Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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in ihren Augen und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Zwar konnte sie Monotonias Gesicht nicht sehen, da die Kapuze der Hexe ihr weit ins Gesicht hing, doch glaubte sie, zwei hasserfüllte Augen zu erkennen, die in der Dunkelheit wie zwei brennende Kohlestückchen glommen.

      „Wie furchtbar, dich so leiden zu sehen!“, prasselten die Worte der Hexe wie Hagelkörner auf Farbenfein ein, wobei der Hohn in ihrer Stimme jedes einzelne ihrer Worte Lügen strafte.

      „Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“, herrschte sie die Hexe an, worauf das Mädchen zögernd seinen Kopf hob und direkt in Monotonias echsenhafte, grauen Augen blickte. Die Hexe musterte ihre Gefangene mit verächtlicher Miene, während sich ihr Gesicht dem von Farbenfein gefährlich näherte.

      „Hör’ auf, gegen mich zu opponieren und schließ dich mir an, dann schenke ich dir deine Freiheit!“, wisperte sie dem Mädchen verlockend zu. „Mit deinen Fähigkeiten und meinen Zauberkräften machen wir uns Kolorien gemeinsam untertan und regieren mit uneingeschränkter Macht!“

      „Du wirst dieses Land nie regieren“, erwiderte Farbenfein, während sie ihre Angst hinter vorgetäuschter Gelassenheit verbarg.

      „Nein?“, zeigte sich Monotonia betont ruhig und wusste nicht, worüber sie sich mehr ärgern sollte, über die an sie gerichteten Worte oder das unverschämte Lächeln im Gesicht ihrer Gefangenen.

      „Vincent ist hier“, entgegnete Farbenfein ihrer Kerkermeisterin triumphierend und beobachtete, wie das Gesicht der Hexe allein bei der Erwähnung seines Namens erstarrte. Zornig funkelte Monotonia sie an, doch Farbenfein wich ihrem Blick nicht aus.

      „Nun fühlst du dich stark, was, weil dein edler Ritter gekommen ist, um dich vor der bösen Hexe zu retten!“, verhöhnte sie das Mädchen. „Leider wird er nicht lange genug am Leben bleiben, um dir zu helfen, da er ein Mensch ist und die Sonne bald untergehen wird. Dann wird es finster in Kolorien und dein Möchtegern-Kleckser wird sterben, genau wie du, wenn du deinen dummen Stolz nicht vor mir beugst!“

      Farbenfein atmete tief durch, um ihre Furcht nicht zu zeigen, welche die Worte der Hexe in ihr ausgelöst hatten. Stumme Angst schnürte ihr die Kehle zu, und das weniger um sich selbst als um den Märchenmaler, was ihr nur allzu schmerzlich bewusst war. Einen kleinen Trost fand sie lediglich im Gedanken, dass Vincent nicht allein auf sich gestellt war, und mit Pilobolus, Filomena und Barock erfahrene und kluge Köpfe an seiner Seite hatte.

      „Vincent wird nicht sterben!“, erwiderte Farbenfein bestimmt. „Er wird mich hier rausmalen und Eurer Tyrannei ein Ende setzen.“

      Die Hexe fixierte ihre Gefangene aus wutblitzenden Augen, während ihre ohnedies abscheuliche Miene noch eine Spur abstoßender wurde.

      „Doch, er wird sterben, wenn du nicht augenblicklich auf meine Seite wechselst und mir zu Diensten bist“, kreischte sie fuchsteufelswild, worauf sich Fabenfein augenblicklich beide Ohren zuhielt und zu singen begann:

      „Du kann vielleicht diesen Körper knechten, aber niemals meinen Willen brechen!“

      Die Bedeutung der Worte sowie die hohen Töne, die das Mädchen jäh ausstieß, trieben der Hexe Schweißperlen auf die Stirn und sie begann, unkontrollierte graue Blitze auf Farbenfein zu schleudern, die schnell einen leuchtend bunten Schutzschild in Form einer Seifenblase um sich aktivierte, um sich vor dem Angriff der Hexe zu schützen. Obwohl die Farben des Schildes die todbringenden Strahlen erfolgreich abwehrten, bereitete ihr graues Licht der Hüterin der Farben unsägliche Qualen, die sie allmählich an einen Punkt brachten, wo sie ihr Augenlicht gegeben hätte, nur um den durch den Blitzhagel der Hexe verursachten Schmerzen zu entgehen. Im Bewusstsein ihres nahenden Zusammenbruchs, mobilisierte das Mädchen seine letzten Kräfte und stieß derart hohe und spitze Töne aus, dass Monotonia glaubte, ihr Trömmelfell würde platzen und deshalb gezwungen war, den Blitzhagel einzustellen und die Kammer ihrer Gefangenen sofort zu verlassen, da sie die Laute keinen Moment länger ertragen konnte.

