Toma Behlsum

o.T., 2014


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war von 2 Monaten entlassen worden und der Versuch, einen neuen Assistenten in die Küche zu schicken, sei jedes Mal daran gescheitert. dass der neue Assistent um seine Versetzung gebeten habe.

      James stellt fest, dass sich im Gefängnis die sonst üblichen Verhältnisse umkehren und es etwas ganz Tolles ist, wenn man entlassen wird.

      Am nächsten Morgen führt ihn ein Wärter in den Küchentrakt, sie kommen zuerst in die Spülküche, dann in die Portionierungsküche und dann stehen sie in der Kochküche, wo ein großer Mann in mehreren Töpfen gleichzeitig rührt, mit Armen dick wie ein Pferdehals, James vermutet vom vielen Rühren in ungezählten Töpfen. Der Wärter sagt ‚Viel Spaß’ und lässt ihn dort stehen, schließt die Türe hinter sich zu.

      James sagt ‚Hallo’, der Koch, der wohl der Hotelbesitzer ist, den der Gefängnisdirektor erwähnt hat, ignoriert ihn.

      Der Hotelbesitzer, zur Zeit Küchenchef, ist sauer. Von Chef keine Spur, er steht allein in der Küche und rührt in den Töpfen, während seine Küchenhelfer im Lager aus den Beständen vorgeblich neuen Wodka produzieren, höchstwahrscheinlich aber nur die Produktion von letzter Woche versaufen.

      Er geht ins Lager, dort sitzen wie erwartet seine Küchenhelfer, ein Araber aus Köln, ein Russlanddeutscher aus Memmingen, ein Linksliberaler aus Hamburg und ein Vietnamese aus Berlin, der, der soeben noch aus reine Blödheit Soßenpulver in das Nudelwasser gekippt hat, alle vereint und saufen Wodka aus Zutaten aus dem Lager, bis auf den Araber, der als Moslem keinen Alkohol trinkt und stattdessen Crack raucht, natürlich mit Backpulver auch aus dem Lager. Er stellt zum dritten Mal an einem Tag fest, dass seine Beteiligung an dem Geschäft, das die Küchenhelfer mit Hilfe von Zutaten aus dem Lager aufgezogen haben, Schnaps und Crack, nicht annähernd die Mehrarbeit ausgleicht, die er in der Küche leistet, während die Küchenhelfer beschäftigt oder indisponiert sind. Zwei der Küchenhelfer rappeln sich auf, als sie den Hotelbesitzer sehen, die anderen bleiben liegen. Er schaut, sagt nichts und geht zurück in die Küche, und die beiden, die aufgestanden sind, setzen sich wieder.

      ‚Was machen wir hier eigentlich’? fragt er, während er wieder in den Töpfen rührt, ohne eine Antwort zu erwarten oder auch nur zu wünschen. ‚Was machen wir hier eigentlich’? wiederholt er nach einiger Zeit.

      ‚Fragen, auf die es keine Antworten gibt, gibt es nicht’ antwortet James nun lapidar und abschließend.

      Der Hotelbesitzer sieht nun zum ersten Mal den Häftling an, der ihm in die Küche gestellt wurde.

      Er holt Zitronat und Orangeat aus der Kammer.

      ‚Andere Beispiele’: sagt James, als der Hotelbesitzer wieder zurück ist. ‚Was ist der Sinn des Lebens? Oder, gibt es Gott? Oder, was kommt nach dem Tod?’

      ‚Jeder will das wissen’, brummt der Hotelbesitzer.

      ‚Niemand will das wissen’ sagt James. ‚Die Fragen werden nur deshalb gestellt um sich vorsichtshalber immer wieder zu vergewissern, dass es auch wirklich keine Antwort darauf gibt.’

      ‚Ich will schon wissen, ob es einen Himmel gibt’ insistiert der Hotelbesitzer.

      ‚Möglicherweise gibt es ja wirklich so etwas wie einen Himmel’ antwortet James, ‚in den all die Verstorbenen kommen, die daran geglaubt haben, dessen Insassen somit also ein Konglomerat bilden aus Bäuerinnen, Mafiosi, Mönchen und Nonnen, bayerischen Politikern und noch ein paar anderen schlichten Gemütern. Alle anderen, die Sünder und die Ungläubigen, die Leser von Sartre beispielsweise oder die, die mal im Gefängnis waren, die kommen ebenfalls in diesen Himmel, nur für die heißt der Himmel dann aber Hölle.’

      ‚Leck mich am Arsch’ sagt der Hotelbesitzer und rührt neue Rosinen in den Teig. ‚Nihilisten, überall in der Küche, mehr als Kakerlaken’, denkt er, dann wendet er sich wieder dem Häftling zu.

      ‚Was kann ich für Dich tun’? sagt er wie gestern der Gefängnisdirektor auch, aber in einem Tonfall, der andeutet, dass er nicht vorhabe, irgendetwas für den ihm unbekannten Häftling zu tun, außer vielleicht ihn rauszuschmeißen. Sobald jemand die Türe hinter ihm wieder aufgesperrt hat.

