Hubert Schönwetter

I'm a Man


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einen reißenden Fluß überqueren. Mein Orientierungssinn war eigentlich immer ganz gut. Trotzdem der Vollmond den Wald etwas heller als normal beschien und wir mit Kompass und Karte ausgestattet waren, gelang es uns nicht, das vorletzte Ziel zu finden. Nachher hörte ich, dass wir die Einzigen gewesen waren, die es nicht gefunden hatten. Andererseits waren wir aber die Einzigen gewesen, die das Ziel Nummer fünf gefunden hatten, sonst niemand. Jedenfalls irrten wir die halbe Nacht durch den Wald. Immer wieder kamen wir an Stellen, an denen wir schon vorher vorbei gelaufen waren. Mir ging der Song Can‘t find my way home von Steve Winwood und Eric Clapton nicht mehr aus dem Kopf. Erst gegen Morgen fanden wir zurück in unser Lager. Man wollte uns schon suchen lassen.

      Obschon ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, ging ich am nächsten Abend aus. Zunächst alleine in eine Stripbar der nächst größeren Stadt. Da hätte ich meine Brille gut gebrauchen können, die ich aber vergessen hatte. Aber ich hatte noch meine Sonnenbrille, die auch geschliffene Gläser in meiner Stärke hatte. Ich saß ganz vorne an der Bühne der schummerigen Bar mit dunkler Sonnenbrille. Das sah unheimlich cool aus. Man hätte meinen können, dass ich zum Milieu gehörte und kein Gast war. Aber einige Soldaten aus meiner Kaserne waren auch in die Bar gekommen und erkannten mich. Na ja, was solls! Die Show der zwei Mädchen auf der Bühne war ganz nett, eine warf mir zum Ende noch ihren Slip zu. Soll das eine Aufforderung gewesen sein? Ich glaubte nicht. Jedenfalls kam sie dann splitterfasernackt (was für ein schönes Wort!) zu mir, bedankte sich für das Aufbewahren und nahm ihn wieder mit. Danach ging ich mit den anderen Kollegen mit in ein Wirtshaus in der Nähe der Kaserne. Der große Gastraum war brechend voll, ausnahmslos Soldaten, die meisten in Uniform. Das Bier floss in Strömen. Hier lernte ich die Grundlagen des Pokerns kennen. Wir spielten nur um Pfennig-Beträge, es ging ja nur um den Spaß. Bald wurde ich sehr müde, dem Bier und der letzten Nacht geschuldet. Ich versuchte, die Augen offen zu halten, aber es wurde immer schwieriger. Ich führte Selbstgespräche, die für die anderen wie ein Brabbeln gewirkt haben mussten – wobei sie mir sicher nicht zugehört haben.

      Irgendwann wachte ich auf. Der Gastraum sah aus wie ein Schlachtfeld. Es muss eine große Schlägerei stattgefunden haben, überall lagen Glasscherben und Teile von Stühlen herum. Der einzige Tisch, der noch einigermaßen in Ordnung aussah, war der meine. Ich hatte die ganze Rauferei verschlafen! Die Kollegen aus meiner Kompanie waren noch fähig, selbständig zu gehen, so dass wir uns nun auf den Rückweg zur Kaserne machten. Die Zeit zum Morgenapell wurde knapp und der Weg über den Hintereingang der Kaserne hätte viel Zeit erspart. Der Hintereingang war ein verschlossenes Tor, genauso hoch wie der normale Zaun, oben mit Stacheldrahtrollen gesichert. Die anderen kletterten alle da rüber, erstaunlicherweise ohne größere Probleme. Das musst du dann auch machen, sagte ich mir. Als ich ganz oben war, verlor ich das Gleichgewicht. Ich schwankte, und wenn ich normal über den Stacheldraht gesprungen wäre, wäre ich bestimmt darin hängen geblieben und mich hätte es böse erwischt. Es gab keine andere Möglichkeit. Also fasste ich mit beiden Händen in den Stacheldraht, stützte mich darin etwas ab und schwang mich seitlich über die Stacheldrahtrolle. Dabei riss ich sogar den Stacheldraht mit ab. Erstaunt standen die anderen um mich herum. Ich saß auf dem Boden und schaute meine beiden Hände an. Überall waren sie aufgerissen und das Blut floss. Jemand hatte ein Erste-Hilfe-Set dabei und ich wurde notdürftig verbunden. Weiter ging es zum Appell, wo die anderen Soldaten sich gerade bereit machten. Der Hauptfeldwebel, der selber mit im Wirtshaus gewesen war, hielt eine Anprache, die viel länger und launiger war als sonst, dabei schwankte er wie ein Stehaufmännchen. Seine Füße bewegten sich nicht vom Fleck, der Rest des Körpers rollte kreisförmig darum herum. Und er fiel nicht um. Hauptfeldwebel sind für solche Anlässe ungeheuer gut trainiert. Ich verabschiedete mich alsbald in den Sanibereich, wo ich gut versorgt wurde. Es wundert mich heute noch, dass ich keine wirklich schlimmen Verletzungen erlitten habe.

      Für die Wehrpflichtigen war die Zeit des Abschieds gekommen. Es wurde ein großes Besäufnis. Ich war die Z-Sau, die noch bleiben musste. Es erfasste mich große Wehmut, endlich wieder in der freien Welt leben zu dürfen und ich beneidete die anderen sehr.

