Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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junge Mann neben ihr dermaßen geknickt, wie sie es noch nie erlebt hatte.

      „Ich werde es überleben“, versuchte er zu lächeln. „Das Geld für deine Arbeit im Haus werde ich selbstverständlich pünktlich bezahlen, sobald ich die neue Stelle habe.“

      „Ach, Jungelchen“, tätschelte Dora liebevoll seinen Arm, „mach dir doch deswegen keinen Kopf. Ich bin auf dein Geld nicht angewiesen, da ich mein eigenes habe. Wegen mir musst du die Märchenmalerei nicht aufgeben!“

      „Aber wegen Oma!“, biss Vincent seine Zähne zusammen und kämpfte gegen das aufsteigende Gefühl seiner inneren Hoffnungslosigkeit. „Was würde sie wohl sagen, wenn ich ihr Häuschen verkaufen müsste, weil ich nicht imstande bin, die Rechnungen dafür zu bezahlen!“

      „Weiß nicht!“, erwiderte die Haushälterin und sah ihn mit einem undeutbaren Blick an. „Was ich jedoch mit Sicherheit weiß, ist, dass sie dein Vorhaben, die Malerei aufzugeben, niemals gutgeheißen hätte!“

      Vincent schluckte und starrte auf den Boden. Tatsächlich wäre seine Großmutter niemals damit einverstanden gewesen.

      „Wann beabsichtigst du denn deine …“, Dora hielt kurz inne, „deine Stelle als Finanzgenie anzutreten?“

      „Es gibt keinen festen Termin, weil ich Monika gesagt habe, ich müsste noch in aller Ruhe darüber nachdenken, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffe.“

      „Hört sich vernünftig an“, erwiderte die ältere Frau und stand auf. „Ich muss wieder ins Haus, noch ein paar Dinge erledigen.“

      „In Ordnung!“, murmelte Vincent und sah zu ihr auf.

      Sie erwiderte seinen Blick und fand, dass sein Gesichtsausdruck nicht mehr ganz so verzweifelt wie am Anfang ihres Gespräches war.

      „Danke, dass ich meinen Seelenschrott bei dir abladen durfte“, verzog Vincent seine Lippen und brachte den Anflug eines Lächelns zu Stande.

      „Fällt unter erneuerbare Energien“, zwinkerte sie ihm zu, während ein gutmütiges Lächeln über ihre Gesichtszüge huschte.

      Dann stand sie auf, um ins Haus zu gehen. Kurz sah er ihr hinterher und beglückwünschte sich im Stillen, in Dora eine so wertvolle Stütze nach dem Tod seiner Großmutter gefunden zu haben. Als ob sie seinen Gedanken erraten hätte, steckte sie nochmals kurz ihren Kopf heraus und richtete ihren Blick auf ihn.

      „Was auch immer geschieht, Vince“, versuchte sie ihm erneut Mut zu machen, „lass dich von niemandem unter Druck setzen. Und sollte es ganz dick kommen, habe ich auch noch ein paar Scheinchen auf der hohen Kante liegen, um das Schlimmste zu verhindern.“

      „Kommt überhaupt nicht in Frage“, entgegnete Vincent verlegen. Nicht, dass er undankbar für ihr Angebot sein wollte, doch er schuldete ihr bereits mehr als genug und wollte ihre Großzügigkeit nicht noch mehr ausnutzen. Wieder musste er Monika in Gedanken Recht geben. Es wurde höchste Zeit für ihn, erwachsen und mit seinen Problemen allein fertig zu werden.

      Nachdem Dora wieder im Haus verschwunden war, beschloss Vincent ein wenig zu arbeiten. Er holte aus seinem Atelier Staffelei, Pinsel und Farben, um ein Bild von Herbstblumen zu malen. Die Chrysanthemen in seinem Garten boten ein wunderschönes Spektrum warmer Farben, und da er Gelb-, Orange- und Rottöne besonders gern mochte, war die Wahl seines Motivs schnell getroffen. Stolze Blumenköpfe, die strahlenförmig wuchsen und Vincent an kleine Sterne erinnerten, wurden von ihm gekonnt auf Papier eingefangen. Der junge Mann lächelte zufrieden, während sein Blick auf seinem Bild ruhte. Er mochte Blumen. Ihr Leuchten, ihren Duft, ihre Farben. Und er liebte den Herbst. Seine unglaubliche Energie und Kunstfertigkeit, den Sommer in seinen Farben erstarren zu lassen. Plötzlich hielt der Maler inne und staunte nicht schlecht, als er mitten im November einen bunten Boten des Frühlings entdeckte. Das war außergewöhnlich, obwohl es für die Jahreszeit noch ziemlich warm war.

