Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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da es wirklich Faszination war, die seine Aufmerksamkeit gefangen hielt, doch dann wandte er seinen Blick ab und antwortete mit gedämpfter Stimme: „Keine Sorge. Ich versuche mir nur ein Bild von einer Welt zu machen, die nicht meine ist.“

      Das Federmännchen fing seinen Blick auf und erwiderte niedergeschlagen: „Glaub mir, Vince, meine Welt ist das auch nicht. Trotzdem muss ich mich damit abfinden!“, deutete er mit der Hand nach oben.

      „Musst du nicht!“, rief Pilobolus. „Was meinst du, warum wir mit dir durch das halbe Land hopsen, häh? Ganz bestimmt nicht, um uns mit fliegenden Panzerechsen anzufreunden. Und weil wir gerade beim Thema sind: Gibt es vielleicht einen Grund, warum wir uns durch diesen Sumpf quälen, während wir zum Bleistift auf der Magentastraße schon längst bei den Farbfällen sein könnten?“

      Zappel hob seinen Kopf und schenkte dem Borstenpinsel ein mitleidiges Lächeln. „Ich kann dir gleich mehrere Gründe nennen, warum ich diese Route gewählt habe!“, ließ er Pilo flüsternd wissen.

      „Ich bitte darum“, raunte der Pinsel zurück.

      „Erstens, weil die Magentastraße zum Großteil nicht mehr frei passierbar ist, da sie von Monotonias Grauschatten kontrolliert wird, und zweitens der klägliche Rest, der noch benutzbar ist, von Monotonias Krokodögeln aus der Luft überwacht wird“, fügte er trocken hinzu.

      „Warum haben wir dann nicht die Gelbe Straße genommen? Ist zwar ein Umweg, aber …

      „Weil auch diese Straße nicht mehr sicher ist“, wurde ihm von Zappel das Wort abgeschnitten.

      „Wir hätten auch über Sideth …“

      „Nein, hätten wir nicht“, fiel ihm Barock ins Wort. „Die Singenden Säulen hält niemand aus!“ Auch Filomena schien von diesem Vorschlag wenig angetan zu sein, was ihrer Gesichtsmiene deutlich abzulesen war.

      „Ihr habt ja recht“, lenkte Pilo kleinlaut ein, aber dieser Sumpf hier scheint mir auch nicht viel besser zu sein als der Weg über Sideth“, fügte er hinzu und ging davon aus, dass sie von oben ungesehen nicht weiterhüpfen konnten.

      „Jeder Weg ist besser als über Sideth!“, brummte Barock, was von Filomena Kopf nickend bestätigt wurde.

      „Was ist denn so schlimm an Sideth?“, erkundigte sich Vincent.

      „Die Singenden Säulen“, ließ ihn Filomena wissen.

      Der Märchenmaler, der noch nie in seinem Leben Säulen singen gehört hatte, musste kurz lächeln.

      „Klingt doch schön, wenn Säulen singen!“

      „Die Säulen von Sideth singen nicht schön“, schüttelte Pilobolus energisch seinen Kopf. „Sie verfügen über viele Fähigkeiten, aber Singen gehört bestimmt nicht dazu“, erklärte er. „Das Dumme ist nur, dass sie das selbst nicht so sehen und mit ihrem Gejohle jeden Gehörgang in Kolorien beleidigen. Und selbst das ist noch eine ohrensträubende Untertreibung!“

      „Da hat das Borstenbüschel ausnahmsweise recht“, stimmte Barock Kopf nickend zu, was nicht allzu oft vorkam. „Bei den Tönen, die sie anschlagen, pustet es dir glatt den Karton weg!“

      „Stimmt“, pflichtete ihm Filomena bei. „Die Singenden Säulen machen mit Abstand die beste schlechteste Musik, die in diesem Land je zu hören war. Ihr Gekreische ist mindestens genauso berüchtigt wie unerträglich, weshalb sich niemand freiwilling nach Sideth verirrt“, ließ sie den Märchenmaler wissen.

      „Sogar Monotonias Bande macht einen weiten Bogen um diese Ohrenstrapazierer“, wusste Zappel, „deshalb ist es ratsam, es ihnen gleich zu tun! Obwohl diese Farbenvernichter sonst kein Vorbild sind!“, fügte er schnell hinzu.