      Night train blues

      Es gibt Schauspieler, die aufgrund Ihres Aussehens und ihrer Erscheinung nur Bösewichte spielen können, wie z.B. Orson Welles. Und es gibt welche, die nur Gute und Brave spielen können, wie z.B. Cary Grant. Und dann gibt es welche, die fast alle Rollen übernehmen könnten, weil sie ein durchschnittliches Gesicht haben, weder besonders hässlich, noch besonders schön sind. Sie sind verwechselbar, auch weil sie keine besonderen Merkmale haben und weil man sie nicht einem besonderen Typus zuordnen kann. Einerseits sind sie durchschnittlich im Aussehen, andererseits können sie gerade deshalb sehr viel mehr differenziertere Rollen spielen, sie sind nicht auf eine festgelegt. Nicole Kidman ist nicht ausgesprochen schön, aber eine umwerfend vielseitige Schauspielerin. Sie kann die Böse und die Gute genau so gut spielen, man nimmt ihr das ab. In vielen ihren Filmen erkennt man sie am Anfang oft nicht gleich. Wer ist das denn? fragt man sich. Und dann, ah Nicole Kidman! Schaut wieder ganz anders aus.

      Nachdem ich im Norden ein paar Tage Urlaub verbracht hatte, reservierte ich für den Nachtzug von Hamburg nach Nürnberg in einem Liegewagenabteil einen Platz. Ich glaube, heute gibt es gar keine Liegewagen mehr (ich bin schon lange nicht mehr mit dem Zug gefahren). Im Liegewagen gab es sechs normale Sitzplätze, je drei einander gegenüber. Wenn man die Sitzfläche zur Mitte hin auszog, senkte sich gleichzeitig das Rückenteil auch waagerecht, so dass eine durchgehend ebene Liegefläche im Abteil entstand, wenn man alle Sitze auszog. Bei sechs Personen war die Liegeposition schon sehr eng, aber bei drei bis vier Personen konnte man sich bequem ausstrecken.

      Mir gegenüber, am anderen Fensterplatz, saß eine attraktive Frau, ein paar Jahre älter als ich. Sie hatte eine außergewöhnliche Ähnlichkeit mit Nicole Kidman. Überdurchschnittlich, aber nicht außergewöhnlich, hübsch, groß und gute Figur, ihr Gesicht ebenmäßig, keine besonderen Merkmale, trotz allem irgendwie durchschnittlich. Sie hatte hellbraune, etwas ins rötlich gehende, mittellange Haare, graublaue Augen und war mit einem kurzen Rock und Shirt bekleidet. Wenn ich sie heute wieder treffen würde, vermutlich würde ich sie nicht wieder erkennen. Langsam füllte sich unser Abteil und der Zug fuhr los.

      Der Nachtzug war planmäßig etwa 8 Stunden unterwegs, deshalb wollte ich es mir so gemütlich wie möglich einrichten. Walkman, iPod, MP3-Player, Internet, Smartphone? Alles Zukunftsmusik! Was hat man damals sonst gemacht? Bücher gelesen. Ich hatte ein Taschenbuch mit Kurzgeschichten von Hemingway dabei. Mein Gegenüber, sie hieß Nicole, wie ich später erfuhr, vertiefte sich in ein Rätselheft. Der neben ihr sitzende ältere Herr hatte sich kurz in den Speisewagen verabschiedet. Auf dem Gang vor dem Abteil war ein ständiges Gehen und Kommen. Ein junger Mann von draußen hatte offensichtlich großes Interesse an Nicole, beugte sich ins Abteil und sprach sie an. Sie sagte ihm, dass der Platz neben ihr besetzt sei. Er meinte, das er sich nur kurz hinsetzen würde. Nicole war eigentlich sehr kühl allen gegenüber, aber der Mann sprach sie immer wieder mit neugierigen Fragen an. Sie antwortete mit der Zeit offener und freundlicher. Ich fand den Kerl ziemlich nervig und verstand nicht, was sie an ihm fand. Sie war immer noch mit dem Rätselheft beschäftigt und fragte ihn:

      „Wer oder was war ein Argonaut im alten Griechenland?“

      Er antwortete „Ich wußte gar nicht, dass die Griechen auch schon im Weltall rumgeflogen sind.“

      Für einige Sekunden wurde es sehr still. Dann sagte sie „Ach nein, Astronauten waren nicht gemeint. Aber das war schon ziemlich schwer, vielleicht kannst du mir bei einem anderen Rätsel helfen? Wie nennt man einen Zeitraum von 1000 Jahren?“

      „1000 Jahre? Keine Ahnung, so lange lebt doch kein Mensch!“

      Nun konnte man das Niveau des Mannes schon deutlich einschätzen. Ein Mitreisender antwortete: Millenium.

      „Milli..., klingt irgendwie nach saurer Milch.“

      Damit war schon alles klar.

      „Vielleicht noch was anderes: Wie heißt die Erzählerin aus Tausend und eine Nacht?“ fragte ihn Nicole.

      „Tausend und eine Nacht! Also, eine Nacht mit Dir würde mir erstmal reichen.“

      „Mann, bist du ein Arsch, schau bloß, dass du verschwindest!“ Nicole