Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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erwiderte Pilobolus ernst. „Und er wird uns dabei helfen!“, warf er einen Seitenblick auf den jungen Maler und deutete ihm, näher zu kommen.

      „Darf ich bekannt machen, Vince? Das ist Huf Farballa! Farbenfeins Luftgeneral und Kommandeur der Regenbogenpferde“, teilte der Borstenpinsel dem jungen Mann mit. „Und das ist …“

      „Der Märchenmaler!“, wieherte das weiße Pferd. „Du brauchst ihn nicht vorzustellen, da ich ihn von Farbenfeins Bildern bereits kenne. Niemand malt so wunderbare Bilder wie Ihr, Meister Vincent“, lobte ihn das Regenbogenpferd erfreut, „und es ist mir eine große Ehre, Euch in Kolorien willkommen zu heißen. Die Hüterin der Farben hält große Stücke auf Euch und ich zähle auf Eure Unterstützung, sie zu befreien.“

      Vincent schluckte. Die Bezeichnung Märchenmaler ließ seine Wangen freudig erröten und die grünen Augen leuchten. Doch seine Freude wurde von seinen Erinnerungen getrübt. Er wollte Huf nicht die Illusion seiner Meinung über ihn rauben und bezwang den Drang, dem Pferd die Wahrheit zu sagen, dass er Farbenfein bis jetzt nur bitter enttäuscht hatte. Verlegen senkte er seinen Blick. Am liebsten wäre er auf und davon gelaufen, da er sich für sein jämmerliches Benehmen in seinem Garten schämte. Doch dann – vielleicht lag es an der leisen Musik, die durch den Aufprall der letzten Farbentropfen auf den Boden erzeugt wurde oder am sanften Schimmern der Regenbögen über ihm – beschloss Vincent, keine Minute länger in Selbstmitleid zu zerfließen und sich mit Selbstvorwürfen weiterhin zu zerfleischen. Erhobenen Hauptes blickte er ihn die wachsamen Augen des Tieres vor ihm.

      „Ich bin hier“, begann der junge Mann entschlossen, „um Farbenfein zu helfen, so gut ich kann.“

      „Genau das wollte ich hören“, stupste das Pferd freundschaftlich Vincents Schulter.

      „Wir werden dich dabei unterstützen!“, riefen Pilobolus, Filomena und Barock im Chor.

      „Bevor wir jedoch aufbrechen, müssen wir eine Karte von Kolorien besorgen, um uns orientieren zu können“, teilte Vincent mit und erntete stummes Nicken.

      „Solche Karten sind mittlerweile rar geworden“, schnaubte Huf, während eine große Sorgenfalte auf seiner Stirn erschien. „Davon abgesehen, verändert sich Kolorien auf Grund der vielen Angriffe der Farbenfresser und Grauschatten beinahe jeden Augenblick.“

      „Aber von irgendwelchen Karten muss auch Monotonia ihre Informationen beziehen“, hielt ihm Filomena entgegen.

      „Das steht außer Zweifel!“, meinte Pilobolus. „Leider wird uns die graue Hexe weder ihre Karten zur Verfügung stellen, noch uns die Quellen verraten, woher sie diese bezieht.“

      „Sie vielleicht nicht, aber die Braf-Hörnchen mit „f“ ganz bestimmt“, entgegnete das Regenbogenpferd und schüttelte seine weiße Mähne.

      „Braf-Hörnchen mit „f“?“, wiederholte der Maler verwundert.

      „Die Braf-Hörnchen organisieren den Widerstand im Untergrund und beliefern das ganze Land heimlich mit Farbnüssen“, teilte ihm der weiße Hengst mit. „So gelingt es immer wieder, bereits graue Landstriche wieder bunt zu färben. Leider kennt niemand ihren Aufenthaltsort, doch es ist ein offenes Geheimnis, dass man mit ihnen bei den Blauen Erdhügeln Kontakt aufnehmen kann.“

      „Blaue Erdhügel?“, rieb sich Vincent überrascht seine Nasenspitze. „Seit wann sind Erdhügel blau? Und warum werden die Brafhörnchen mit „f“ geschrieben?

      „Die Braf-Hörnchen werden deshalb mit „f“ geschrieben, weil sie rückwärts gelesen Farb-Hörnchen sind. Seit Monotonias Machtübernahme in unserem Land bedienen sie sich nämlich einer Geheimsprache, die sie für ihre gefährliche Mission verwenden.“

      „Was für eine Geheimsprache?“

      „Trhekrev“, teilte ihm das Regenbogenpferd mit.

      „Trhekrev?“, murmelte der junge Mann nervös, weil das Erlernen von Fremdsprachen nicht unbedingt zu seinen Stärken zählte.

