sie, der gemeine Dieb!“

      „Pilo!“, warf das Mädchen einen tadelnden Blick auf den Malpinsel. „Bin ja schon still“, brummte er mufflig und starrte auf den Boden.

      „Nicht zufällig diese“, lächelte das Federmännchen schelmisch und zog eine schimmernde Koloritkarte aus seiner Hosentasche hervor.

      Pilobolus hob augenblicklich seinen Kopf und starrte fassungslos auf die Koloritkarte. Auch Sagittarius blickte das Federmännchen aus tellergroßen Augen an.

      „Du bist der Größte“, lobte ihn 111.

      „Ich weiß“, grinste Zappel, ohne von sich eingenommen zu wirken.

      „Wie hast du das gemacht?“, erkundigte sich das Hörnchen völlig aus dem Häuschen und setzte sich auf seine Hinterbeine.

      „Berufsgeheimnis“, erwiderte das Federmännchen und überreichte 111 die Karte. „Ich rate dir, künftig besser darauf aufzupassen, da ich nicht immer in der Nähe bin, um mich mit Antimagos anzulegen“, raunte er dem Hörnchen zu, welches die Karte sogleich beschämt in Verwahrung nahm. 111 war überglücklich, das wertvolle Stück wieder in seinen Pfoten zu halten und machte sogleich Anstalten, damit in der Erde zu verschwinden, worauf es kurz von Farbenfein zurückgerufen wurde.

      „Wir müssen die Karte duplizieren, bevor du sie in Sicherheit bringst“, wies sie das Hörnchen an. Abermals riss Sagittarius seine Augen weit auf. „Duplizieren? Darunter wird aber deren Qualität sehr leiden!“, knirschte er mit seinen Zähnen, weil ihm Farbenfeins Vorschlag nicht sonderlich behagte. „Möglich“, erwiderte sie, „doch dieses Risiko werden wir eingehen. „Vincent braucht eine Karte, um sich orientieren zu können.“

      „Der Märchenmaler soll dich lieber malen, dann projizierst du dich in sein Bild und bist wieder die, die du bist!“, machte das Hörnchen schnell einen Gegenvorschlag, da es die Karte ungern ein zweites Mal aus der Pfote gab.

      „Vincent wird mich malen, wenn die Zeit dafür gekommen ist“, ließ Farbenfein ihn sanft wissen. „Bis dahin braucht er deine Unterstützung!“

      Das Farbhörnchen blickte die Hüterin der Farben widerwillig an und registrierte ein wissendes Lächeln auf ihren Lippen, das ihre Augen widerspiegelten.

      „Wenn du meinst!“, lenkte es ein und warf die Karte blitzschnell in die Luft. Kurz darauf ertönte ein ohrenbetäubender Knall und Vincent glaubte, die Karte würde explodieren. Doch sie detonierte nicht, zerfiel vielmehr in zwei Teile, wovon einer von Sagittarius Pfote aufgefangen wurde und der andere direkt in seinen Händen landete.

      „Hüte sie wie deinen Augenapfel!“, rief Farbenfein ihm zu und erstarrte plötzlich mitten in ihrer Bewegung. „meine Kräfte … ich muss weg!“, flüsterte sie und ihre Augen schimmerten traurig. „Warte!“, rief Vincent „ich komme mit dir!“

      „Das ist ...“ ihre Stimme erstarb und ihr Bild verflüchtigte sich wie Nebelschleier.

      „Unmöglich“, beendete Pilobolus ihren Satz und klopfte Vincent bekümmert auf die Schulter. Der junge Mann drehte seinen Kopf schnell zur Seite. „Warum? Sie ist doch eine Zeichnung wie ich, oder nicht?

      „Nein“, beantwortete Barock seine Frage.

      „Nein?“, bedachte der Maler seinen Zeichenblock mit einem verständnislosen Blick.

      „Sie ist … sie ist mehr ein Bild von einem Bild“, versuchte Barock zu erklären, „gewissermaßen eine Projektion ihrer selbst!“

      „Was! Sie ist eine optische Täuschung?“, rief Vincent außer sich und starrte seinen Block ungläubig an.

