Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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der Block entschuldigend und ignorierte seine düstere Miene.

      „Eine bessere Meinung?“, erwiderte der junge Mann mit deutlichem Groll in der Stimme. „Und das muss ich mir von einem Zeichenblock sagen lassen!“

      „Nimm’s nicht tragisch, Vince!“, versuchte Pilo ihn zu trösten, der mittlerweile auch neben dem jungen Mann stand. „Mag dir das Bild auch nicht gefallen, heißt das noch lange nicht, dass es so bleiben muss. Es liegt allein in deiner Macht, es zu ändern!“

      Mit Unbehagen betrachtete der Maler sein Spiegelbild im Wasser. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er eine dermaßen stümperhafte Abbildung gesehen, und er suchte nach Gemeinsamkeiten mit dem sonderbaren Fremden, der ihm mit zusammengekniffenen Augen, abgespannten Gesichtszügen und verklebtem, strähnigem Haar entgegenstarrte. Was hatte er nur angestellt, um so ein Bild von sich zu haben? Vincent fand, dass er schrecklich aussah und zum ersten Mal seit seinem Gespräch mit Monika gestand er sich ein, dass es ihm nicht sonderlich gut ging. Langsam verstrichen die Augenblicke, und der Maler fühlte sich völlig fehl am Platz. Wie ein Fremder im eigenen Leben.

      „Ich werde mir jetzt die Farbe aus meinem Gesicht und den Haaren wischen und dann von hier verschwinden“, nahm er sich vor, da er das Gefühl hatte, langsam den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er bückte sich, um mit einer Hand Wasser aus dem Teich zu schöpfen und fuhr einen Augenblick später erschrocken zurück.

      „Habt ihr das gesehen?“, fragte Vincent fassungslos. „Die Pfütze hat nach mir geschnappt!“ Entsetzt wanderte sein Blick von Barock zu Pilobolus.

      „Ja, die ist nicht ganz ungefährlich!“, pflichtete ihm der Pinsel bei. „Und für ihre Unersättlichkeit bekannt. Sieh dich bloß vor, denn sie hat eine Vorliebe für lausige Zeichnungen!“

      „Find ich nicht witzig!“, ärgerte sich der junge Mann.

      „Ist es auch nicht!“, erwiderte sein Block ernst. „Das hier ist kein Erholungsurlaub, Vince, sondern lebensgefährliche Wirklichkeit, und ich rate dir dringend zu mehr Vorsicht, da in Kolorien vieles anders ist als in deiner Welt.“

      Der Maler glaubte sich verhört zu haben. Das fehlte ihm noch, dass ihm sein Zeichenblock auch noch unerbetene Ratschläge erteilte und damit völlig aus der Fassung brachte.

      „Genau deswegen möchte ich wieder nach Hause!“, fuhr der junge Mann Barock wütend an. „SOFORT! Ich kann es nämlich nicht ausstehen, wenn wildfremde Weiher nach mir schnappen und im Übrigen würde ich gerne wieder so aussehen, wie ich aussehe! Wie ein Mensch aus Feisch und Blut. Und nicht wie ein Stück Papier für den Mülleimer.“

      „Als Mensch siehst du auch nicht viel besser aus!“, nahm ihm Filomena jede Illusion, „und davon abgesehen kann dich nur Farbenfein in deine Welt zurück schicken.“

      Die Bedeutung ihrer Worte ließ den Märchenmaler über seine Beine stolpern, und beinahe wäre er in den Teich gefallen, wenn ihn sein Block nicht in letzter Sekunde davor bewahrt hätte.

      „Moment mal, Moment mal!“, stammelte Vincent wie betäubt und starrte Filomena ungläubig an. „Was … was soll das heißen?“

      „Soll heißen“, begann der Zeichenblock, dem die Reaktion der kleinen Feder auf Vincents verärgerten Gesichtsausdruck nicht entgangen war, „dass dich nur Farbenfein wieder durch das Farbentor in deine Welt bringen kann.“

      Der Maler schwieg einen Augenblick und senkte seinen Blick.

      „Warum habt ihr mir das nicht gesagt, bevor ich mit euch hierher gekommen bin?“, sah der junge Mann Pinsel, Feder und Block vorwurfsvoll an.

