Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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er keine Pferde entdecken. Nur Wolken. Doch dann glaubte er unvermittelt flüchtige Umrisse von Nüstern zwischen dem Weiß zu erkennen. Und was für Pferde das waren! Hoch aufgerichtet, mit eindrucksvollen, schimmernden Flügeln, und unheimlich schnell in ihren Bewegungen hielten sie direkt auf die Springquellen zu.

      „Du Glückspilz, Vincent!“, rief der Borstenpinsel, „behältst womöglich deine Farben zwischen den Linien und wirst gleich eine weitere Sensation Koloriens erleben“, lächelte er in freudiger Erwartung, doch sein Lachen erstarb augenblicklich als er in Monotonias aschgraues Gesicht blickte.

      „Das glaube ich weniger“, herrschte ihn die Hexe an, „da ich den Möchtegern-Patzer sowie euch drei Scherenschnitte gleich ausradieren werde“, kündigte sie hämisch an.

      Vincent erstarrte, weil er die Stimme hinter ihm zu kennen glaubte. In seinem Kopf geriet alles durcheinander, und es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder fing und umdrehte.

      „Monika!“, rief er überrascht und der Anblick seiner Freundin ließ ihn kurz zusammenfahren. Irgendwie sah sie verändert aus. Ihr elegantes Äußeres hatte unheimliche Konturen angenommen, was durch den Kapuzenmantel und die grauen Haare, die darunter strähnig hervorlugten, noch verstärkt wurde. Ihr Blick ruhte auf ihm wie der einer Python auf ihrer Beute, und Vincent wusste, dass er ihr mehr oder weniger hilflos ausgeliefert war, da das jämmerliche Bild von ihm unter ihrem grauen Blick nicht mehr seinem Willen gehorchte.

      „Monika!“, rief Vincent abermals kläglich. So sehr er es auch gewollt hätte, konnte er ihr nicht feindlich begegnen und hoffte auf eine friedliche Beilegung des Konfliktes, der sich spürbar zwischen ihnen auftürmte.

      „Ich bin nicht Monika!“, fuhr ihn die Hexe unbeherrscht an, wobei ihre Augen böse aufblitzten.

      „Komm schon, Moni“, meinte Vincent und machte einen Schritt auf sie zu. „Nur weil ich nicht in der Bank deines Vaters arbeiten will, musst du ja nicht gleich …“

      „Keinen Schritt weiter!“, warnte sie ihn. „Fern vom Leibe bleibe mir, farbgetränktes Menschentier, hast nichts verloren in diesem Land, darum erstarr’ durch meine Hand!“

      Vincents Farbe gefror ihm augenblicklich in seinen Linien. Trotzdem unternahm er einen weiteren Versuch, sich ihr zu nähern.

      „Musst du doch nicht gleich wütend werden!“, beendete er seinen Satz.

      Einen Moment später flog er durch die Luft und wurde zu Boden geschleudert. „Oder beleidigt sein!“, stammelte er. Leicht benommen versuchte er aufzustehen, doch das ging nicht, weil seine Beine ihm nicht gehorchten. Der Märchenmaler mobilisierte alle seine Kräfte, doch so sehr er sich auch bemühte, war jede Anstrengung vergebens. Er kam aus eigener Kraft nicht mehr hoch.

      „Kratzer!“, zischte Monotonia nun in Richtung ihres treu ergebenen Schwammes, der gleich hinter ihr stand. „An die Arbeit! Hol jede Farbe aus ihm raus und lösch’ das Menschengeschmiere für immer aus!“

      „Zu Befehl, Eure Grauenhaftigkeit!“, erwiderte der Schwamm diensteifrig und bewegte sich wie ein gefährliches Raubtier auf Vincent zu. Heftige Übelkeit stieg dem jungen Mann auf. Doch er hätte nicht sagen können, ob dafür das zu einer hässlichen Fratze verzerrte Gesicht des Schwammes oder die Hexe dafür verantwortlich waren. Wie auch immer befand sich Vincent in einer schwierigen Situation, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Gerade als Monotonias farbenfresslustiger Spießgeselle ansetzte, Vincent die Farbe aus den Linien zu saugen, spürte der Künstler etwas Nasses auf seiner Nase, das sich wie ein Regentropfen anfühlte und dem Schwamm sogleich Einhalt gebot.

      „Zurück graues Geschmeiß!“, donnerte eine gewaltige Stimme von oben, und Vincent entdeckte über ihm einen riesigen Pferdekopf mit schönen, goldbraunen Augen und lustigen, zueinander gebogenen Ohrspitzen. Das Tier war ungewöhnlich groß und hatte eine auffallend lange weiße Mähne sowie große, schneeweiße Flügel, die sich wogend im Wind wiegten. Sein imposanter, kräftiger Hals ging fließend in den Rücken mit dichtem Fellkleid über, das gleißend im Licht der Sonne in den Farben des Regenbogens schimmerte.