      Ein Schmetterling im Farbton der Chrysanthemen tänzelte verspielt durch Vincents Garten und fand das völlig normal. Der junge Mann streckte eine Hand nach ihm aus, und tatsächlich setzte sich das filigrane Tier unverhofft auf seinen Zeigefinger, um eine kleine Pause einzulegen. Fein und zart hoben und senkten sich seine Flügel in sanften Schwingungen. Und unversehens – mit derselben Leichtigkeit, mit der er gekommen war – erhob er sich plötzlich von Vincents Hand und flatterte davon. Der Maler sah ihm sehnsüchtig nach und wünschte, sich mit derselben Eleganz in die Lüfte zu erheben und davon treiben zu lassen. Irgendwohin, wo immer die Sonne schien, und es keine grauen Wolken gab, welche die Sicht auf den Himmel versperrten.

      „Vince, du hast Besuch!“, wurde er von Doras Stimme aus seinen Gedanken gerissen, worauf er sich überrascht zu ihr umdrehte.

      „Was will er und warum von mir?“, grummelte er, weil er niemanden sehen wollte.

      „Frag sie das selbst!“, erwiderte die ältere Frau mit einem rätselhaften Lächeln auf den Lippen.

      „Sie?“, runzelte Vincent seine Stirn und sein Atem setzte kurz aus, da er befürchtete, Monika wäre zurückgekommen.

      „Deine Freundin ist es nicht!“, zerstreute Dora schnell seine Befürchtungen.

      „Sondern?“, fragte Vincent neugierig.

      „Errätst du nie!“, machte es seine Haushälterin spannend.

      „Wie viele Versuche hab’ ich?“

      „Einen“, erwiderte Dora. „Aber nur, wenn du dich beeilst!“

      „Okay“, rief Vincent ernst. „Ich tippe auf ... auf den Osterhasen, der die Weihnachtsgeschenke in diesem Jahr bereits im November bringt. “

      „Der Osterhase bringt keine Weihnachtsgeschenke“, lächelte die ältere Frau Kopf schüttelnd.

      „Vielleicht ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk?“, wollte Vincent wissen.

      „Bekommst du auch nicht.“

      „Was dann?“

      „Wie wäre es mit einem Lächeln aus goldenen Augen?“, machte es Dora spannend.

      „Ein Lächeln aus goldenen Augen?“, murmelte der junge Mann ratlos und blickte seiner Haushälterin wie vom Donner gerührt ins Gesicht, als ihm ein Licht aufging.

      „Du meinst … du meinst doch nicht etwa das Mädchen vom Markt?“, stammelte er aufgeregt, während er aufmerksam Doras Miene im Auge behielt.

      „Sie und keine andere“, bestätigte die ältere Frau.

      Vincent fühlte sich einen Augenblick lang wie gelähmt und blickte seine Haushälterin sprachlos an. Unzählige Male hatte er sich in Gedanken ein Treffen mit dem geheimnisvollen Mädchen ausgemalt und jetzt stand sie vor seiner Tür und wollte zu ihm.

      „Brücke an Kirk!“, fuchtelte Dora mit ihren Händen vor seinem Gesicht. „Willst du weiter Löcher in die Luft starren oder soll ich die junge Dame hereinbitten, damit wir endlich erfahren, wer sie ist was sie von dir will?“

      Die unverhohlene Neugier seiner Haushälterin entlockte dem Künstler ein kleines Schmunzeln.

      „Kirk an Brücke!“, richtete sich der junge Mann auf. „Beam sie raus!“

      „Mach ich!“, zupfte ein kleines Lächeln auch an Doras Lippen und sie verließ ohne weiteres Wort den Garten, um das Mädchen mit den goldenen Augen in Vincents Garten zu führen.

      Ungeduldig fieberte Vincent seiner Begegnung mit dem Mädchen vom Markt entgegen, während sein Blick ruhelos über die Herbstzeitlosen glitt und seine Ungeduld ins Unermessliche wuchs. Als er kurz darauf Stimmen vernahm, wandte er sich abrupt von den Blumen ab. Lautlos trat seine Besucherin in den Garten hinaus, während er sich gleichzeitig zu ihr umdrehte. Vincent hielt einen Augenblick lang seinen Kopf gesenkt, als hätte er Angst davor, ihr ins Gesicht zu sehen, doch dann richtete er sich auf und blickte ihr direkt in ihre goldenen Augen.

      Bewegungslos stand sie da und wirkte fast ein wenig verunsichert, so