Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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die Herrin von Kolorien“, explodierte die Hexe und verlor endgültig die Kontrolle.

      „Sie ist eine Gefangene, meine Gefangene, und wird schon bald sterben, genau wie du, wenn du es noch einmal wagst, sie in meiner Gegenwart als Herrin von Kolorien zu bezeichnen!“ Blitzschnell bewegte sich Monotonia auf den Schwamm zu, der augenblicklich einen spitzen Schrei ausstieß, da er vor Angst schlotternd glaubte, dass sein letztes Sekündlein gekommen sei. Als er spürte, wie sie ihn am Hals packte, hatte er mit seinem Leben bereits abgeschlossen.

      „Bitte um kurzen Prozess!“, stammelte er und streckte seine Hände abwehrend von sich, um das Unausweichliche noch ein wenig hinauszuschieben. Monotonia verzog keine Miene. Ihr schmales, graues Gesicht mit den tief liegenden grauen Augen regte sich nicht. Dann bewegte sie unmerklich ihre Lippen und allein die Art, wie sie ihr Gesicht zu einer abscheulichen Fratze verzog, ließ die Luft um ihn herum auf antarktische Temperaturen sinken.

      „Mach dich nicht lächerlicher als du ohnedies bist!“, schrie sie ungehalten und stieß den Schwamm von sich. „Dieses Mal lasse ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen, aber das nächste Mal hast du nicht so viel Glück!“, ließ sie ihn wissen und schubste ihn von sich. Der Schwamm konnte sein Glück kaum fassen und versuchte, den Saum ihres Kapuzenumhanges zu küssen, doch sie schien seinen Gedanken zu erahnen und zog den Stoff angewidert zur Seite.

      „Danke … danke, zuviel der Gnade“, murmelte Kratzer und hielt seinen Blick ängstlich gesenkt. Ohne zu antworten, rauschte die Hexe an ihm vorbei, hielt jedoch unvermittelt inne und drehte sich zu ihm um.

      „War meine Gefangene allein, als sie gesehen wurde?“, erkundigte sie sich schroff und warf ihm einen geringschätzigen Blick zu.

      „Nein“, antwortete der Schwamm atemlos. „Sie wurde mit dem Märchenmaler, einem Pinsel, einer Zeichenfeder, einem Block und drei Farbhörnchen beobachtet.

      „Mit dem Märchenmaler?“, verfinsterte sich die Miene der Hexe augenblicklich, wobei ihr der Schock buchstäblich ins Gesicht geschrieben stand und sie noch um zwei Nuancen grauer wurde. Der Schwamm zuckte kurz zusammen und senkte seinen Blick schnell zu Boden.

      „Ja, aber nur kurz“, teilte er mit.

      „Das muss künftig unter allen Umständen unterbunden werden!“, fauchte sie und zog ihren Diener unvermittelt an seinen großen Ohren. Der Schwamm biss sich schnell auf seine Unterlippe, um nicht laut vor Schmerz aufzuschreien. Schließlich hielt er es keinen Augenblick länger aus und begann leise zu wimmern. Monotonia, die keine große Lust hatte, sich sein Gejammer anzuhören, ließ sein Ohr wieder los und würdigte ihn keines Blickes. „Zum Teufel mit dem Märchenmaler“, fluchte sie laut. „Zum Teufel mit den Regenbogenpferden und allen, die sich meinem Vorhaben, Kolorien zu entfärben, widersetzen!“ Erneut wurde sie von einer Welle des Zorns erfasst, während der Schwamm leise vor sich her winselte.

      Allmählich ließ der Schock nach und sie schien sich wieder zu fangen. „War nicht sie es, die noch immer einen Weg gefunden hatte, wenn sich schier unlösbare Probleme vor ihr auftürmten?“, versuchte sich die Hexe zu beruhigen. „War nicht sie es gewesen, die es nach endlosen Diskussionen geschafft hatte, die Sonne zum Untergehen zu bewegen? Dennoch wäre es töricht“, befand sie „einfach zuzusehen, wenn Gefahr im Verzug war, ohne entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen.“ Langsam ließ ihren Blick über das traurige Häufchen Elend vor ihr auf dem Boden gleiten und versetzte ihm einen leichten Tritt.

      „Erheb dich, Faulpelz, es gibt Arbeit!“, fuhr sie Kratzer an.

      Der Schwamm beeilte sich, auf seine Beine zu kommen, hielt jedoch seinen Kopf demutsvoll gesenkt.

      „Soll ich mich auf die Fersen des Federmännchens heften?“, erkundigte er sich diensteifrig, während der Wind schaurig durch die Zinnen pfiff und dunkle Schatten über die kahlen Wände der Festung jagte.

      „Nein“, schüttelte die Hexe ihren Kopf. Das soll Rubber übernehmen. Der ist schneller und hat weniger Löcher im Kopf als du“, fügte sie verächtlich hinzu.

