Toma Behlsum

o.T., 2014


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hat, ihm einen Verteidiger, der nicht der Szene angehört. Zu seinem Verteidiger ist James freundlich, spricht aber nicht zur Sache, so dass die Verteidigung nach Aktenlage vorgehen muss. Zu den Verfassungsschützern, die ihn anfangs immer wieder besuchen, ist er ebenfalls freundlich, sagt aber hier auch nichts zur Sache. Der Innensenator ist ihm dafür dankbar und weist die Staatsanwaltschaft an, ein relativ mildes Urteil zu beantragen.

      Pressemitteilungen, wie sie politisch motivierte Gefangene herauszugeben pflegen, verfasst James nicht. Er sieht sich als Künstler, nicht als Politiker. Angebote von Gefangenenhilfsorganisationen lehnt er daher ebenso freundlich wie bestimmt ab, seine eigenen Kontakte halten sich auf seinen Wunsch weiter gänzlich von ihm fern. Nur der große hagere Mann kommt einmal ungefragt vorbei und wünscht ihm viel Glück. Die Frage ob James eventuell reingelegt worden war und er letztlich nur faits divers* geschaffen hat statt einem surrealen Kunstwerk sprechen sie nicht an, weil ohne Bedeutung für die Zukunft.

      Während James in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet, liest er alles, was er bekommen kann, oft aber bricht er ein Buch nach eineinhalb Seiten ab, weil es ihn langweilt oder auch nur weil es handwerklich schlecht ist. Er versucht, sich Aufgaben zu stellen, etwa die Gemeinsamkeit der Sprache von Victor Hugo und Houellebeqc zu analysieren, ohne Erfolg. Er liest all die Bücher, die von den Großen handeln, die scheitern, von den Unanständigen, die scheitern, geschrieben für die Kleinen und Anständigen, wie die Demütigung von Philip Roth, und er langweilt sich wieder, er liest Verlaine, Rimbaud, Jules Laforgue, und langweilt sich weiter, ruft ‚Absinthliteratur’. Am allerschlimmsten aber sind die Bücher, die ihn reinlegen, die munter dahingelesen werden und dann im letzten Drittel eine absurde Wendung nehmen, nur weil der Autor, oder vielleicht auch der Verlag, fand, ein ordentliches Buch brauche auf teufelkommheraus einen Plot, komme was wolle. James nimmt sich vor, nach Antritt seiner Gefängnisstrafe, wenn er von außen eine Aufgabe zugewiesen bekommt, in einer Werkstatt oder in der Verwaltung, mit dem Lesen entgültig aufzuhören.

      Er stellt erstaunt fest, dass alles, was bisher von selbst abgelaufen ist, er jetzt, allein und gefangen, im Voraus plant: Lesen, dann Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen, lesen, 15 Minuten Gymnastik, 15 Minuten Taekwondopoomse, ein halbe Flasche Bier trinken, lesen, sich hinlegen, lesen, und dass er dabei ständig auf die Uhr sieht.

      Dann endlich wird sein Fall verhandelt und James wird in einem Gefangenentransporter in den Justizpalast gefahren, er sieht so ein Fahrzeug zum ersten Mal von innen, es sieht aus wie ein ganz normaler Omnibus, nur dass die Fenster viel kleiner sind und vergittert, und den Fahrer mit einem Gitter trennt. Sie betreten das Justizgebäude durch einen Nebeneingang, müssen aber in den Saal durch das Haupttreppenhaus. James, der kein Verächter von Pathos ist, ertappt sich dabei, angesichts der bestimmt 100 Meter hohen Kathedrale beeindruckt zu sein.

      Der Prozess ist reine Routine, der Vorsitzende ist stets freundlich, der Staatsanwalt ebenfalls, und die Protokollführerin lächelt James aufmunternd zu, sie weiß bereits, wie es ausgehen wird, zumal auch Willem nie vorhatte, als Nebenkläger aufzutreten. Nach insgesamt nur drei Verhandlungstagen, in denen Zeugen und Sachständige gehört werden, die möglichst wenig mit der Sache zu tun gehabt haben, trägt der Staatsanwalt die Anklageschrift vor, sie ist sehr knapp gehalten, in kaum 10 Minuten ist er fertig, dann fragt der Richter James abschließend, ob er sich äußern möchte, eine rhetorische Frage, James möchte wie erwartet nicht.

      Der Richter ist über die Umstände, dass der Prozess so unspektakulär über die Bühne geht, sehr erfreut und spricht das von oben erwünschte relativ mildes Urteil aus. James bekommt nur vier Jahre und drei Monate, die nach zweieinhalb Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden können.

      Nachdem das Urteil verkündet wurde wünscht der Richter allen noch einen schönen Tag.

      James stellt sich beim hinausgeführtwerden vor, wie Kim Jong-Un in seinen Präsidentenpalästen über hundert Mittelstreckenraketen startbereit hat, die ausschließlich mit Wünschen für einen schönen Tag, einen angenehmen Abend oder sogar für ein ganzes schönes Wochenende, bestückt sind.

