Aline S. Sieber

Wolfsfieber


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Kehle.

       Der Junge machte einen letzten, hoffnungslosen Versuch, sich zu befreien und sackte dann leblos in den Armen seines Mörders zusammen.

       Der überlegte es sich im letzten Moment anders. Er trank den Jungen bis auf den letzten Blutstropfen leer und schnitt sich selbst dann die Hand auf. Die Wunde drückte er auf den Schnitt im Hals seines Nahrungslieferanten.

       Nach einigen Minuten des Wartens zog er sie wieder fort und ließ die Leiche achtlos fallen.

       Dann verschwand er in die Dämmerung.

       Gwendolin schritt unterdessen nichtsahnend über den über nun leer erscheinenden Hof. Hinter den Mauern war es noch voller Leben, die Köchin und ihre Mägde nutzten die Zeit, um das Abendessen vorzubereiten. John war wie immer äußerst liebenswürdig gewesen. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass er mehr wollte…

       Und das wollte sie nicht. Sie würde diese Affäre beenden und Henry davon in Kenntnis setzen, so wie sie es immer tat. Sie vertraute ihrem Bruder und konnte offen mit ihm reden… und sie hatte ihn seit den Mittagsstunden nicht mehr gesehen.

       Sie machte sich auf den Weg zu der kleinen Hütte, in der der Kranke untergebracht war, denn dort hatte sie ihren Bruder zuletzt gesehen. Vielleicht war dieser seltsame Mann ja wach geworden und Henry leistete ihm Gesellschafft.

       Inzwischen angekommen, öffnete sie die Tür. Ihr suchender Blick fiel als erstes auf das leere Krankenlager, dann bemerkte sie ihren Bruder. Er lag im hinteren Teil des Raumes auf dem Boden. Seltsam, dachte sie und ging hin, um ihn zu wecken. Sie berührte ihn nur kurz – und er drehte sich um. Zumindest schien es so.

       Sie erblickte die starren, weit aufgerissenen Augen und fing an zu schreien.

       Kurz darauf war der ganze Hof auf den Beinen. Alle hatten den fürchterlichen Schrei gehört und wer es sich erlauben konnte, war so schnell wie möglich herbeigeeilt. Für die Köchin und ihre Mägde war das Ganze sogar eine willkommene Ablenkung. Kurzum, jeder der noch gehen konnte, stürmte innerhalb kürzester Zeit auf den Hof hinaus.

       Gwendolin hatte derweil den Raum verlassen, so schnell, als wäre ein Schwarm wütender Wespen hinter ihr her. Sie kauerte sich etwas von der Tür entfernt zu einem Knäuel zusammen, aber so dass sie die Tür noch im Blick hatte, als fürchtete sie, es könne jederzeit jemand heraus kommen. Schnell war sie umringt von Menschen, deren Gesichter in ihrem Blickfeld immer mehr zu einer grauen Masse verschwammen. Als man sie fragte, was denn sei, reagierte sie nicht.

       Kurz darauf folgte ein weiterer Schrei; eine Magd hatte die Leiche nun ebenfalls entdeckt. Sie wurde hinaus gejagt, um den Ort des Verbrechens besser beobachten zu können. Kurz darauf wurde ein Arzt gerufen.

       Der war schnell zur Stelle, da er im umliegenden Dorf einige Behandlungen durchgeführt hatte. Er war kein Quacksalber, sondern ein studierter Mann, konnte aber schließlich nur noch den Tod des Jungen feststellen. Bei der Tochter des Grafen stellte er einen Schock fest, der mit Ruhe und guten Zureden schon wieder vergehen würde.

       Die rechtlichen Dinge wurden schnell geregelt. Plötzliche Tode waren nach wie vor keine Seltenheit, schließlich gab es nach wie vor Epidemien und Morde. Der Tod des Grafensohns war ein gutes Beispiel dafür, darin war sich das Gesinde einig.

       Das Familiengrab wurde hergerichtet und in Windeseile ein Sarg besorgt. Das bedauernswerte Opfer erhielt eine letzte, heilige Ölung.

       Konstantin, der Pfarrer laß die Totenmesse. Er versuchte, den trauernden Verwandten und dem Gesinde klarzumachen, dass der Junge erst gebeichtet hatte – dabei warf er Gwendolin einen besorgten Blick zu, denn er kannte ihr Geheimnis –und seine Seele somit nach einiger Zeit auf jeden Fall den Weg in den Himmel finden würde. Die Gräfin war dennoch außer sich vor Schmerz und ihr Mann kümmerte sich liebevoll um sie. Doch auch ihm war der Schmerz deutlich ins Gesicht geschrieben, von seiner Tochter ganz zu schweigen. Der Sarg würde nun erst einmal ein bis zwei Stunden in der gräflichen Kapelle zum Liegen kommen.

