Lisa Hummel

Illuminas' Dämonen


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vergiften und die Gefühle abtöten. Die ihren Wirt langsam von innen heraus leer fressen und aushöhlen, bis von ihm nur noch eine teilnahmslose, tote Hülle übrig bleibt, die mit der einstigen Person kaum noch etwas gemein hat. Manche von ihnen werden sogar so mächtig, dass sie sich manifestieren und zu unsagbaren Schreckgestalten heranwachsen, die sich nur schwerlich aufhalten lassen. Manche scheinen gar übermächtig, unbesiegbar...

      Einige mutige Jäger gibt es, die sich in den Dienst der Menschheit gestellt haben, um diesen Dämonen Einhalt zu gebieten, wenn sonst nichts mehr bleibt und sie sonst nichts mehr aufhalten kann. Tapfere Männer und Frauen, die über Gaben verfügen, die gewöhnlichen Menschen versagt bleiben.

      Die Jäger sind finstere Gesellen. Verschlossene Gestalten, die immer von einem Hauch Tod umgeben zu sein scheinen. Nicht viele sind von ihnen angetan, viele misstrauen ihnen oder wünschten sich gar, die Fremden, in ihre langen Mäntel und Umhänge gehüllt, würden von ihren Häusern fern bleiben. Und dennoch gibt es sonst niemanden, der die Menschheit von den unzähligen Dämonen erlösen kann, die in dunklen Nächten und an grauen Tagen durch die Lande streichen.

       Aus Blut gegossen.

       Aus Schatten geformt.

       Aus der Asche gewachsen.

       In der Nacht geschmiedet.

       In der Kälte geschaffen.

       Im Dunkeln geboren.

       Im Winter verließ ich die Stadt. Ich legte mich in den weißen, unberührten Schnee und sah den Flocken dabei zu, wie sie leise und sanft gen Erde schwebten. Es war absolut still.

       Noch nie war mein Herz so friedlich.

       Im Frühling sah ich die Welt. Wälder, Wiesen, Felder, Meere, Seen, Flüsse, Berge, Hügel, Bäume, Blumen. Alles war grün. Alles war bunt. Alles war frisch. Alles war jung.

       Noch nie war mein Herz so glücklich.

       Im Sommer verliebte ich mich. Im Sommer verliebte ich mich unsterblich. Im Sommer lernte ich die Bedeutung von „für immer“ kennen.

       Noch nie war mein Herz so vollständig.

       Im Herbst trauerte ich. Ich sammelte die unzähligen kleinen Splitter meines Herzens auf und konnte nur einen Bruchteil finden. Mein Herz blieb kaputt, unvollständig.

       Noch nie war mein Herz so traurig.

       Im Winter kam ich zurück in die Stadt. Ich war wieder Zuhause. Zurück in der Hölle.

       Noch nie war mein Herz so leer.

      1.

      „Weißt du, irgendwie mag ich dich.“

      Manuela hatte dieses Lächeln aufgesetzt, das sie für verführerisch hielt, und warf Morten einen koketten Blick zu, während sie ihre Arme enger um seinen linken schlang. Er erwiderte ihr Lächeln kurz und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Holzkrug.

      In den ersten Stock des großen Gasthauses, der wie eine große dunkle Galerie aus Holz aufgebaut war, hatten sich einige Pärchen oder andere Grüppchen zurückgezogen. Über das Geländer konnte man hinunter in den Schankraum sehen, in dem sich viele Menschen um etliche Tische drängten, Bier und Wein und Met und andere Getränke in Strömen fließen ließen und kräftig miteinander anstießen. Viele lachten und unterhielten sich angeregt, manche waren dabei, sich zu küssen.

      Obwohl dort unten gute Stimmung herrschte, war es hier relativ leise. Nur noch die fernen Echos der Stimmen drangen nach oben. Ähnlich verhielt es sich mit dem Licht. War es unten noch einigermaßen hell, dank der vielen Kerzen, fanden sich hier überwiegend Schatten ein, die vom schwachen Schein genährt wurden und sich zwischen Balken, Tische und Nischen drängten.

      Morten kam es so vor, als beherbergte dieses Gebäude zwei verschiedene Welten. Unten die gewöhnlichen, feiernden Stadtbewohner und oben die dunklen Gestalten, die flüsternd Geheimnisse in der Finsternis tauschten oder Dinge mit Geld kauften, die anderswo unvorstellbar waren. Nur in der schützenden Anwesenheit der Nacht konnte man sich um solcherlei Dinge kümmern.