      Nach dem Urteil wird er wieder in so einem Gefangenentransporter in die JVA bei Kaiserslautern überstellt, er ist der einzige Fahrgast, mit Fahrer und 3 Beamten als Begleitung. Es erinnert ihn daran, dass er einmal der einzige Besucher im Kino war.

      * Fait divers - Vermischte Meldungen. Ereignisse, deren Bedeutung am Nachrichtenwert gemessen wird, der ihm von der Gesellschaft zuerkannt wird. Dabei stehen Vorkommnisse, in denen Waffengewalt oder systemische Unfälle (wie auch Verkehrsunfälle) mit tödlichen, verstümmelnden oder anderen schwer traumatisierenden Folgen eine Rolle spielen, mit Abstand am höchsten im Kurs bei aktiven wie passiven Teilnehmern der Öffentlichkeit.

      Das Leitmotiv ist daher hauptsächlich das mehr weniger widerwillige Heimischwerden des Publikums mit Gewalttätigkeit aller Art und den tödlichen oder vernichtenden Folgen, die sie verursachen können, wenn die obrigkeitliche Gewalttätigkeit ausbliebe

      6 James arbeitet nun 30 Monate in der Gefängnisküche mit dem Hotelbesitzer

      ‚Vor Dir’, sagen die Wärter in den blauen Uniformen, als er in der Justizvollzugsanstalt ankommt zu ihm, tonlos, nur durch ihre Gestik und Mimik, ‚waren schon viele da und sind spurlos wieder verschwunden, so wie Du in einigen Jahren aus unserem Leben verschwunden sein wirst’. Sie schauen ihn teilnahmslos an, er wird neutral freundlich zur Kenntnis genommen, keineswegs aufdringlich, abweisend, aggressiv oder sogar respektlos. James bekommt Matratze, Bettzeug, Decke, Wäsche und wird damit auf die Zugangsstation in den Umschluss geführt. Im Umschluss hat er 1 Stunde Hofgang und 23 Stunden James, und als Abwechslung während der 23 Stunden hat er Schlaf, Taekwondoübungen und dreimal am Tag Essen, alles allein in seiner Zelle. Die Bratwurst erinnert ihn an England, Stopfwolle in Fett getränkt, dazu Pfefferminztee. Beim Würsteessen sehnt sich James nach dem englischen Kaffee, der zwar nach Regen aussah, aber eindeutig hatte Kaffee sein sollen. Brot kann er sich aussuchen, Weißbrot oder Vollkornbrot, aber Salat, wie er auf dem Hofgang erfährt, gibt es erstaunlicherweise nur für Moslems. Oder es gibt unessbare Soßen zu Schnitzel, die entweder totgebraten oder halbroh sind. Und immer wenn es Suppe gibt hört er keine 2 Minuten später in den angrenzenden Zellen die Klospülung rauschen und folgt dann dem Beispiel. Er vermutet, dass man Kaffee im Laden kaufen kann, aber wann er dazu Gelegenheit bekommt weiß er nicht.

      Er macht also die Erfahrung, die er in U-Haft mit der hässlichen Verpflegung gemacht hat, jetzt zum zweiten Mal, und weil es nutzlos ist, Erfahrungen, die man bereits kennt, nochmals zu machen, beschließt er, in der Küche zu arbeiten. Um in der Küche arbeiten zu können muss er mit dem Gefängnisdirektor sprechen und teilt dies beim nächsten Hofgang dem Wärter mit.

      ‚Sie sind neu hier’, sagt der Schließer lächelnd. Das stimme, gibt James zu. Einen Termin beim Gefängnisdirektor gäbe es aber nur unter ganz besonderen Umständen, teilt ihm der Wärter freundlich mit, etwa wenn er ihn jetzt zusammenschlagen würde, was er aber nicht empfehlen könne. Woraufhin James dem Innensenator eine Email schreibt mit der Bitte um Termin beim Gefängnisdirektor, die bereits von der Zensur an die Gefängnisleitung weitergeleitet wird und den Innensenator nie erreicht. Am nächsten Tag bekommt James trotzdem bzw. gerade deshalb den Termin beim Gefängnisdirektor, der ihn mit ‚Was kann ich für Sie tun?’ begrüßt, was James nun auch wieder unangemessen findet.

      ‚Sie wundern sich vielleicht’, fährt er fort, ohne auf die Antwort zu warten, ‚warum Sie als Politischer noch keinen eigenen Trakt bereitgestellt bekommen haben, wie früher üblich, aber da gibt es einen Paradigmenwechsel in der Politik. Ihnen darf ich es ja sagen’, ergänzt er, ‚weil meine Parteifreunde gut von Ihnen sprechen. Sie sind deshalb zu mir gekommen?’.

      ‚Eigentlich nicht’, sagt James, ‚mehr wegen dem Essen.’ Und früher sei er noch nicht hier gewesen.

      ‚Die Aussicht auf Ihr Gefängnisessen für die nächsten, sagen wir mal zweieinhalb Jahre, Begnadigung bereits eingerechnet, ist unerfreulich. Ich würde daher gerne in der Gefängnisküche arbeiten.’ Und dass er eine, wenn auch nach einem Jahr abgebrochene Kochlehre vorzuweisen hat.

      Der Gefängnisdirektor bescheidet ihm, dass bereits ein ehemaliger