Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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er bei diesen Worten eine Gänsehaut bekam und mit unversehens kam ihm das Geplänkel mit Pilobolus ziemlich kindisch vor.

      „Barock hat Recht!“, warf er dem Pinsel einen einlenkenden Blick zu. „Schaffe Ordnung in meinem Haar und meiner Kleidung, wie auch immer du es für richtig hältst, und dann machen wir uns schleunigst auf den Weg, um Farbenfein zu finden!“

      „Gut“, erwiderte der Pinsel. „Ich werde es versuchen.“ Pinselflink eilte Pilobolus davon, um Vincent von seinen Klecksen zu befreien, wobei ihm die springenden Farbquellen mehr als genug Auswahl boten.

      „Sein Haar ist schwarz wie Ebenholz“, rief ihm Filomena nach. Damit war der Streit endgültig beigelegt.

      „Wie findest du’s?“, erkundigte sich Pilobolus nach erfolgreicher Arbeit und warf Vincent einen mehr als zufriedenen Blick zu. Vincent trat vor den Teich und blickte ins Wasser. „Gefällt mir!“, nickte er anerkennend. „Obwohl du meine Haarlänge etwas gekürzt hast!“, stellte er kritisch fest. Der junge Künstler betrachtete sein Gesicht im Wasser. Klare Linien, meergrün leuchtende Augen und ein freches Grübchen im Kinn schimmerten ihm entgegen und wurden von dunklen, schulterlangen Haaren eingerahmt, die leicht im Wind flatterten. Zum ersten Mal seit seinem morgendlichen Gespräch mit Monika fühlte er sich besser.

      „Du hast Talent!“, lächelte er dem Borstenpinsel anerkennend zu.

      „Ich weiß!“, schmunzelte Pilo zurück.

      „Danke!“, seufzte Vincent erleichtert und freute sich über sein neues altes Bild, das die Teichoberfläche ruhig widerspiegelte.

      „Ich stehe in deiner Schuld!“, murmelte der junge Mann mit verhaltener Stimme, und es schien, als blieben ihm die Worte im Halse stecken.

      „Das tust du!“, stimmte ihm der Borstenpinsel zu.

      „Können wir nun beraten, wie wir Farbenfein aus Tristesse befreien?“, wandte sich Barock an seine Gefährten.

      „Vielleicht kann uns die Riesenameise helfen?“, schlug Vincent vor, als er am Horizont einen dunklen Fleck entdeckte, der sich rasant auf sie zu bewegte.

      „Riesenameise?“, echote Pilobolus und war augenblicklich auf seinen Borsten.

      „Ich glaube, das ist mehr als eine!“, verbesserte sich Vincent, während sein Blick fest auf den dunklen Punkt geheftet blieb. „Das ist nicht nur eine! Das sind ….VIELE!“

      „Das sind keine Ameisen!“, rief der Borstenpinsel sichtlich erschrocken, während die Worte in seinem Hals steckenblieben, als er die großen Schatten entdeckte, die sich aus allen Richtungen näherten.

      „Das sind ... das sind ... Farbenfresser!“, stammelte Filomena und ihre Augen weiteten sich angsterfüllt. „Wir haben zu lange getrödelt, und das ist mittlerweile in Kolorien sehr gefährlich geworden!“

      Ihre Worte versetzten Vincent einen leichten Stich in der Brust, da er sich dafür verantwortlich fühlte.

      „Ich hätte nicht mit euch hierher kommen dürfen“, machte er sich Vorwürfe. „Wenn wir Ärger bekommen, ist es ganz allein meine Schuld!“

      „Nur nützt deine späte Einsicht keinem mehr!“, grummelte Pilo.

      „Sei nicht so streng mit dir, Vince!“, versuchte ihn Barock aufzurichten, der dem jungen Mann seine Gewissensbisse im Gesicht ansah.

      „Ich wollte das nicht …!“, versuchte Vincent sich zu entschuldigen.

      „Wissen wir!“, erwiderte Filomena leise und drehte sich schnell wieder um, da sie ihm ihre Angst nicht zeigen wollte.

      „Vielleicht sollte ich mit ihnen reden?“, bot der Maler an.

      „REDEN!“, wirbelte Pilobolus um seinen Eichenstiel und starrte den jungen Mann fassungslos an.

      „Ja“, meinte Vincent. „Immerhin bin ich nicht von hier, ein Mensch und deshalb als Schiedsrichter geeignet.“

      „Er will mit ihnen reden!“, verdrehte der Borstenpinsel ungläubig seine Augen.

