Sabine-Franziska Weinberger

Der Märchenmaler


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Punkt in seinem Leben, da er als Künstler nicht so viel verdiente, wie er brauchte, um seine Rechnungen zu bezahlen. Das Haus, das ihm seine Großmutter hinterlassen hatte, verschlang große Summen, und seine finanziellen Reserven schmolzen dahin. Der Erlös, den seine Bilder und Porträts einbrachten, reichte oft nicht einmal aus, um sein Essen zu bezahlen. Der junge Mann schauderte bei dem Gedanken an sein finanzielles Fiasko, war aber trotzdem nicht bereit, seinen Standpunkt aufzugeben.

      Monikas feine Antennen schienen dies zu spüren, daher beschloss sie, ihren letzten Trumpf auszuspielen.

      „Deine Ersparnisse und das bisschen Geld, das dir deine Großmutter hinterlassen hat, werden nicht ewig reichen, Vince. Leider wirst du mit dem Verkauf deiner Bilder ihr Haus nicht behalten können!“, betonte sie eindringlich und war davon überzeugt, dass die sorgsam gewählten Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Das taten sie auch nicht. Vincent fühlte sich bis ins tiefste Innere elend. Der Stich in seiner Brust tat nicht halb so weh, wie das Gefühl, ein kompletter Versager zu sein. Das Schlimmste war, dass seine Freundin Recht hatte. Bald war er tatsächlich nicht mehr in der Lage, seine finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen. Resignierend spürte er, wie Monika seine Hand tätschelte.

      „Ich weiß, es hört sich schrecklich an“, raunte sie ihm selbstgefällig zu, „aber vielleicht denkst du noch einmal in aller Ruhe über das Angebot meines Vaters nach.“

      Vincent sagte nichts. Er saß einfach nur da. Beklommen. Benommen. Besiegt.

      „Ich meine es gut mit dir. Wirklich!“, brach sie nach einer Weile das drückende Schweigen und warf ihm einen scheinbar mitfühlenden Blick zu.

      Vincent schluckte. „Ich weiß“, würgte er heraus, versuchte noch etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton mehr hervor.

      „Dann gehe ich wohl besser, damit du dir die Sache gründlich durch den Kopf gehen lassen kannst“, kündigte sie mit einem siegesbewussten Lächeln auf den Lippen an und hauchte Vincent zum Abschied ein Küsschen auf die Wange. „Mitunter ringt uns das Leben schwere Entscheidungen ab, aber eine Banklaufbahn bedeutet nicht, dass du nie mehr einen Pinsel anrühren darfst.“

      „Schon klar“, erwiderte Vincent leise und zog nachdenklich seine Stirn in Falten. Vielleicht war es wirklich an der Zeit etwas Neues anzufangen. Einen Augenblick später stand er auf, um sie zur Tür zu begleiten. Auf der Schwelle blieb sie kurz stehen und sah ihm selbstgefällig ins Gesicht. „Du musst dich nicht sofort entscheiden“, meinte sie großzügig. „Allerdings wird Papa nicht ewig auf dich warten.“

      „Ich werde darüber nachdenken“, versprach Vincent leise.

      „Tu das“, erwiderte sie zufrieden und wollte sich umdrehen. Dann hielt sie unvermittelt inne. „Werd’ endlich erwachsen, Vincent!“, bat sie ihn mit eindringlicher Stimme. „Wenn schon nicht dir, dann wenigstens mir zuliebe.“

      Mit diesen Worten fuhr sie auf dem Absatz herum und stöckelte davon. Vincents Blick blieb niedergeschlagen auf ihrem Rücken kleben. Nachdem sie außer Sichtweite war, beschloss er ein wenig die Vormittagssonne in seinem Garten zu genießen. Denn was er nun ganz dringend brauchte, war frische Luft und viel Sonnenschein.

      2 Aufstand der Farben

      „Das schlimmste Übel, an dem die Welt leidet, ist nicht die Stärke der Bösen, sondern die Schwäche der Guten.“

      Romain Rolland, französischer Schriftsteller und Nobelpreisträger (1866-1944)

      Vincent saß auf seiner Gartenbank und seufzte leise, während ein frischer Wind verspielt seine Haare zauste. Für November war es noch ungewöhnlich warm. Der Himmel leuchtete in seinem schönsten Blau und lediglich ein paar Wölkchen, die wie duftige Schäfchen aussahen, zogen über ihm hinweg. Doch der junge Maler würdigte sie keines Blickes. Seine Augen brannten aufgrund des Schlafmangels der letzten Nächte und sein Kopf drohte vor Schmerz zu zerplatzen. Die aufschießenden Hochhäuser um ihn herum erschienen ihm wie verfaulte Zähne in einem riesigen Schlund, der danach trachtete, ihn gierig zu verschlingen. Zwischen den Betonriesen wirkte sein Haus mit den verspielten Zwiebeltürmchen und Erkern wie ein verwunschenes Schlösschen aus einem alten Märchen.