      „Sei still!“, befahl die Hexe geifernd.

      „Gib auf, du kannst nicht gewinnen!“, hörte Farbenfein die Stimme des Schwammes rufen, doch tief in ihrem Inneren gab es etwas, das nicht aufgeben konnte, nicht aufgeben durfte. Das sie dazu brachte, die schrecklichen Qualen zu erdulden und stolz ihren Kopf zu heben. Solange in ihr auch nur ein Funken Leben steckte, würde sie der grauen Tyrannin Widerstand leisten, und jeder Atemzug Zeit, den sie Monotonia dabei abrang, würde die Boshaftigkeit der Hexe von ihrem geliebten Kolorien ablenken. Dieses Wissen gab ihr die Kraft durchzuhalten. Kurz vor dem nahenden Zusammenbruch wuchs Farbenfein noch einmal über sich hinaus und ihre Stimme hallte klar und wie Musik klingend durch den Raum:

      Wer nicht für sich selbst denkt

      und sein Geschick selbst lenkt,

      wer nicht zu sich selbst steht

      und seine Farben selbst wählt,

      wer sich der Mehrheit beugt

      und sich am Grauen freut,

      wer auf seinen Knien kriecht

      und am Boden siecht,

      ist nicht in diesem Land geboren

      und hat bei uns hier nichts verloren.

      Ein Hoch auf unser Kolorien –

      Heimat der Farben und Harmonie,

      ein Hoch auf unser Kolorien –

      dieses Land regierst du nie!

      Bei diesen Worten erstarrte die Hexe und ihre Wut wich bezwingender Furcht. „Aufhör’n! Sofort aufhör’n!“, schrie sie wie von Sinnen und hielt sich nun ihrerseits die Ohren zu, während es ihr kalt über den Rücken lief. Doch Farbenfein hörte nicht auf und wiederholte wieder und wieder die für die Hexe qualvollen Worte, sodass diese sich brüllend umdrehte und aus dem Raum floh, gefolgt von Kratzer der unbeholfen hinter ihr die Treppe hinunter stolperte. Nachdem die Tür wieder ins Schloss gefallen war, folgte absolute Stille. Im Raum wurde es wieder stockfinster, während sich in Farbenfeins Kopf einen Moment lang alles drehte und sie ernsthaft glaubte, der Fußboden käme auf sie zu. Doch er blieb, wo er war. Regungslos saß das Mädchen im Schatten der Dunkelheit und rang nach Atem. Die Auseinandersetzung mit der Hexe hatte Farbenfein große Anstrengung gekostet und fast alle Reserven ihrer Lebensenergie aufgebraucht. Obwohl jede Stelle ihres Körpers noch immer von dem Blitzhagel schmerzte und es ihr ziemlich schwer fiel, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, bewegte sie sich auf die südliche Wand zu, die sie vorsichtig abtastete und gegen ein paar der Steine drückte.

      Tatsächlich lockerte sich einer von ihnen und ein seidenfadendünner Sonnenstrahl bohrte sich augenblicklich seinen Weg durch die dicke Nebelwand und tauchte das völlig erschöpfte Mädchen in sanftes, goldenes Licht.

      Obwohl Monotonia der Sonne unter Androhung schlimmster Bestrafungen untersagt hatte, auch nur einen einzigen Strahl in ihre Schattenburg zu schicken, war es ihrem winzigsten Sonnenstrahl gelungen, ohne Wissen der Sonne in Farbenfeins Gefängnis vorzudringen. So oft sich eine günstige Gelegenheit bot, stahl sich der kleine Strahlemann in die Dunkelkammer, um Hüterin der Farben mit seinem Licht zu wärmen und ihr Kraft zu geben, die Gefangenschaft zu ertragen. Und weil die Winzigkleinen im Leben von den Großen und Mächtigen gern übersehen werden, fiel dies auch nicht weiter auf. Nur Monotonia wunderte sich von Zeit zu Zeit, woher Farbenfein die Kräfte nahm, ihren Blitzangriffen zu trotzen und sich sogar an verschiedene Stellen des Landes projizierte, obwohl sie vermeintlich lediglich von Dunkelheit umgeben war.

      „Sunny!“, hauchte das Mädchen völlig am Ende und wusste im ersten Moment nicht, ob es weinen oder lachen sollte.

      „Hallo, Farbigste!“, strahlte sie der kleine Sonnenschein an und streichelte ihr liebevoll über ihr honigblondes Haar. „Ich dachte du könntest ein wenig Licht gebrauchen. Wie fühlst du dich?“

      „Miserabel“, wisperte das Mädchen und öffnete die Augen. „Die Hexe war gerade hier und ich dachte, diesmal wäre es endgültig aus mit mir!“ Ihre schnellen Atemzüge und das Flattern ihrer Augenlider verrieten, dass sie noch immer unter dem durch den Blitzhagel der Grauen