      „Mit denen kann man nicht reden!“, erwiderte der Zeichenblock leise. „Die kommen, um alles zu entfärben, was sich ihnen in den Weg stellt. Und auf die Farbquellen haben sie es schon lange abgesehen!“

      „Obwohl ich nicht glaube, dass sie wegen der Farbquellen hier sind!“, warf Filomena verzweifelt ein.

      „Ich auch nicht!“, pflichtete ihr der Zeichenblock bei und sah besorgt zu den Hügeln hinauf, die mit grauschwarzen Patzen bereits übersät waren. Einen Moment lang herrschte ratloses Schweigen, und die Hilflosigkeit stand allen vier ins Gesicht geschrieben.

      Die Luft erfüllte sich mit unheilvollem Knurren und Gejaule. Grauschwarze Zottelbären auf dunklen, kräftigen Ochsenbeinen näherten sich ihnen mit unglaublicher Geschwindigkeit, und es war nur noch eine Frage von Minuten, bis die ersten von ihnen die Farbquellen erreicht haben würden. Von allen Seiten strömten sie brüllend heran und erstickten jede Hoffnung auf ein Entkommen. Als ob die Situation nicht schon schlimm genug gewesen wäre, machte Pilobolus eine weitere unheilvolle Entdeckung.

      „Es gibt noch eine schlechtere Nachricht!“, rief er atemlos und wandte sich schnell zu seinen Freunden um.

      „Unmöglich!“, jammerte Filomena und sah Pilo verzagt an.

      „Leider doch“, schluckte der Pinsel seine Angst hinunter. „Ich habe Monotonia gesehen. „Sie kommt persönlich, um uns auszulöschen!“

      „Wie aufmerksam von ihr!“, zischte Barock und in Filomenas Augen spiegelte sich blankes Entsetzen.

      „Wo ist sie?“, wollte Vincent wissen.

      „Sie befindet sich auf Anhöhe der Farbweiden“, entgegnete Pilobolus und die Blicke seiner Begleiter folgten ihm augenblicklich.

      Der Zeichenblock und die zierliche Zeichenfeder schwiegen betroffen und auch Vincent gab keinen Mucks von sich. Alle Augen waren auf die Farbweiden gerichtet und obwohl Vincent Monotonia nicht sehen konnte, spürte er instinktiv die drohende Gefahr, die unmittelbar in der Luft lag.

      „Was für ein Empfang!“, stammelte der Zeichenblock und wischte sich mit zittriger Hand winzige Schweißperlen von seiner Stirn. Er hatte Angst, war dagegen machtlos, und das zermürbte ihn.

      „Du musst schon etwas Besonders sein“, meinte Pilobolus in Richtung Vincent, „wenn sich die Graue Hexe persönlich die Mühe macht, dich gleich bei deiner Ankunft auszuradieren!“

      „Nach einem Empfang sieht mir das aber nicht aus!“, erwiderte Vincent zögernd, während sein Blick wieder und wieder die Hügel hinaufwanderte, wo immer mehr und mehr dunkle Flecken wie aus dem Nichts auftauchten und sich zu großen Schatten formierten.

      „Was nun?“, flüsterte Filomena. „Hat jemand eine Idee?“

      Doch sie erntete nur Schweigen. „Was?“ Niemand!“, rief sie entsetzt.

      „Uns bleibt gerade noch soviel Zeit, um uns voneinander zu verabschieden!“, starrte Pilo auf die vielen Flecke, die die Hügel bereits erobert hatten. Und zu Vincent meinte er: „Damit ist die Farbensafari leider beendet. Gern hätten wir noch mehr gezeigt, doch das Programm fällt gerade gräulich abscheulich aus dem Rahmen.“

      „Still!“, funkelte ihn Filomena an und zog energisch an Vincents inzwischen wieder weißem Ärmel. „Es ist nicht ratsam, hier Wurzeln zu schlagen!“

      „Stimmt“, pflichtete ihr der Zeichenblock bei. „Wir sollten uns unter den großen Farbenbaum stellen. Die Fontänen werden uns eine Weile die Grauschatten von den Linien halten und dann werden wir …“

      „Ich sehe Wolkenberge!“, wurde er unvermittelt von Vincent unterbrochen, der am Himmel mächtige weiße Wolken entdeckt hatte, die sich ihnen ebenfalls rasant näherten. „Ist das gut oder schlecht für uns?“

      „Wolkenberge?“, wiederholte Pilobolus, richtete seinen Blick nach oben und begann zu strahlen.