      „Nein, nein“, erwiderte Barock. „Farbenfein ist keine optische Täuschung! Es gibt sie wirklich, und sie wird in Tristesse gefangen gehalten! Das, was du von ihr jedoch gesehen hast, war nicht sie, sondern lediglich eine von ihr geschaffene Projektion. Die Herrin von Kolorien besitzt nämlich trotz ihrer Gefangenschaft noch immer die Fähigkeit, sich an jeden beliebigen Ort zu projizieren, um mit ihrer Umwelt Kontakt aufzunehmen. Genau das hat sie gerade gemacht.“

      „Sich projiziert?“, murmelte Vincent fassungslos und hob eine Augenbraue.

      „Richtig“, wurde ihm von Pilo bestätigt. „In Wirklichkeit ist sie viel strahlender, Vince, als du dir in deinen schönsten Träumen ausmalen kannst. Wenn du sie nur sehen könntest!“, geriet der Pinsel ins Schwärmen. Ein langer Augenblick verstrich. Vincent konnte sich kaum vorstellen, dass Farbenfein noch bezaubernder war, als sie es ohnehin aussah, und bei dem Gedanken an das Mädchen umspielte ein leises Lächeln seine Lippen.

      „He, Vincent, starren wir weiterhin Löcher in die Luft oder bewegen wir unsere Borsten, um Ihre Lieblichkeit aus Tristesse zu befreien!“, holte ihn Pilobolus aus seinen Gedanken. Der Maler bemühte sich schnell, eine ernste Miene aufzusetzen, um sich nicht zu verraten. „Selbstverständlich machen wir uns auf den Weg, um Farbenfein befreien“, antwortete er, wobei er sich Mühe gab, die Freude, die allein ihr Name in ihm hervorrief, vor den anderen zu verbergen.

      „Kommst du mit?“, fragte der Borstenpinsel das Federmännchen.

      „Wohin?“, wollte Zappel wissen.

      „Nach Tristesse!“, erwiderte Pilo mit unbewegtem Gesicht.

      „Nein“, schüttelte das Federmännchen seinen Kopf, und es war ihm deutlich anzusehen, dass er allein bei der Erwähnung der grauen Festung am liebsten davon gehüpft wäre.

      „Warum nicht?“, bohrte Pilo nach.

      „Weil ich ein Federmännchen und kein Kamikazeflieger bin. Ich besitze nichts außer meinem Leben und möchte dieses unbedingt noch ein Weilchen behalten!“, erwiderte es entschienden.

      „Du hast Angst!“, stellte Vincent fest, worauf ihn Zappel ansah, als hätte er gerade eine ansteckende Krankheit an ihm entdeckt.

      „Ja, ich habe Angst!“, flüsterte er mit zögernder Stimme. „Kein Federmännchen gibt das gern zu. „Aber ich habe tatsächlich große Angst!“

      „Ich auch!“, gestand der Märchenmaler. „Vielleicht wäre es klüger, nach Belle Couleur zu gehen, um Huf Farballa zu unterstützen und anschließend seinen Rat einzuholen, wie es weitergehen soll“, dachte der junge Mann laut.

      „Nein, ist es nicht!“, rief Sagittarius und der Maler sah, wie die dunklen Augen des Tieres einen seltsamen Glanz annahmen. „Es gehört Mut dazu, unbequeme Wege zu beschreiten. Viele vermeiden sie, da sie eine unliebsame Auseinandersetzung mit sich selbst scheuen und ihren Ängsten und Verlegenheiten lieber ausweichen. Aber im Angesicht der Furcht liegt auch unsere Heilung von ihr“, meinte das Farbhörnchen rätselhaft. „Lass dich nicht von deinem Weg abbringen, Märchenmaler! Nichts schlägt so stark wie das Herz eines Mutigen!“

      „Fragt sich nur, wie lange!“, gab Zappel mit einem schnellen Seitenblick auf Vincent zu bedenken, obwohl er es mittlerweile gründlich satt hatte, ständig in Furch leben zu müssen und sich nichts sehnlicher als ein Ende des Farbvergießens wünschte.

      „Vielleicht hüpfe ich doch ein Stückchen mit euch!“, zog das Federmännchen in Erwägung und nahm beiläufig wahr, wie der Schatten eines Lächelns über Vincents Gesichtszüge huschte, während er reglos neben ihm stand.

      „Hat sich Herr Angsthase nun doch durchgerungen, mit uns nach Tristesse zu kommen?“, fragte Pilobolus mit leicht spöttischem Unterton in der Stimme und warf dem Federmännchen einen herablassenden Blick zu.

      „Nein,