Hubert Schönwetter

I'm a Man


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schaute sie mich an.

      „Tut mir leid, ist vielleicht etwas spät und unpassend, aber ich fand es ganz interessant.“

      Sie verzog das Gesicht, was wohl ihr Missfallen zum Ausdruck bringen sollte. Ich beeilte mich, meine Aussage zu relativieren: „Ich meinte nicht den blöden Kerl, sondern deine Fragen, beziehungsweise im Allgemeinen die Rätsel – vielleicht willst du ja mit uns weitermachen?“

      Damit war sie einverstanden.

      „Na, versuchen wir es vielleicht noch einmal“ sagte sie. „Wie nennt man ein Ereignis ohne eigenes Zutun?“

      Großes Nachdenken aller, Hand an die Stirn, den Kopf Richtung Himmel – oder zu Boden.

      Ich meldete mich „wenn ein Fremder ein Abteil betritt, in das er nicht gehört, und dann auch noch nette Damen belästigt.“

      Sie schmunzelte und, ich glaube, sie wurde etwas rot.

      Ich fügte noch hinzu „Ein Ereignis mit eigenem Zutun ist dagegen, wenn die nette Dame ihn aus gutem Grund aus dem Abteil wirft. Passt doch?“

      „Na ja, ganz knapp daneben“ grinste sie. „Es war der Zufall gesucht.“

      „Ist dann das auch ein Zufall, dass wir uns heute getroffen haben? Erstmal schon. Aber wenn jetzt dieser Kerl nicht aufgetaucht wäre und wegen ihm unsere Unterhaltung so in Gang gekommen ist, so haben wir eigentlich nichts dazu getan, aber er schon.“

      „Hm, eine interessante Frage, fast philosophisch.“

      Ein anderer warf ein „Es ist alles nur Zufall, was passiert.“

      Ich entgegnete „Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass ich jetzt im Zug nach Hannover fahre.“

      „Wahrscheinlich ist es Zufall, dass Sie geboren wurden, also ist es auch Zufall, dass Sie jetzt hier sind.“

      „Ich möchte lieber mit den Rätseln weitermachen, wie heißt denn in der griechischen Mythologie der dreiköpfige Wachhund an den Pforten der Unterwelt?“ fragte ich.

      Da fühlte sich der Zufalls-Vertreter anscheinend indirekt angesprochen, zog ein beleidigtes Gesicht und sprach den Rest der Fahrt kein Wort mehr.

      „Cerberus ist der Name dieser interessanten Gestalt“ lachte Nicole. „Jetzt nur noch eine allerletzte Frage, was ist das Symbol für Fruchtbarkeit im ... Ne, wartet mal, vielleicht besser eine andere Frage ... hier, nochmal zur Antike, inwieweit war Poseidon mit Zeus verwandt?“

      Ich war mir ziemlich sicher „Er war sein Bruder.“

      Die Anderen glaubten das nicht und fragten Nicole nach der richtigen Antwort. Sie blätterte um und suchte die Auflösung, merkte aber, dass die entsprechende Seite herausgerissen worden war.

      „Tja, tut mir leid, da fehlt eine Seite. Jetzt werden wir in Zukunft damit leben müssen, diese Frage nicht beantworten zu können.“

      „Doch, ich bin mir sehr sicher, er war sein Bruder. Und der Gott der Unterwelt, Hades, war auch sein Bruder, dazu hatte er noch einige Schwestern. Und er hatte unzählige Geliebte und mit denen wieder eine ganze Schar von Kindern. Doch, die griechischen Götter waren einfach menschlicher als unsere. Ah, als unserer.“

      „Ich glaube wirklich, damit beenden wir jetzt besser das Thema“ verkündete Nicole.

      Und es wurde wieder ruhig im Abteil. Nach wenigen Minuten hielten wir zum ersten Mal und zwei der Mitfahrer verließen uns. Wir waren froh, dass kein anderer Passagier zu uns ins Abteil kam, so konnten wir anschließend die Sitze zu einer bequemen Liegefläche verwandeln. Zuvor machten wir uns noch frisch, Nicole kam mit Trainingshose und Pulli vom Waschraum zurück. Ihr schien das peinlich zu sein, sich schlampig in der Öffentlichkeit zu zeigen. Aber wir waren uns einig, dass Bequemlichkeit wichtiger war, schließlich hatten wir fast die ganze Nacht noch vor uns. Wir waren vier Personen und mussten uns die potenziell vorhandenen drei Liegeplätze aufteilen. Da die Liegefläche im Abteil durchgehend war, funktionierte das ganz gut. Die zwei Mitfahrer teilten sich die halbe Fläche, Nicole und ich die andere, wobei sie den Platz direkt am Fenster nahm und ich, ihr gegenüber, gleich daneben. Wir streckten uns aus, aber es war mir unangenehm, meine Füße neben ihren Kopf zu legen, deshalb fragte ich sie, ob es für sie angenehmer wäre, wenn ich mich neben sie, Kopf an Kopf, legen würde. Dem stimmte sie mit sichtbarer Erleichterung zu.

