Toma Behlsum

o.T., 2014


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hätte geben können, aber schon auf der Lindaufahrt hat Willi ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er vorhat, sich alsbald einen Chauffeur anzuschaffen, und es deshalb überflüssig sei, den Gebrauch des Blinkers zu erlernen.

      Dann sind sie beide weg. Sie werden nicht nochmals auf den Hof zurückkehren, auch nicht, als sie viele Jahre später mehrmals ganz in der Nähe sein werden. Vergleiche früher – jetzt bringen nichts, weil immer Vergangenheitsform, da sind sich die ungleichen Brüder einig.

      *Andrzej Stasiuk beschreibt in ‚Tagebuch danach geschrieben’ ein ähnliches Phänomen auf einer Reise durch Mazedonien

      3 Hans heißt James und lebt jetzt in London, Willi heißt Willem und lebt in Amsterdam.

      Hans lebt jetzt in London und heißt nicht mehr Hans, er nennt sich James. Er wohnt eine Zeitlang in Islington in Untermiete in einem dieser englischen Reihenhäuser, wie es sie nirgendwo sonst auf der Welt gibt, nur in England, dort dafür aber überall, bei einer Künstlerin, von der er alles über Kunst lernt, aber über weitere Wohnorte ist nichts bekannt. Er hat Kontakt zur Punkszene und über seine Mieterin zu den Britpopmalern, was ihn dazu bringt, Kunst als bürgerlichen Unfug fortan abzulehnen, sowie zu militanten Muslimen, woraufhin er feststellt, dass Religion etwas ist, was er nicht begreifen wird und es deshalb tunlichst auch nicht versucht.

      Er lernt in England, dass sich in England wohnende Leute sehr wohl fühlen, wenn es gemütlich ist. Gemütlich ist es, wenn das bekannte englische Reihenhaus vollgestopft ist mit Krimskrams bis oben hin, das Aufräumen über längeren Zeitraum vermieden wurde, wenn das Kaminfeuer brennt, als Heizmaterial eignen sich Holz, Kohlen, gebrauchte Windeln etc, und wenn die Besucher ausreichend Alkohol mitbringen.

      Und er lernt große Gesten zu lieben, die auf halbem Wege wieder in Frage gestellt werden und dann ins nichts laufen. Kurz gesagt, er lernt, was er immer werden wollte, Bohème.

      Willi geht nach Amsterdam, heißt jetzt Willem und lernt auf hart. Er wird Türsteher in einem Nachtklub, dann wird er Geschäftsführer in einem Nachtklub, Er arbeitet sich hoch, bis er Besitzer mehrerer Nachtclubs ist, in den Salons der Politik, Justiz und Wirtschaft verkehrt, Netzwerke aufbaut, und über einen Stab von mehreren Hundert freien Mitarbeitern verfügt, auf mehrere Untergruppen verteilt, und eine kleine Gruppe meist vorbestrafter Männer geringerer intellektueller Kapazität, die von Willem und seinem Stab geführt Angriffe anderer Gruppen aus vorbestrafter Männer geringerer intellektueller Kapazität auf sein Nachtklubimperium vor Ort abwehren, noch bevor das Netzwerk aus den Salons greift.

      Es geht immer weiter aufwärts, bis es irgendwann wieder abwärts geht. Er geht rechtszeitig vor dem Absturz nach Berlin, nachdem Berlin die deutsche Hauptstadt geworden war und viele Firmen von Amsterdam nach Berlin umgezogen sind oder gerade dabei sind, er will sich in der Nachtklubszene zu etablieren, er übernimmt eine Russendisko der DDR, in denen nun noch die amerikanischen und britischen Soldaten verkehren, bald aber die Zivilisationszerstörer aus den Entwicklungsetagen nachziehen werden, ist dort anfangs aber wenig erfolgreich.

      Möglicherweise unterschätzt er dabei auch den Verdrängungswettbewerb, der damit einsetzt, dass nun mehr Agierende einen größeren Kuchen verteilen und setzt zu sehr auf die Kraft des noch immer präsenten Militärs. Es gelingt ihm nicht, rechtzeitig wieder sein Netzwerk aufzubauen, rechtzeitig, bevor James dann später seinen einzigen Nachtklub in die Luft sprengen wird und er wieder von vorn anfangen muss.

      o

      Denn James taucht plötzlich nach fünf Jahren London ebenfalls in Berlin auf, verheiratet mit einer Deutschen, die er in London kennen gelernt hat. Sie mieten sich eine 8-Zimmer Wohnung aus der Gründerzeit, mit Ausgängen in zwei Treppenhäuser, von denen seinerzeit in den goldenen 20er Jahren eines als Dienstbotenzugang gedacht war, bezahlen die Kaution und sind anschließend pleite.

      Am Morgen des 5. Tages nach seiner Ankunft in Berlin um 7 Uhr 43 morgens bekommt er einen Anruf von seinem Bruder Willem, der ankündigt, ihn zu besuchen. James geht in die Küche, setzt die damals übliche Espressokanne aus Aluminium auf und als der Kaffee durchgelaufen ist klingelt Willem bereits an der Türe. Willem trägt einen Ledermantel, der am Boden schleift.