      „Da sich meine Arrestantin offensichtlich nach Gesellschaft sehnt“, fuhr sie fort, wobei ihre Augen boshaft funkelten, „werden wir ihr diesen Wunsch erfüllen. Sofort!“, befahl sie hart und setzte sogleich rachsüchtig einen Fuß nach dem anderen die Treppen zu Farbenfeins Gefängnis hoch. Niemals würde sie zulassen, dass ihre verhasste Gegnerin entkam, und wenn es das letzte war, was sie ihn ihrem Leben verhinderte.

      Farbenfein fühlte die nahende Gefahr, noch bevor sie sie sehen konnte. Verängstigt drückte sie sich gegen die Wand, als wolle sie mit den kalten Steinen hinter ihrem Rücken verschmelzen, nur um einer Konfrontation mit der Grauen Hexe zu entgehen. Doch aus dem Turmzimmer, in das sie eingesperrt war, gab es kein Entrinnen und die zermürbende Dunkelheit um sie herum hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Trotz ständiger Tatenlosigkeit fühlte sie sich ausgelaugt und leer. Die Einsamkeit zehrte an ihrem Wesen und allein die Liebe zu ihrem Land und der Traum von Freiheit hielt sie am Leben, beseelt von dem innigen Wunsch, die Hexe und ihre Handlanger zu überlisten und ihrer Gefangenschaft zu entkommen. Irgendwie. Obwohl sie jeden Gedanken an Befreiung verdrängte, um nicht vor Verzweiflung den Verstand zu verlieren, trieb das zarte Pflänzchen der Hoffnung in ihr emsig Wurzeln, genährt von der Kunde, dass es dem Märchenmaler gelungen war, einen Weg in ihre Welt zu finden. Allein sein Bild in ihren Gedanken ließ Freude und Hoffnung wie eine quirlige Farbenquelle in ihr sprudeln, die alle Sorgen und Ängste mit sich fort trug.

      „Vincent“, flüsterte Farbenfein in die Dunkelheit hinein, während ihr flüchtiges Lächeln im Raum wie ein kleines Licht schwebte, das ihr kaltes Gefängnis mit ein wenig Wärme erfüllte. Beinahe glaubte sie, ihn vor sich stehen zu sehen, hoch gewachsen, ein wenig schlaksig und mit einnehmenden Gesichtszügen, die sie auf Anhieb mochte.

      Seine hohe Stirn ruhte über einer ebenmäßig, geraden Nase, die sich auf einen fein gezeichneten Mund senkte und mit einem ausgeprägten Grübchen im Kinn den perfekten Abschluss fand. Seine Augen schimmerten unter dichten dunklen Brauen im Dunkeln wie zwei seltene Jadesteine, während ihm sein dunkles, schulterlanges Haar verwegen ins Gesicht fiel. „Ich male dich hier raus“, versprach sein Bild in ihrer Fantasie, während ein Anflug von einem siegesbewussten Lächeln auf seinen Lippen ruhte.

      „Vincent“, flüsterte Farbenfein ein zweites Mal leise in die Dunkelheit. Doch der Märchenmaler konnte sie nicht hören, da er viel zu weit von ihr entfernt war.

      Dafür vernahm sie andere, die sie weder hören noch sehen wollte, worauf das Bild des Malers vor ihrem geistigen Auge zerbrach und von den Geräuschen auf der Treppe endgültig verwischt wurde.

      Farbenfein horchte angestrengt in die Dunkelheit hinein. Im Laufe ihrer Gefangenschaft hatte sie gelernt, ihre Peiniger an den Schritten zu erkennen und wusste, dass Monotonia zu ihr hoch eilte. Und sie kam nicht allein. Obwohl das Mädchen sich bemühte, ruhig zu bleiben, begann sein Herz laut zu klopfen, als die Schritte immer lauter wurden, um völlig zu verstummen. Dann wurde die Türe knarrend aufgerissen und zwei dunkle Gestalten erschienen im Türrahmen, worauf sich die Dunkelheit im Gefängnis jäh änderte. Der flackernde Widerschein eines kalten Feuers, aus grauen Schatten geboren, erfüllte unheilvoll den Raum.

      Die Hüterin der Farben spürte sogleich die Gegenwart der Hexe und auch den glühenden Hass, von dem sie angetrieben wurde. Sie war davon überzeugt, auch den Grund für Monotonias schwelenden Zorn zu kennen. Dieser stand mit Sicherheit in engem Zusammenhang mit einer gewissen Koloritkarte, die ein gewitztes Federmännchen einem ihrer Antimagos vor der Nase weggehüpft hatte.

      „Steh auf!“, wurde Farbenfein von Monotonia angeschrien, und der üble Geruch der Feindseligkeit, den jede Pore ihres Körpers ausdünstete, verursachte ihr Übelkeit. Doch die Hüterin der Farben war nicht gewillt, ihrem Befehl nachzukommen und blieb regungslos im Schatten der Dunkelheit sitzen.

      „Das war nicht als Bitte gemeint!“, kam der Schwamm seiner Herrin zu Hilfe, trat nach vor und riss Farbenfein ruckartig vom Boden hoch, bis sich ihre Knie erhoben. Monotonias Augen hefteten sich schnell auf ihre Gefangene und musterten ihre zierliche Gestalt. Zufrieden stemmte die Hexe ihre Arme in die Hüften und stellte fest, dass die ständige