      Manuela begann, mit ihren Händen über seinen Arm zu streichen, durch sein straßenköterblondes Haar zu fahren, deren goldener Glanz nicht ganz vom Staub der Straße getilgt werden konnte.

      Morten nahm noch einen Schluck seines Bieres und sah zu seinem Kameraden Jacque, dessen massiger Körper im Dunkeln mit dem der Blondine zu verschmelzen schien, die er gerade wild und begierig küsste.

      Hinter ihm, wie in jeder Nische sonst auch in diesem Stockwerk, befand sich ein großes Fenster, das aus vielen kleinen Scheiben bestand. Morten hatte von hier aus einen weiten Blick über die Straße, die sich an dem Gasthaus vorbei durch die Stadt Manrhay schlängelte.

      Die Bewohner wussten es noch nicht, nein, dachten sogar, dass der Spuk sie heute Nacht vielleicht nicht heimsuchen würde, aber die Anzeichen der Schatten waren schon wahrnehmbar und bald würde es auf den Straßen nicht mehr sicher sein.

      Manchmal überraschten die normalen Menschen Morten. Manchmal trauten sie sich tagelang nicht aus dem Haus, aus Angst, sie könnten die Nacht – oder vielleicht sogar den Tag – nicht überleben und manchmal schoben sie jede Angst, jede Gefahr beiseite und feierten als gäbe es kein Morgen mehr.

      In gewisser Weise konnte Morten diesen plötzlichen Heißhunger auf Freude, Spaß, Glück sogar nachvollziehen, der die Menschen alle paar Tage, Wochen, Monate erfasste. Sie versuchten die Dunkelheit, in der sie den Großteil ihres Lebens verbrachten, mit Tanz und Musik und Lachen einfach mal beiseite zu schieben, wenn auch nur für kurze Zeit, und nicht daran zu denken, was ihnen in der Nacht oder am nächsten Tag widerfahren könnte.

      Heute war keine dieser Nächte, in denen es ratsam war, sich außerhalb seines Hauses herumzutreiben und durch Lärm auf sich aufmerksam zu machen. Heute war eine dieser Nächte, in denen man besser dran war, wenn man im eigenen Haus alle Lichter löschte und Türen und Fenster fest verschlossen hielt.

      Doch so war es nun mal im Leben, manchmal hatte man Glück, manchmal Pech.

      Manuela schien zu denken, dass er ihre Streicheleinheiten genoss. Doch Morten hatte sich nicht zurückgelehnt und die Augen geschlossen, um sich zu entspannen, sondern um sich zu konzentrieren. Er lauschte auf die Geräusche der Schatten. Auf ihr Flüstern, ihr Klirren, ihr Rascheln.

      Er fühlte praktisch, wie sich der Dämon draußen über die Straße schob. Mit langsamen Schritten kroch er beinahe wie eine Schnecke über das Kopfsteinpflaster. Als ein paar Wolken, den milchigen Mond freigaben, flutete das Licht über Straßen, Gebäude und über die massige Gestalt, die draußen umher streifte, hungrig, gierig nach Blut.

      Die Silhouette des Dämons wurde ins Haus geworfen und unten erstarb plötzlich jedes Geräusch. Ein Lächeln stahl sich auf Mortens Lippen. Jetzt hatte auch der Einfältigste begriffen, dass heute keine gute Nacht zum Feiern war. Manuela krallte sich in seinen Ärmel und starrte verängstigt aus dem Fenster hinter ihr.

      Die tosende Stille ermöglichte es Morten, die Geräusche zu analysieren, die die Schreckgestalt draußen erzeugte. Jacque mochte es nicht, wenn Morten dermaßen ruhig blieb und er konnte den brennenden, auffordernden Blick spüren, den er ihm zuwarf. Es fiel ihm schwer, das Grinsen zu unterdrücken, das sich anbahnte.

      Die Aufmerksamkeit des Dämons lag voll und ganz auf dem Wirtshaus. Das Licht und der Lärm hatten ihn angelockt wie eine Motte. Er witterte und näherte sich langsam aber beständig den Fenstern, um hineinzuspähen. Wären sie nicht direkt in der Gefahrenzone, würde Jacque Morten ansprechen oder ihn anstupsen oder sonst was machen, aber so zögerte er und beließ es dabei, ihn weiter