       Kurz nach Beendigung dieser Frist kamen zwei Männer in den Gasthof des zur Burg gehörenden Dorfes. Sie setzten sich nieder und tranken zunächst einmal einen Krug Met. Auch, wenn das nur zur Tarnung diente, die sie sich auferlegt hatten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

      „Hast du das gehört? Der Sohn des Grafen wurde ermordet. Sein einziger Sohn.“

      „Ja. Der arme Junge. Er war auf jeden Fall hier.“

      „Wir sollten nach seinem Opfer sehen.“

      „Das hast du Recht. Heute Nacht.“

       Die Efeuranken am Eingang waren gerade erst entfernt wurden. Sonst deutete nichts auf eine Einwirkung von menschlicher Hand auf die steinernen Mauern hin. Zwei Gestalten näherten sich mit Bedacht dem Familiengrab. Von nahem sah man, dass es Männer waren. Ohne ein Wort kamen sie auf das steinerne Mahnmal zu. „Memento mori“, stand in Latein über der Pforte. Bedenke, dass du sterben musst. Monsieurs Lippen zuckten. Er hatte schon etliche Jahre als Vampir verbracht und war nicht einmal „gestorben“. Menschen!

       Sie öffneten die schweren, hölzernen Türflügel ohne sichtbare Anstrengung.

       Es war kalt in der Gruft. Ein eisiger Lufthauch schlug ihnen aus dem Inneren entgegen. Die beiden Fremden störte das nicht. Die Kälte konnte ihnen ohnehin nichts mehr anhaben. Der Sarg war verschlossen, wie es sich gehörte. Blumen schmückten Henrys letzte Ruhestätte. Einer der Besucher trat näher heran.

       Mit einer Kraft, die man dem mageren Mann nicht zugetraut hätte, schob er die schwere Steinplatte beiseite. Alles blieb ruhig. Falls sie erwartet hatten, den Toten aus dem Holzkasten springen zu sehen, wurden sie enttäuscht.

       Das erste Wort dieser Nacht fiel. „Er scheint tot zu sein.“

      „Hoffen wir´s. Aber sicherheitshalber sollten wir morgen noch einmal herkommen. Die Wandlung kann einige Zeit dauern. Vor allem, da wir nicht wissen, wie viel Blut dieser Bastard ihm gegeben hat.“

       Es war stockduster. Er war zu schwach, um auch nur einen Finger zu rühren. Seine Augen waren das Einzige, das er bewegen konnte. Selbst sein Verstand schien wie eingefroren. Ein schwaches Geräusch drang an sein Ohr. Dann ein Krachen. Der enge Raum, in dem er sich offensichtlich befunden hatte, wurde schlagartig heller. Gedämpftes Licht drang zu ihm herein und blendete ihn. Jemand beugte sich über ihn. Unendlich zähflüssige Worte drangen wie durch eine dicke Wand zu ihm durch.

      „Ich kann sein Herz wieder schlagen hören.“

       Wieder verdunkelte sich alles, als sich noch eine weitere Gestalt über ihn beugte. Hände kamen ihm entgegen und er wurde hochgehoben. Sein Kopf fiel zurück. Die offene Wunde klaffte den beiden Männern entgegen. Das verursachte schreckliche Schmerzen. Seine Augen blieben geöffnet, verdrehten sich jetzt jedoch so, dass man nur noch das Weiße sehen konnte. Seine Wahrnehmung versagte und es wurde wieder dunkel.

      „Das ist grausam.“

       Monsieur fand kaum Worte, um ihre Entdeckung zu beschreiben. Der Junge war so schwach, dass er keinen Finger rühren kann, nahm sonst aber alles war. Sein Kamerad half ihm weiter.

      „Er wäre irgendwann gestorben. Aber du hast Recht. Sein Herz schlägt wieder. Was willst du tun?“

      „Wir müssen ihn mitnehmen.“

       Henry erkannte nur an den ab und zu in ihnen vorbei wischenden Schatten, dass sie die Gruft wohl verlassen haben mussten. Das ganze Szenario verschwamm vor seinen Augen, als man ihn erneut hochhob. Er war diesen Männern absolut ausgeliefert. Eine Hand hielt seinen Kopf, damit er nicht wieder zurückfiel. Was hatten diese Männer vor? Dann kam er auf einer weicheren Stelle zu liegen,