Aline S. Sieber

Wolfsfieber


Скачать книгу

      John Stallbursche, Gwendolins Geliebter

      Gwendolin Grafentochter, Schwester Henrys

      Herr Müller Deutscher

       Werwölfe

      Adrian

      Christian Hill

      Cinderella

      Dr. Helen Marronnier

      Perry

      Anton

       Vampire

      Henry Gwendolins Bruder

      Monsieur

      Michel Montserrat

      Prolog

      2010, Salzburger Land, Österreich

      Heute war es endlich soweit. Seit fast einem ganzen Monat hatte er sich schon vorgenommen, ins Tatoostudio zu gehen und heute war er tatsächlich nach der Schule in den Ort gegangen. Letzter Schultag! Fantastisch! Was konnte es noch besseres geben?! Zudem hatte Chris heute die lang ersehnte Erlaubnis seiner Eltern bekommen. Sein Vater würde in etwa einer Viertelstunde hier sein und ihn begleiten. Unter achtzehn bekam man nur in Begleitung eines Erwachsenen ein Tattoo. Ansonsten war das widerrechtlich. Chris war fünfzehn. Er wusste auch schon genau, was für eines er sich wünschte, und wo es sein sollte. Ein silbergrauer Wolf würde bald seinen Rücken zieren. Noch während er in seinen Vorstellungen schwelgte, wie das wohl aussehen würde, kam sein Vater.

      Anna wartete ungeduldig auf die letzte Bergbahn. Wieso musste ihre Familie auch da oben wohnen? Und wieso, zum Teufel, waren die verdammten Dinger nicht schneller?

      Ihre Mutter war, wie üblich, schon auf der Alm. Ihr Vater brachte ihren Bruder gerade ins Tatoostudio. Sie lächelte kurz. Chris hatte immer schon solche ausgefallenen Ideen. Sie trat in den Schnee. Aber genau deswegen musste sie jetzt allein mit der verdammten Bergbahn fahren. Winterferien. Klasse. Bald würden wieder eine Menge Touristen kommen und die Skihänge bevölkern. Wenn sie dann nach Hause wollte, musste sie noch länger warten. Die Bahn kam schließlich und Anna stieg ein. Die Kühe, die sonst immer oben auf der Alm waren, mussten im Winter zu einem der Bauern ins Tal getrieben werden. Der Winter war dieses Jahr früh gekommen. Chris hatte sie schon vor einigen Wochen ins Tal bringen müssen. Wenigstens hatten sie genug Milch und Käse.

      Sein Rücken tat jetzt zwar weh, aber er war im Moment viel zu froh, als dass er dem hätte irgendwelche Bedeutung beimessen können. Da sie bei dem Schnee nicht mit dem Auto fahren konnten, mussten sie die Bergbahn nehmen. Und sie mussten sich beeilen, um die letzte Bergbahn nicht zu verpassen. Danach fuhr nämlich keine mehr. Chris sah auf die Uhr. Es war schon um vier. Eine Stunde später würde es so finster sein, dass man den Abhang nicht mehr sah und seine stillschweigende Existenz nur noch erahnen konnte. Um diese Zeit war es sehr gefährlich, noch einen Schritt vor die Haustür zu setzen.

      Oben angekommen gab es erst einmal Abendbrot. Danach zogen sich alle zurück. Das Fernsehen funktionierte sowieso nicht, da der Empfang durch die vielen Berge gestört wurde. Man konnte jetzt nur noch lesen, Irgendetwas spielen oder schlafen. Spätestens 20 Uhr war Nachtruhe und das Kaminfeuer wurde gelöscht. Am nächsten Morgen würden alle wieder früh aufstehen müssen. Denn schließlich mussten die Eltern wie gewohnt zur Arbeit und die anstehenden Arbeiten und auch die Hausaufgaben mussten erledigt werden.

      Am nächsten Morgen lief fast alles wie gewohnt. Abgesehen von der Tatsache, dass die Kinder heute zu Hause bleiben konnten. Keiner von beiden hatte wirklich große Lust aufzustehen. Aber sie kamen doch aus den Federn, denn sie konnten ihren Eltern heute etwas von der häuslichen Arbeit abnehmen. Der erste Ferientag sickerte so dahin, zog sich über Mittagessen, Abendbrot und verlosch schließlich mit dem Einsetzen der Dämmerung.

      Bei Tagesanbruch war Chris beim besten Willen nicht wach zu bekommen. Nicht einmal, als Anna es mit einem Eimer Wasser und ein paar kräftigen Ohrfeigen versuchte. Die Aufregung war groß. So etwas war noch nie vorgekommen. Mrs. Hill schickte ihren Mann zur Arbeit und beschloss, noch solange zu Hause zu bleiben, bis der Arzt kam.