      Sie drehte sich zur Seite zum Fenster und ich blieb erst einmal auf dem Rücken liegen. An Schlaf war nicht zu denken. Die ungewohnte Situation mit fremden Menschen verlangte doch etwas mehr Zeit zum Einschlafen. Nicole war auch unruhig, drehte sich wieder zu mir um und sah mich aus unmittelbarer Nähe an. Ich wandte mich etwas zu ihr und lächelte sie beruhigend an.

      Sie sagte „Es zieht etwas am Fenster, mir ist kalt.“

      „Wir können gerne den Platz tauschen, wenn du möchtest.“

      „Wenn es dir nichts aus macht, aber ist es dir dann nicht zu kalt?“

      „Im Moment ist es mir eigentlich richtig warm. Tauschen wir.“

      Ich schickte mich an, mich irgendwie über sie drüber zu balancieren, was wegen der Enge aber nicht so einfach war. Gerade als ich über ihr war, fast auf ihr lag, meinte sie:

      „Halt halt, so geht das nicht, ich möchte nicht, dass du über mir bist!“

      „Tut mir wirklich leid, das wollte ich nicht so, aber …“

      „Geh wieder zurück, ich steig oben drüber.“

      Ich legte mich wieder auf den Rücken, sie hangelte sich über mich, ich rutschte ein Stück Richtung Fenster, sie etwas weiter über mich und ließ sich leicht angestrengt auf meinem vorherigen Platz nieder. Wir beide fanden diese Nähe spürbar intim, aber durch unsere relative Fremdheit waren wir sehr zurückhaltend. Wir versuchten, die richtige Schlafposition zu finden, beide zunächst auf dem Rücken. Es dauerte nicht lange, dann drehten wir uns beide den Rücken zu. Bald darauf drehte sie sich wieder mir zu, neben ihrem Kopf lagen die Füße des anderen Passagiers. Ich konnte nicht einschlafen, drehte mich Nicole zu. Wir sahen uns länger in die Augen, schlossen sie wieder. Nicht lange, dann sahen wir uns wieder an, ganz nah. Ihr Atem hauchte über mein Gesicht.

      „Gute Nacht, schlaf gut!“ sagte sie zu mir.

      „Gute Nacht, du auch.“

      Die Mitreisenden schienen ruhig zu schlafen. Augen zu und an irgend etwas Langweiliges denken, irgendwelche gleichmäßige, imaginären Strukturen zählen – oder auch Schäfchen, wenn man will. Einige Minuten später sahen wir uns wieder hellwach in die Augen.

      „Warum schläfst du nicht?“ flüsterte ich.

      Sie verdrehte die Augen und stöhnte „Und du? Warum schläfst du nicht?“

      „Ich kann nicht schlafen, wenn …“ ich versuchte vergeblich, die richtigen Worte zu finden. Man muss ja sehr aufpassen, was man in so einer Situation sagt.

      „Wenn ..., was?“ fragte sie.

      „Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht sollten wir versuchen, es uns noch etwas bequemer zu machen.“

      „Wie denn?“

      „Wir könnten den Platz, den jeder von uns hat, etwas erweitern, dann ist es etwas entspannter.“

      „Wie soll das gehen? Sollen wir die anderen rauswerfen?“ fragte sie.

      „Nein, ich denke eher an sowas wie Optimierung der Verhältnisse. Ich weiß es nicht ganz genau, wie und ob es geht, aber ich versuche mal, es Dir zu erklären. Wenn wir den Platz, den jeder von uns beiden zur Verfügung hat, aufteilen und nicht jeder für sich alleine nutzt, dann haben wir theoretisch fast den doppelten Platz zur Verfügung.“

      „Hm, und wie soll das praktisch aussehen?“

      „Also, zum Beispiel, ich breite meinen Arm in deine Richtung aus und du legst deinen Kopf darauf, du kannst auch dein Bein über meines legen, dann liegen wir nicht so gerade und eng wie in