      „Weil du uns nicht gefragt hast!“, erwiderte Filomena. Sie konnte seinen Vorwurf nicht verstehen, da er ohnehin nichts an der Situation änderte. Vincent war froh, dass er von Barock noch gestützt wurde, denn auf sich alleine gestellt, hätten seine Beine bestimmt unter ihm nachgegeben und er wäre doch noch in den Teich gefallen. In seinem Inneren tobte ein Kampf. Enttäuschung, Ärger und Angst schienen ihn zu überwältigen, und er fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung durch sein verklebtes Haar.

      „Weil ich euch nicht gefragt habe“, schnaubte er, „oder weil ich sonst niemals hierher gekommen wäre?“

      „Bist du böse?“, wollte Pilobolus wissen.

      „Nein“, schüttelte Vincent seinen Kopf. „Ich bin fuchsteufelswild und fühle mich betrogen und hintergangen.

      „Ich werde es mir merken und …“

      „Und?“

      „Und es kommt nie wieder vor!“, versprach der Malpinsel feierlich und warf Vincent einen reuevollen Blick zu.

      „Was machen wir nun?“, warf Barock einen Blick in die Runde.

      „Als erstes werde ich meine Haare und Kleidung säubern, weil ich nicht länger wie Struwwelpeters Abziehbild aussehen möchte!“, erklärte Vincent und deutete auf seinen Kopf, und das, was einmal sein Hemd gewesen war.

      „Aber bitte nicht mit dem Wasser des Teiches!“, warnte Filomena.

      „Das werde ich erledigen!“, kündigte der Borstenpinsel hilfsbereit an und sah sich schnell nach geeigneten Farben um.

      „Nicht so schnell!“, hob Vincent schützend seine Hände über seinen verklecksten Haarschopf. „Hast du so etwas schon mal gemacht oder tust du es nur aus Selbstmitleid, um meinen Anblick nicht länger ertragen zu müssen?“, verengte er seine Augen.

      „Kannst du dir aussuchen, Vince!“, meinte der kleine Borstenpinsel frech und fügte grinsend hinzu: „Ich dachte, nur Mädchen wären eitel!“

      „Lass das Denken schön bleiben!“, riet Filomena.

      „Was willst du damit sagen?“, zischelte Pilobolus verschnupft.

      „Dass sich Denken und Pinsel ausschließen!“, wurde die Zeichenfeder deutlicher.

      „Schluss jetzt damit“, fuhr der Zeichenblock dazwischen. „Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns über Eitelkeiten auszulassen!“

      Wenigstens darüber waren sich die vier einig.

      „Trotzdem möchte ich meine Haare und Kleidung säubern, bevor wir uns dem Wichtigen widmen“, sagte Vincent bestimmt, „und angesichts der Tatsache, dass ich nun eine Zeichnung bin, wäre es vielleicht keine schlechte Idee, wenn Pilobolus …“

      „Sag’ ich doch!“, fiel ihm der Borstenpinsel ins Wort, betrachtete eingehend Vincents verkleckstes Haar und hob eine Strähne in die Luft.

      „Wie hättest du es denn gerne? Einmal Kürbis schälen ohne Augen ausstechen oder doch lieber klassisch à la Prinz Eisenscherz?“

      „Nicht komisch“, platzte es aus Vincent heraus, und er schob widerwillig Pilobolus’ Arm von sich. Was machst du da überhaupt?“

      „Ich studiere dich!“, erwiderte Pilobolus und tänzelte um den Maler herum.

      „Muss ich mir Sorgen machen?“

      „Nein. Ich überlege mir gerade, welche Farbe dein Haar hat.“

      „Da gibt es nichts zu überlegen“, gab Vincent zurück. „Es ist schwarz.“

      „Hmm!“, machte Pilobolus und bedachte Vincent mit einem unschlüssigen Blick. „Ich muss dir als Maler hoffentlich nicht sagen, dass schwarz nicht gleich schwarz ist!“

      „Und ich muss dir Besserwisser hoffentlich nicht sagen, dass es schwarz, schwärzer, am schwärzesten nicht gibt!“, konterte Vincent schnippisch. „Entweder etwas ist schwarz oder es ist nicht schwarz!“

      „Mag schon sein, dass es schwärzer und am schwärzesten nicht gibt!“, räumte Pilo ein, „doch es gibt sehr wohl Blauschwarz, Braunschwarz, Grauschwarz, Kohlschwarz und nicht zu vergessen – Kohlrabenschwarz!“

      „Hört auf, hört auf!“, schlug Barock beide Hände über seinem Kopf zusammen. „Wenn