      „Klingt schwieriger als es ist“, sprach Huf überzeugt und warf ihm einen ermutigenden Blick zu.

      „Ich war im Englisch-Unterricht immer eine Pfeife, und in Latein ein regelrechtes Alphorn“, gab Vincent kleinlaut zu.

      „Um diese Sprache zu lernen, muss man kein Sprachengenie sein“, mischte sich Pilobolus in das Gespräch ein, „sondern lediglich verkehrt herum reden.“

      „Verkehrt herum reden?“, echote der Maler entgeistert.

      „Richtig, da Trhekrev das Spiegelbild der Sprache ist.“

      „Spiegelbild der Sprache?“, runzelte Vincent seine Stirn. „Wie soll das gehen?“

      „Ganz einfach“, wurde ihm erklärt. „Du hörst ein Wort, stellst es dir rückwärts gesprochen vor und kennst seine Bedeutung. So machen es zumindest die Braf-Hörnchen: „Wehren sich gegen Tyrannei und Knechtung und sprechen deshalb alles verkehrt rum. Verstehst du, Vincent?“

      Der Maler nickte, obwohl er gar nichts verstand. Kurz schloss er seine Augen, stellte sich Farb-Hörnchen rückwärts gesprochen vor und kam nach mehreren Versuchen zu der Ansicht, das die Braf-Hörnchen mit „f“ eigentlich Nehcnröh-Braf heißen müssten, was er dem Borsteninsel auch prompt mitteilte.

      „Weißt du, Vince“, lächelte Pilobolus daraufhin jovial und zupfte ihn leicht am Arm, „die Farbhörnchen sind nicht immer konsequent. In dieser Hinsicht ähneln sie euch Menschen!“, fügte er Augen zwinkernd hinzu. Damit war für ihn die Angelegenheit erledigt. Für Vincent jedoch nicht. Doch für einen weiteren Gedankenaustausch fehlte den beiden die Zeit, da Huf zum Aufbruch drängte, um einem weiteren Überfall der Hexe und ihrer Grauschatten zuvorzukommen. Der weiße Hengst bat den Märchenmaler aufzusitzen und wieherte kurz in Richtung Pilobolus, Filomena und Barock, die Vincent augenblicklich folgten. Obwohl der junge Mann noch nie in seinem Leben auf einem Pferd gesessen hatte, bereitete es ihm überhaupt keine Probleme, auf dem Rücken des beeindruckenden Tieres Platz zu nehmen.

      Kurz darauf erklang Hufs mächtige Stimme und die Regenbogenpferde erhoben sich in fliegender Eile in die Luft, um Vincent und seine Begleiter umgehend zu den Blauen Erdhügeln zu fliegen.

      „Muss ich das alles verstehen?“, zerbrach sich der Maler im Stillen seinen Kopf, während er sich an der weißen, fließenden Mähne des Regenbogenpferdes festhielt und grübelnd nach unten sah. „Nein, muss ich nicht!“, kam er zu dem Schluss. „Ich bin eine Zeichnung, und als solche muss nicht alles begreifen.“

      So flog er mit den Pferden fort, an einen wundersamen Ort. Block, Feder und Pinsel kamen mit und folgten ihm auf seinem Himmelsritt.

      4 Die Brafhörnchen mit „f“

      «Wer nicht zu sich selbst steht, verliert sich am Beispiel anderer.»

      Ernst Moritz Arndt, deutschter Denker und Dichter (1769-1860)

      Huf Farballa flog schnell wie der Wind mit Vincent und seinen Freunden auf dem Rücken durch die Luft. Zielstrebig suchte das Regenbogenpferd an der Spitze seiner Herde den kürzesten Weg zu den Blauen Erdhügeln, da es besser als jeder andere in Kolorien wusste, dass die Zeit drängte. Viel zu lange befand sich Farbenfein bereits in Gefangenschaft der Grauen Hexe und das Tier glaubte fast die Ängste und Qualen seiner Herrin am eigenen Leib zu verspüren. Während das Regenbogenpferd wie von einem großen Magneten angezogen durch die Lüfte jagte, genoss der Märchenmaler die herrliche Aussicht von oben, die von Pilobolus kommentiert wurde.

      „Sieh’ doch, Vince!“, rief der Borstenpinsel und deutete nach rechts. „Direkt unter uns befindet sich der Blühende Berg. Hier zeigt sich Kolorien von seiner schönsten Seite!“

      Der Künstler beugte sich leicht nach vor, und sein Blick folgte neugierig dem des Malpinsels nach unten. Aus tiefer Ebene erhob sich eine imposante Anhöhe, die bei genauerem Hinsehen aus unzähligen Terrassen bestand. Jede davon schimmerte in einer anderen Farbe, die ihre Leuchtkraft einer Unzahl