      ‚Ich soll hier arbeiten, als Assistent des Chefkochs, eines Grandhotelbesitzers’, sagt James.

      ‚Assistent des Chefkochs’, wiederholt der Mann fassungslos. ‚Warte hier’ sagt er dann noch immer unfreundlich und rührt weiter.

      Der Hotelbesitzer fragt sich, warum ihm jetzt schon wieder ein neuer Assistent statt neuer Küchenhelfer zugeteilt wurde, nachdem er über ein Jahr versucht hat, die drogenkonsumierenden Idioten loszuwerden, Drogenkonsum auf seine Kosten, indirekt, indem sie Sachen aus dem Lager vertickt haben. Was jeder wusste, aber was einkalkuliert war, Hauptsache keine Probleme. Um seine Probleme mit den zugedröhnten Jungs kümmerte sich bislang niemand, stattdessen wurde nur ständig am Essen rumgemäkelt.

      ‚Los’, sagt er nach einer Weile unvermittelt zu James, ‚steh hier nicht rum, wir haben zu tun’ und weist ihn an, in einem riesigen Topf mit einer braunroten Flüssigkeit zu rühren.

      James sagt, er habe sich nicht vorgestellt, dass Chefkoch und Assistent persönlich rühren. Der Hotelbesitzer sagt nichts drauf sondern schickt ihn ins Lager, weitere Tomatenbüchsen zu holen.

      Im Lager sitzen vier Häftlinge, ein Araber, ein kleiner Blonder, ein langhaariger Freak und ein Chinese, und rauchen. James vermutet, die Küchenhelfer.

      ‚Wo sind die Büchsen mit den geschälten Tomaten’? fragt James, und schon während er die Frage ausspricht weiß er, dass sie sinnlos sein wird und geht selbst die Regale ab.

      ‚He Arschloch’ ruft einer der Küchenhelfer. Alle vier sind aufgestanden, zwei kommen von der einen Seite des Gangs, zwei von der anderen. James überlegt. Wenn es brenzlig wird ist es das beste und einzige, sofort davonzulaufen, hat der Taekwondomeister zu seinen Schülern gesagt, weil er schon gewusst hat, dass das Training mit den verschiedenen Angriffs- und Abwehrschlägen nicht ausreicht, wenn nicht täglich 5 Stunden geübt wird, was dann aber keiner der Schüler gemacht hat, vielleicht manche mal eine halbe Stunde, aber auch da war James nicht darunter. Die nächste Stufe wäre dann: Beherrsche die Situation ist besser als jemanden zu verletzen, daran will James jetzt arbeiten.

      ‚Der Küchenchef will 2 von den 20 Kilo Büchsen Tomaten’ wiederholt er.

      ‚Und was geht Dich das an?’

      ‚Ich bin der neue Assistent’ sagt James beiläufig. Er hat nicht vor, sich bei Subalternen vorzustellen.

      ‚Das glaubst auch nur Du’, sagt der arabisch Aussehende, ‚das hier ist der neue Assistent’ und deutet auf den blonden Häftling hinter James, der dreinschaut, als habe er gerade im Moment zum ersten Mal davon erfahren.

      James erwartet ‚und jetzt ab’, kommt aber nicht. Stattdessen kommen die Zwei mal Zwei von beiden Seiten näher. James drängt sich vorbei und macht ein entschlossenes Gesicht, und sie lassen ihn gehen, halten das im Nachhinein für einen Fehler und werfen Maisdosen hinter ihm her. Er rennt durch die Regalreihen und wird nur zweimal getroffen, im Rücken und am Bein, beides nicht sehr schmerzhaft.

      ‚Ja geht’s noch’ sagt James dann fröhlich zum Chefkoch. Er ist sehr erfreut über den unhaltbaren Zustand mit den Küchenhelfern und bittet wieder um einen Termin bei der Gefängnisleitung, die ihm bestätigt, dass der Wodkahandel und der sonstige Schwund im Küchenlager von der Gefängnisleitung bereits eingeplant gewesen war und keinmal Grund zur Klage war, und die Mengen, die sie vom Lager abgezweigt haben um ihr Hobby zu finanzieren immer gut kompensiert werden konnten.

      ‚Die Zustände in der Küche sind unter aller Sau’ widerspricht ihm James, und dass der Hotelbesitzer als Chefkoch fatalistisch alles laufen lässt.

      Als James wieder zurück in der Küche ist teilt er dem Chefkoch mit, dass es wohl einige personelle Umstrukturierungen in der Küche geben wird, woraufhin die Küchenhelfer am nächsten Tag nicht mehr da sind.

      ‚Was machen wir jetzt’? fragt der Hotelbesitzer teilnahmslos. Keine Küchenhelfer ist auch nicht viel anders als solche Küchenhelfer,