Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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mit Zwiebelmuster.

      „Gern“, erwiderte Vincent und genoss es sichtlich, von ihr bedient zu werden. Ihr Besuch brachte ihm genau die Ablenkung, die er dringend brauchte, um sich von seiner Malwut und den mittelmäßigen Ergebnissen zu erholen. Monika schenkte den aromatischen Morgentrunk mit großer Geschicklichkeit ein und schob die schöne, zur Kaffeekanne passende Tasse samt Untertasse Vincent zu.

      „Danke, meine Liebe“, lächelte er und angelte sich ein Croissant, in das er hungrig hinein biss. Dann griff er nach seiner Tasse und genehmigte sich einen Schluck Kaffee. „So, und nun schieß los!“

      „Sofort“, erwiderte sie sanft sein Lächeln und musterte ihn eingehend mit ihren grauen Augen hinter dezent getuschten Wimpern, als versuchte sie abzuschätzen, wie er das, was sie ihm gleich sagen wollte, aufnehmen würde.

      „Macht es dir etwas aus, wenn ich zuvor noch kurz die Jalousien herunterlasse? Die Morgensonne blendet mich!“

      „Ja, es macht mir etwas aus!“, wollte Vincent rufen, da er Licht durchflutete Räume mehr als alles auf der Welt liebte und allein den Gedanken, in einem Raum mit heruntergezogenen Rollläden frühstücken zu müssen, unerträglich fand. Monika gegenüber erwähnte er jedoch kein Sterbenswörtchen und schüttelte nur stumm seinen Kopf. Das fasste sie als Zustimmung auf. Schnell erhob sich die junge Frau und bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze durch den Raum, um die Morgensonne mit ein paar Handbewegungen aus der Stube zu verbannen. Einen Augenblick später saß sie wieder neben ihm.

      „Du kannst deinen Beruf als Maler an den Nagel hängen, Vincent“, kam sie zur Sache. „Papa bietet dir eine Stelle als Kassier in seiner Bank an. Das ist zwar nicht das Gelbe vom Ei, aber ein Anfang. Von nun an musst du dich nicht mehr bei Wind und Wetter auf den Markt stellen, nur um deine lächerlichen Bilder zu verkaufen, die – unter uns – sowieso niemanden interessieren und auch kaum Geld einbringen. Wenn du dich erst einmal ins Tagesgeschäft eingearbeitet hast und fleißig arbeitest, steht einer Bankkarriere nichts im Wege. Das ist wirklich eine einmalige Gelegenheit, Vincent, die du unbedingt ergreifen musst. Stell dir nur vor, welche Möglichkeiten dir von nun an offen stehen, … uns offen stehen. Eine sichere Stelle in einem krisensicheren Unternehmen, ein regelmäßiges Einkommen und keine Diskussionen mehr mit Leuten, denen ihre Nasen in deinen Bildern nicht gefallen.“ Die junge Frau hielt kurz inne und warf dem Maler einen selbstgefälligen Blick zu. „Wir können endlich Pläne für die Zukunft schmieden. Für unsere Zukunft!“

      Vincent blieb bei ihren letzten Worten beinahe der Bissen im Hals stecken, und er begann laut loszuprusten. Ruckartig sprang er auf, so dass er beinahe seine Kaffeetasse umgestoßen hätte. Ihre Neuigkeiten legten sich wie eine Schraubzange um seinen Brustkorb, und er rang kurz nach Luft. Er liebte seine Bilder, hing an der Malerei, und allein bei dem Gedanken, Tag für Tag in Anzug und Krawatte hinter einem Schalter stehen zu müssen, zog sich sein Magen krampfhaft zusammen.

      Monikas Blick ruhte noch immer erwartungsvoll auf dem Maler, doch seine Miene war völlig ausdruckslos. Er wartete darauf, dass sie noch etwas sagte, doch sie schwieg und eine unangenehme Stille begann sich zwischen ihnen auszubreiten.

      „Was hältst du von Papas Vorschlag?“, fragte Monika nach einer Weile vorsichtig, da sie intuitiv spürte, dass sich seine Begeisterung in Grenzen hielt.

      Vincent, der ihre Befürchtung ihren Augen ablas, streckte eine Hand aus und legte sie sanft auf die ihre.

      „Das ist wirklich sehr … sehr großzügig von ihm“, begann er behutsam, um sie nicht zu verletzen. „Es ist nur …“, suchte er nach den richtigen Worten, „dass ich meine Arbeit mag … und … äh … gern Maler bleiben möchte.“

      „Heißt das, dass du Papas Angebot ausschlägst?“, erkundigte sich die junge Frau ungläubig.

      Vincent sah ihren fassungslosen Gesichtsausdruck und wünschte sich an einen weit entfernten Ort, um einer Antwort zu entgehen. Er wollte Nein sagen, er wollte alles tun, um sie glücklich zu sehen. Doch er konnte es nicht.