      Vincent runzelte die Stirn. Er ließ seinen Blick über die schier endlos hinziehenden Gräser wandern und fragte sich ernsthaft, ob er nun endgültig seinen Verstand verlor. Er befand sich in einem Sumpf, unterhielt sich mit einem Pinsel, einer Feder, einem Zeichenblock und Hampelmann, die sich allen Ernstes über singende Säulen beschwerten, während über ihm in der Luft Krokodile mit Flügeln kreisten. Unwillkürlich flogen seine Gedanken zu seinem letzten Gespräch mit Monika. „Ich werde mein Leben nicht an jemanden verschwenden, der weltfremd in seinem Luftschloss sitzt und seinen hoffnungslosen Tagträumen nachhängt“, hatte sie zu ihm gesagt und ihn mit diesen Worten sehr gekränkt, was er sorgsam hinter den schützenden Panzer seines Verstandes verborgen hielt. Aber eben dieser Verstand schien ihm nun langsam abhanden zu kommen, und der Maler glaubte einen Augenblick lang, dass sein Hals anschwellen und er daran ersticken müsste. Was war nur los mit ihm? War diese grüne, eintönige, geisttötende Landschaft tatsächlich nur ein Tagtraum? Und wenn er schon am helllichten Tag träumte, warum um Himmels willen von einem Sumpf, und nicht von der Karibik? Vincent strich sich mit leicht zittriger Hand ein paar Haare aus der Stirn und sagte sich, dass er endlich aufhören musste, über sich selbst den Kopf zu zerbrechen, da jeder Tagtraum, egal wie trostlos er auch sein mochte, immer noch besser war, als tagein, tagaus an einem Schalter zu stehen und Geld zu zählen, das noch nicht einmal ihm gehörte.

      Der junge Mann war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er völlig überhörte, wie Filomena an seine Seite trat und ihn beim Namen rief.

      „Vincent? … Vincent?“ Doch er rührte sich nicht, sondern starrte verloren ins Gras. Erst als sie ihn vorsichtig am Arm zupfte, nahm er ihre Gegenwart wahr.

      „Alles in Ordnung?“, wollte die kleine Zeichenfeder wissen. Vincent reagierte nicht sofort auf ihre Frage, da er sich über seine Antwort nicht im Klaren war. „Ja, ja … es geht schon wieder“, erwiderte er schließlich gedämpft.

      „Quält dich etwas?“, wollte Barock wissen.

      „Nichts von Bedeutung“, beeilte sich Vincent zu antworten.

      „Willst du darüber reden?“, bot Pilo seine Hilfe an.

      „Nein, lieber nicht!“, entgegnete der Märchenmaler verlegen. „Ist … ist etwas Persönliches und hat nichts mit euch zu tun.“

      Das war zwar ein bisschen gemogelt, aber Vincent wollte seine Grübeleien für sich behalten. Seine Lippen wurden schmal und sein Blick wanderte einmal mehr gedankenverloren über die Gräser und Wasserstellen.

      „Schneellllll!“, drängte Farbenfein den kleinen Sonnenstrahl, presste ihren Rücken mit aller Kraft gegen die kalte Wand und versuchte so, den gelockerten Stein wieder in die Mauer zurück zu schieben. Dabei wurde Sunny unsanft aus dem Verlies gedrängt, was ihm nicht sonderlich gefiel. Keine Sekunde zu früh, denn abermals wurde die Türe aufgerissen und wieder strömte graues Licht in den Raum. Farbenfein sammelte alle ihre Kräfte, obgleich sie wusste, dass sie einer weiteren Auseinandersetzung mit der Grauen Hexe nicht gewachsen war. Ein leichter Schwächeanfall machte sich in ihren Gliedern breit und sie grub ihre Zähne tief in die Unterlippe, während sie um Haltung bemüht war. Kurz darauf erschien Monotonia, die abermals ihren Blick scharf durch die Kammer schweifen ließ.

      „Habe ich hier etwa Stimmen gehört?“, fuhr sie Farbenfein an, während ihr Blick unheilvoll auf das Mädchen geheftet blieb, das sich um Gelassenheit bemühte, damit ihr kleines Geheimnis nicht aufflog.

      „Antworte gefälligst oder hat es dir plötzlich die Sprache verschlagen?“, fuhr die Hexe ihre Gefangene an, die sich von ihrem Erscheinen offenbar nicht aus der Ruhe bringen ließ.

      Trotz der demütigenden Umstände und der Gefahr, in der sie steckte, hob Farbenfein ihren Kopf und teilte ihrer Peinigerin ruhig mit: „Ich nehme von Euch keine Befehle entgegen!“

      „Ich werde dich lehren … !“, schnappte Monotonia nach Luft und eilte auf das Mädchen zu, wobei Farbenfein das Gefühl hatte, ihre donnernden Schritte würden sogar den Säulenboden von Sideth zum Erzittern bringen. Die Hexe baute sich Furcht einflößend vor dem Mädchen auf und betrachtete ihre Gefangene aus zusammengekniffenen Augen. Irgendetwas störte Monotonia maßlos, aber sie konnte nicht genau sagen, was es war. Dafür hätte es Farbenfein gekonnt, hütete sich jedoch, ihren sonnigen, kleinen Freund zu verraten. Monotonia spürte die Schwingungen von Sunnys geschmuggeltem Licht, konnte