      Einige Bilder aus Rapunzel, Hans im Glück und König Drosselbart zierten die Vorderfront des Hauses, welche Vincent ein Jahr vor dem Tod seiner Großmutter liebevoll mit Farbe aufgefrischt hatte, da sie von der Sonne schon ziemlich ausgebleicht waren.

      „Das Leben ist das schönste Märchen“, stand in großen, geschnörkelten Buchstaben über der wuchtigen Eingangstür geschrieben, und der erste Eindruck, den das Haus vermittelte, war beinahe zu zauberhaft, um echt zu wirken. Unglücklicherweise war Vincent jedoch kein Prinz, sondern mehr ein Bettelknabe, der sich in argen finanziellen Nöten befand. Und diese Tatsache schnürte ihm die Kehle zu. Daran änderten auch die wärmenden Strahlen der Morgensonne und der würzige Duft bunter Blätter und warmer Erde nichts. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu seinem Gespräch mit Monika, und je mehr er darüber nachdachte, musste er ihr im Stillen Recht geben. Er war tatsächlich ein hoffnungsloser Träumer, der immer mehr Gefahr lief, alles zu verlieren, was ihm lieb und teuer war, wenn er nicht rechtzeitig dagegen steuerte.

      „Verflixtes Geld!“, hörte er sich jammern und seine Stimme kam ihm irgendwie fremd vor.

      „Na, was müssen meine alten Lauschläppchen hören?“, wurde er von seiner Haushälterin getadelt, die leise hinter ihn trat.

      „Ach, Dora“, beklagte sich Vincent geknickt, „das Leben ist so, ist so ... ungerecht!“

      Auch ohne in sein Gesicht zu sehen, wusste die ältere Frau, dass ihn materielle Sorgen quälten. Seine Gesichtszüge waren angespannt, und zwischen seinen Augenbrauen entdeckte sie eine tiefe Furche, ein eindeutiges Zeichen für seinen Kummer, als er sich zu ihr umdrehte.

      „Möchtest du dich einen Moment zu mir setzen?“, fragte er leise.

      Er wirkte müde und traurig, und sie fragte sich stumm, ob sein Frühstücksbesuch dafür verantwortlich war.

      „Gern“, antwortete die ältere Frau und nahm neben ihm auf der Gartenbank Platz. „Willst du mir nicht erzählen, was dich so bedrückt?“

      Vincents Haltung verspannte sich unmerklich und ein Muskel zuckte in seiner rechten Wange.

      „Ich werde mit dem Malen aufhören und eine Stelle als Kassier in der Bank von Monikas Vater annehmen“, teilte er seiner Haushälterin freudlos mit und empfand dabei eine unglaubliche Leere.

      „Wie bitte?“, rief Dora erschrocken und bedachte ihn mit einem entsetzten Blick. Sie wusste, wie viel Vincent die Malerei bedeutete, wie sehr er an seinen Bildern hing, und die Seele tat ihr weh, mitansehen zu müssen, wie der Junge neben ihr litt. Deswegen nahm sie sich vor, ihn von seinem Vorhaben gleich wieder abzubringen, obwohl es sonst nicht ihre Art war, sich in seine Angelegenheiten einzumischen.

      „Stammt dieser Schwachsinn von dir oder Miss Sparkasse?“, erkundigte sie sich scheinbar ruhig.

      „Monika hat mir heute die Augen geöffnet“, erklärte Vincent deprimiert. „Und mir klar gemacht, dass ich mit dem Geld, das ich als Künstler verdiene, auf längere Sicht meinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann. Ich werde alles verlieren, wenn nicht bald mehr Kröten hereinhüpfen, das Haus, den Garten, alles, … dich.“

      „Nur keine falschen Hoffnungen“, versuchte sie zu beruhigen, „so schnell wirst du mich nicht los!“, lächelte sie liebenswürdig.

      Die Äste und Zweige des Baumes über ihnen, die sich im Herbstwind sanft wiegten, warfen unruhige Schatten auf ihr vertrautes Gesicht, doch Vincent schenkte dem keine Beachtung.

      „Noch hast du ja Butter auf dem Brot“, fuhr sie unbeirrt fort.

      „Die Frage ist nur, wie lange noch!“, seufzte Vincent, während er das Gefühl hatte, einen Elefanten auf ihm sitzen zu spüren.

      „Ich glaube zwar nicht, dass meine Meinung eine Rolle spielt, fände