      „Ich fürchte, ja“, erwiderte er leise.

      Monika glaubte sich verhört zu haben. Sie begann leicht zu zittern, jeder Tropfen Blut wich aus ihrem Gesicht und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der Schock, den seine Antwort in ihr auslöste, saß so tief, dass sie einen Moment nur dasaß und keinen Laut von sich gab. Ihr Mund fühlte sich ganz trocken an und ihre Lippen waren so fest aufeinander gepresst, dass sie eine schmale, weiße Linie bildeten. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Fassung wiedergewann, aber sobald sie zur Gänze begriff, was er gerade gesagt hatte, beschloss sie, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Seine für sie demütigende Entscheidung wollte sie auf gar keinen Fall widerstandslos hinnehmen. Sie senkte kurz den Blick, damit er die Tränenschleier in ihren Augen nicht sehen konnte, und nachdem sie sich wieder gefangen hatte, schluckte sie das Nilpferd in ihrem Hals tapfer hinunter und sah ihn scharf an.

      „Verstehe“, stieß sie gepresst hervor, entzog ihm ihre Hand und verschränkte die Arme, um sich Halt zu geben. „Du ziehst also das Malen von Rotkäppchen, Rumpelstilzchen und Rübezahl einem großzügigen und äußerst gut gemeinten Angebot meines Vaters, der übrigens große Stücke auf dich hält, vor.“

      Der junge Mann nickte. Es fiel ihm schwer, ihr Kummer zu bereiten, daher senkte er schuldbewusst den Blick. In der Zwischenzeit versuchte Monika nachzudenken, wie sie ihn doch noch dazu bringen konnte, auf das Angebot ihres Vaters einzugehen.

      „Schau jetzt nicht auf den Boden, Vincent!“, fuhr sie ihn wütend an. „Sondern sag mir direkt ins Gesicht, dass du Papas Hilfe nicht willst!“

      Vincent war nicht unbedingt stolz auf seine Antwort, als er in ihre vor Zorn blitzenden Augen sah, doch er war froh, dass er für klare Verhältnisse gesorgt hatte. Dennoch fühlte er sich miserabel.

      „Ich will dir nicht weh tun, Moni“, begann er stockend. „Das musst du mir glauben. Dennoch kann ich das Angebot deines Vaters nicht annehmen. Weil ich kein Banker bin, sondern jemand, der die Welt mit Farbe und Pinsel einfängt. Oder es zumindest versucht“, fügte er im Stillen hinzu.

      „Du tust mir aber weh, wenn du dich wie ein Dummkopf benimmst“, sagte sie mit bebender Stimme, „und ich werde mein Leben nicht an jemanden verschwenden, der weltfremd in seinem Luftschloss sitzt und seinen hoffnungslosen Tagträumen nachhängt.“

      Vincent fühlte sich vom Kopf gestoßen. So sah sie ihn also. Als weltfremden Dummkopf. Es war, als zerbräche eine Welt in ihm, und seine Schuldgefühle wichen herber Enttäuschung. Mit einem Mal fühlte er sich unsagbar einsam neben ihr.

      „Ich lebe in keinem Luftschloss“, begann er tonlos. „Sondern in einem wunderschönen, alten Haus, das mir meine Großmutter hinterlassen hat, wie du weißt, und habe mich bis jetzt ganz gut ohne die Hilfe deines Vaters durchs Leben geschwindelt.“

      „Genau das ist der Punkt, Vincent!“, fiel ihm Monika ins Wort und legte beschwichtigend eine Hand auf seinen Arm. „Du schwindelst dich durch dein Leben, so gut es eben geht, aber du lebst es nicht!“, fügte sie hart hinzu.

      Vincents unglückliche Miene ließ sie kurz verstummen. Da sie nicht sicher war, auf dem richtigen Weg zu sein, ihn von seiner unvernünftigen Haltung abzubringen, beschloss sie, mit stärkeren Geschützen aufzufahren.

      „Wie viele deiner Märchenbilder hast du diese Woche verkauft?“, fragte sie herablassend, obwohl sie die Antwort genau kannte.

      „Das weißt du“, erwiderte Vincent verbittert und senkte seinen Blick, damit sie nicht sah, wie sehr ihm die Frage zusetzte.

      „Keines!“, stellte Monika nüchtern fest und funkelte ihn aus grauen Augen an.

      Und warum?“, bohrte sie weiter und konnte den aufgestauten Zorn in ihrer Stimme nicht mehr unterdrücken. Vincent sagte nichts und wollte auch nichts mehr hören. Aber Monika fuhr aufgebracht fort.

      „Vielleicht weil sich niemand für diesen Kinderkram interessiert?“, fragte sie spitz, und warf ihm schell einen Blick zu, damit ihr seine Reaktion nicht entging.

      Vincents