      ‚Du kommst früh’ begrüßt er ihn, ohne weiter darauf einzugehen ob früh nach fünf Tagen oder früh um jetzt 7 Uhr 55. ‚Wie hast Du mich gefunden?’ Willem macht eine abwehrende Handbewegung. Sie trinken Kaffee, schweigend, wie sie es früher schon gemacht haben als Kinder, dann bietet Willem James an, mit ihm zusammen zu arbeiten.

      James lehnt ab, leiht sich aber 5.000 Mark von Willem.

      Aus London kennt sich James aus mit den Sitten und Gebräuchen von Gesellschaften am Rande der Gesellschaft und er bewegt sich mühelos in solchen und solchen, ohne sich selbst als Teil davon zu verstehen. Er schreibt sich an der Kunstakademie ein und lernt Motorradfahren, das er in den Gängen der Akademie übt. Malen lernt er nicht, aber in seiner Berliner 8-Zimmer Wohnung gründet er unablässig Organisationen bildender Künstler, aus denen ihn die anderen Mitglieder dann später per Mehrheitsentscheid wieder rauswerfen werden. James selbst fehlt jede Affinität zu Mehrheitsentscheidungen.

      Seine Frau wirft ihm vor, es zu nichts gebracht zu haben. James antwortet, er finge eben im Leben alles anders an als andere, weshalb ihm eben auch wenig gelingt, das sei ganz normal.*

      Statt es zu was zu bringen zieht es James vor, mehr als 20 Jahre nach dem Ende der RAF den antiimperialistischen Kampf neu zu inszenieren, quasi als Revival, nur diesmal als absurdes Kunstwerk.

      Nachdem ihn daraufhin seine Frau nach mehreren Anläufen entgültig verlässt, wobei er erstaunt feststellt, dass er den Verlust der Mutter, zu der er nie ein besonders inniges Verhältnis gehabt hat, nicht wirklich verarbeitet hat, unternimmt er Studienreisen, aber der Libanon und der Südjemen sind bereits überlaufen oder passé, und so fährt er in die Anden und in die Westsahara. Er lernt den Umgang mit verschiedenen Waffen, mit der Uzi, ‚Gießkannenprinzip’ sagt er dazu verächtlich, und mit der Kalaschnikow, zu der er in den Anden sagt, das sei mehr eine Waffe für Kameltreiber, in der Sahara lässt er den Ausdruck Kameltreiber weg. Er versucht zu lernen, mit zwei Walter PPK beidhändig zu schießen, dann mit einer Glock mit Magazin für 33 Schuss, und rennt damit zwischen Schießscheiben herum, aber als er auch nach Wochen nicht trifft entscheidet er sich gegen Schusswaffen und für Sprengstoff. Sprengstoff erscheint ihm nun als genau das Mittel, die Welt zu verlangsamen.

      Er lernt alles über Nitroglycerin, Zellulosenitrat, Ammoniumnitrat, Natriumnitrat, über Rohre und Zünder.

      Eine Gruppe zorniger Frauen und Männer schart sich um ihn, allesamt gebildete freundliche Leute, die hilflos mit aufgerissenen Augen eine Abscheulichkeit nach der anderen ins Auge fassen und analysieren, die nächtelang darüber diskutieren, um dann nicht zu wissen, was sie mit ihrem Wissen anfangen können, wie damit umzugehen, wodurch sich etwas ändern lässt. James lässt sich nicht darauf ein, bleibt den Diskussionen fern, interessiert sich nicht für Politik. James ist nur daran interessiert, dass die Zukunft nicht zu interessant zu werden verspricht.*

      Bei seinen Sprengstoffexperimenten im Ausland trifft James einen großen hageren Mann mit Halbglatze*, der ebenfalls in Sachen surreale Satire unterwegs ist und der ihm rät, bei den Einrichtungen der Alliierten anzusetzen, denn die wären nicht so gerne gesehen, und dass der Innensenat ihn dabei gerne mit Material und sachdienlichen Hinweisen unterstütze.

      Wieder zu Hause trägt James der Gruppe zorniger junger Männer und Frauen die Strategie vor, die er auf dem Rückflug auf den Servietten des Bordservice der Lufthansa entwickelt hat. Nachdem er seine Ausführungen beendet hat stellen sie gemeinsam fest dass er auch keine Ahnung hat und schicken den Jüngsten los, Bier und Zigaretten zu holen. Mit Hilfe von Bier und Zigaretten einigen sie sich auf die vom Fernsehen bekannte konventionelle Vorgehensweise, Schlüssel besorgen, ermitteln wann leer, Fluchtweg 1 + 2 ermitteln, das übliche. James findet das nicht originell genug, im Sinne eines Kunstwerkes, kann sich aber nicht durchsetzen.

      Sie sprengen dann zuerst das Hard Brake in die Luft, und als das ohne Zwischenfälle reibungslos klappt folgt das Amber Eyes.

      Als