      Der Arzt, ein freundlicher Mann mittleren Alters, kam auch bald. Er hatte gewöhnlicher Weise nicht viel zu tun, denn abgesehen von Gelegenheitskrankheiten gab es nur selten etwas zu kurieren. Größere Fälle, wie Knochenbrüche oder Schlimmeres wurden ins Krankenhaus der nächstgrößeren Stadt überwiesen.

      Wie dem auch sei, jedenfalls konnte auch er den Patienten nicht aufwecken, sodass er, abgesehen von ein paar Ratschlägen, unverrichteter Dinge wieder abziehen musste.

      Auch Mrs. Hill begab sich schließlich auf Arbeit, denn es hätte ja sowieso Nichts genützt, den ganzen Tag untätig herum zu sitzen, um darauf zu warten, dass ihr Sohn erwachte. Sie ließ Anna die Anweisung da, sie sofort anzurufen, sobald sich etwas tat.

      In der darauffolgenden Nacht schlich sich Anna in die Küche um etwas zu trinken. Sie wollte gerade das Wohnzimmer durchqueren, als ihr auffiel, dass ihr Bruder nicht auf dem Sofa lag, wo er eigentlich hätte sein sollen. Das Wohnzimmer war leer. Außer ihr war niemand da. Sie sah nach draußen. Es tobte ein Schneesturm. Einer von vielen, die noch kommen sollten.

       Southhampton, England, 1840 n. Chr.

       Die hölzerne Tür knarrte, als Henry sie öffnete. Vor Tagen hatte seine Familie einen Verletzten im Wald gefunden. Nun weilte der Mann schon seit einer ganzen Woche auf ihrem Landgut in der Nähe von Salisbury. Und bisher war er noch kein einziges Mal aufgestanden.

       Seltsam war das schon, besonders da es keine schwerwiegenden äußeren Wunden gab, doch schließlich war der Mann auch sehr blass.

       Ihm musste etwas Ungeheuerliches widerfahren sein. Sicherlich hatte er einen Schock.

       Jeden Tag versorgte ein anderer den Kranken. Gestern war es Mable, eine der jüngeren Mägde gewesen. Und heute war er selbst an der Reihe, der Sohn des Grafen höchstpersönlich.

       Er hob eine Schüssel mit Haferbrei aus seinem Korb.

       Die Köchin gab sich große Mühe mit ihren Gerichten, da er den Duft des darin enthaltenen Honigs riechen konnte. Sonst kam so etwas Gutes nur an Sonntagen auf den Tisch.

       Die Vögel draußen sangen und er wusste, dass seine Schwester sich mit einem der Knechte in der Nähe der Pferdeställe herumdrückte. Er wusste auch, dass er den beiden Deckung gab. Vermutlich würde diese Beziehung sowieso nicht lange halten. Hoffentlich jedoch hatten die Verliebten Zeit, ihre Affäre selbst zu beenden, denn falls sein Vater Wind davon bekommen sollte, stand ihnen dreien noch einiges bevor. Aber er würde sein Schwester nicht verraten, niemals. Zumindest nicht freiwillig.

       Es war ein außerordentlich schöner Tag. Später wollte er noch einmal in die Stallungen gehen, seinen fuchsroten Hengst satteln und einen Ausritt machen. Nicht zum Jagen, denn es widerstrebte ihm, Tiere zu töten, wenn es nicht notwendig war.

       Unter halb geschlossenen Lidern beobachtete der vermeintlich Kranke ihn. Er hatte bei seinem letzten Kampf mit einem Artgenossen viel Blut verloren. Und seit Tagen nichts Ordentliches zwischen die Zähne bekommen. Der Hunger nagte an ihm wie ein wütendes Tier. Diese einfältigen Menschen glaubten ihn versorgen zu müssen. Mussten sie ja auch. Aber in einer etwas anderen Hinsicht.

       Und der Junge vor ihm sah zum Anbeißen gut aus. Er machte ein nachdenkliches Gesicht und schien gedanklich irgendwo weit weg zu sein. Eben stellte er den Korb auf den hölzernen Fußboden.

       Kurz entschlossen schlug er die Augen auf und stürzte sich auf sein überraschtes Opfer. Er hielt den Jungen fest und durchtrennte seine Halsschlagader mit einer einzigen Handbewegung. Das blutige Messer ließ er zu Boden fallen. Es musste wie ein durch einen gewöhnlichen Menschen verursachter Tod aussehen. Nur dann sah er sich imstande, sein Geheimnis zu wahren.