      „Huf Farballa!“, hörte Vincent Monotonia wütend kreischen.

      „Ich sehe, du erinnerst dich an mich!“, wieherte das Pferd erhobenen Hauptes und breitete seine mächtigen Schwingen aus. Einen Augenblick später vernahmen Vincent und seine Gefährten das fröhliche Klatschen von lustigen, bunten Tropfen, die in allen Farben des Regenbogens auf die Erde fielen und kunterbunt im Boden versickerten. Bald darauf goss es ihn Strömen Farbe vom Himmel. Sobald Vincent von den Farbtropfen getroffen wurde, löste sich seine Erstarrung wie im Nichts auf und er konnte sich wieder bewegen.

      „Rückzug! Farbenregen!“, riefen die Grauschatten wild durcheinander, stoben in allen Richtungen davon und verschwanden noch schneller, als sie gekommen waren.

      „Das wirst du mir büßen!“, geiferte Monotonia rasend vor Zorn, während sie wie ihr Gefolge die Flucht ergriff. „Wir sehen uns!“, fletschte sie vor ihrem Abgang die Zähne und warf Huf Farballa einen letzten, vernichtenden Blick zu.

      „Wird sich nicht vermeiden lassen!“, rief ihr das Regenbogenpferd nach und genoss es sichtlich, die Hexe und ihre Grauschatten auf der Flucht vor dem Farbenregen zu beobachten. Wo auch immer die grauen Gesellen von den Farben getroffen wurden, lösten sie sich zischend vor seinen Augen auf und das gefiel ihm noch viel besser. Vincent war tief beeindruckt. Die farbenfrohen Lichter, die mit zunehmender Geschwindigkeit immer größer und schwerer vom Himmel fielen, leuchteten in der Sonne wie bunte Perlen und ihr Anblick war atemberaubend. Da zur selben Zeit die Sonne schien, wurden ihre Strahlen von den Farbtropfen sowohl gebrochen als auch reflektiert, und es entstand kurz darauf ein leuchtender Regenbogen, wie ihn Vincent noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Der Maler öffnete seinen Mund, um seiner Bewunderung Ausdruck zu verleihen, doch er fand keine Worte für das Schauspiel, das sich ihm bot. Fasziniert stand er da und betrachtete den ungewöhnlichen Farbenzauber. Der Himmel begrüßte die Erde mit Rot, Orange, Gelb, Grün, Indigo und Violett und die Erde schickte ihm zum Dank mächtige Farbfontänen in denselben Farben hinauf, so dass ein Doppel-Regenbogen entstand, der sich kurz darauf vervierfachte. Der junge Mann betrachtete fasziniert, wie die Farben in bezaubernden Schattierungen und Nuancen am Himmel funkelten, und sie schienen ihm so nahe, als könnte man sie berühren. Der Anblick des farbenprächtigen Schauspiels entschädigte ihn für jede einzelne seiner ausgestandenen Ängste und seine Gesichtsmiene erhellte sich augenblicklich.

      „Na, hab’ ich dir zuviel versprochen?“, strahlte Pilobolus.

      „Nein“, lächelte Vincent. „Ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich finde keine Worte für diese ... diese Pracht!“

      „Du bist entschuldigt, weil du ein Maler und kein Dichter bist!“, zwinkerte ihm der Borstenpinsel zu. „Komm, ich will dir das berühmteste Regenbogenpferd aller Zeiten vorstellen!“, drehte sich Pilobolus um und hielt auf das stattliche Tier zu.

      „He, Huf, altes Dampfross! Das nenn’ ich Timing!“, grinste er den Hengst vor ihm an und warf ihm einen dankbaren Blick zu.

      „Wen sehen meine entzündeten Augen?“, schnaubte das imposante Tier, ließ seine Flügel sinken und stupste freundschaftlich mit seinem Kopf den Holzstiel des Pinsels. Pilobolus! Schwingst, wie ich sehe, auch noch immer deine Borsten!“

      „Ja, dank deiner Hilfe“, lächelte der Pinsel breit und streichelte sanft über Hufs Nüstern. „Das war knapp. Ein paar Farbtröpfchen später und wir wären alle …“

      „Pssssst!“, machte das Pferd. „Ich bin ja rechtzeitig gekommen, um deine Borsten zu retten. Leider sind wir nicht immer zur Stelle, wenn Monotonias Grauschatten in Kolorien einfallen“, senkte der weiße Hengst bekümmert seinen Kopf. „Doch wir tun, was wir können, um Kolorien seine Farben zu erhalten!“, fügte er hinzu. „Trotzdem wird es immer grauer im Land.“

      „Dir macht niemand Vorwürfe“, versuchte der Borstenpinsel das Pferd zu trösten. „Ich weiß, dass du alles in deiner Macht Stehende tust, um Monotonia in die Schranken zu weisen.“

      „Unglücklicherweise reichen die Kräfte meiner