Lisa Hummel

Illuminas' Dämonen


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Gram, Lügen, Hass, Verzweiflung, Trauer, Unzufriedenheit, Hunger, Begierde... All diese Gefühle nähren die Dämonen, die in jedem von uns wohnen. Wenn man einen schwachen Charakter hat und sich seinen dunklen Seiten hingibt, anstatt sie zu bekämpfen, wird man zu einer hohlen Hülle, zu einem Schatten seiner selbst, der immer hungrig durch die Straßen zieht und die Dämonen nur noch mächtiger macht. Egal ob intern oder extern.“

      Steve kicherte leise. „Das ist einer der Gründe, warum ich dich mag, Morten. Du drückst dich immer so philosophisch aus.“

      Morten zog die Brauen hoch und zog es vor, darauf nicht zu antworten.

      „Tja, aber deine Angst vor Dämonen scheint ziemlich ausgeprägt und real zu sein, dafür, dass du die Kompetenz der Jäger anzweifelst“, mischte sich Jacque ein.

      Steve zuckte mit den Schultern. „Ich wäre ein Narr, wenn ich mich nicht von Dämonen fern halten und auf Nummer sicher gehen würde, was meinen Geleitschutz anbelangt.“

      „Mit anderen Worten, wir sind für dich nur Mittel zum Zweck.“

      „Ist nicht jeder, der einen Beruf ausführt, Mittel zum Zweck von irgendjemandem?“

      Jacque biss in die Haxe und starrte Steve nieder, der sich dann ziemlich schnell und ziemlich gründlich um die letzten Reste seines Haferschleims kümmerte, die noch auf dem Boden seines Tellers zu finden waren.

      Morten grinste Jacque an und sah abermals nach draußen zu den Städtern, die mit Hilfe eines Seilzuges und massiven Ketten dabei waren, den Kadaver des Dämons zu befestigen. Die meisten von ihnen waren blass – ihre Haut war gräulich – und hager. Ihre Kleidung war zerschlissen, manchen waren die Lumpen, die sie trugen, zu groß.

      Morten würde sich nicht wundern, wenn er irgendwann in naher oder ferner Zukunft den ein oder anderen von ihnen beseitigen müsste. Es gab viel zu viele Schrecken, die Jäger zu gut kannten, gewöhnliche Menschen jedoch noch nie gesehen hatten.

      Er wusste nicht einmal mehr, wann er das letzte Mal die Sonne gesehen hatte.

      3.

      Der Tag war grau und düster. So wie jeder andere. Irgendwo über den Nebelschwaden und den Wolken befand sich die Sonne, das wusste Morten, aber genauso wusste er auch, dass die wärmenden Strahlen auch heute nicht bis hier unten durchdringen würden.

      Steve plauderte ununterbrochen vor sich hin, während sie die langen, breiten Steintreppen zum Kathedralenplatz hochstiegen, der armen Menschen in Gefahr eine Zuflucht schenkte – wenn sie Glück hatten und sie es rechtzeitig hinter die schützenden Tore einer der Kirchen schafften. Nicht jedem gelang es, sich in Sicherheit zu bringen, ehe die dunklen Schatten sie ergriffen und mit Haut und Haar verspeisten...

      Jacque und Morten ließen Steve reden. Beide waren nicht gerade darauf versessen, sich mit dem Beamten auszutauschen. Sie waren eigentlich ganz glücklich über seine Monologe, die sie davor bewahrten, in nervenaufreibende Gespräche verstrickt zu werden.

      Entlang der vielen steinernen Treppen standen in regelmäßigen Abständen Statuen, die die Gestalt von vermummten Personen hatten. Die Stadt war so alt, dass Morten nicht wusste, wen diese Skulpturen darstellen sollten. Einige von ihnen wurden in so verrenkten Haltungen dargestellt, dass sie nur noch an verzerrte Ebenbilder von Menschen erinnerten.

      Manche von ihnen wurden von den Bewohnern, die sich selten aus ihren Häusern wagten, als Laternen oder als kleine Altäre verwendet, die Licht, und auf eine bizarre Art und Weise manchen Menschen sogar Hoffnung, spendeten. Auch wenn die Flammen der unförmigen Kerzen zumeist nur blass und schwach schienen und deshalb manche Statuen mit einer kleinen Armee der Lichtquellen gespickt waren.

      Dabei wusste Morten nicht einmal, ob diese Skulpturen schon lange toten Jägern huldigten oder gar Dämonen. In dieser gottverlassenen Stadt war alles möglich.

      Überall in Manrhay waren solche Plastiken zu finden, die sich zwischen den Nebeln herausschälten und man im ernsten Moment nicht wusste, ob dort nur eine leblose Steinstatue stand oder eine lebende – oder zumindest existierende – Kreatur dort auf unbedachte Passanten wartete, um sie zu verspeisen oder anderweitig grausam zu töten.

      Nach all den Jahren, in denen Morten hier lebte, hatte er sich noch immer nicht an die zahlreichen Figuren gewöhnt und auch wenn er es äußerlich nicht mehr so deutlich zeigte, erschrak er innerlich viel zu häufig und viel zu sehr.

      „Es ist kein Wunder, dass nur so wenige Leute Zuflucht in den Kathedralen suchen. Der Weg hier rauf ist mit Sicherheit ... ziemlich abschreckend auf viele“, sagte Morten.

      Steve sah ihn nachdenklich an. „Du hast recht, aber in dieser Stadt, wo auf jeder Straße der Tod umhergeht, ist kein Weg sicher.“

      „Zu dumm, dass der Weg zu den Kathedralen so weit ist“, mischte sich Jacque ein. „Ich kann mir vorstellen, dass hier ein beliebter Jagdplatz von Dämonen ist, die sich hier irgendwo auf die Lauer legen, um vorbeigehende Menschen anzufallen. Ich kann mir gut vorstellen, dass nicht jeder oben ankommt, der sich einmal auf den Weg gemacht hat.“

      „Tja, das Leben meint es eben nur selten gut mit uns...“, murmelte Steve. „Aber dafür gibt es ja euch Jäger, damit der Alptraum vielleicht irgendwann einmal ein Ende hat und wir alle wieder gefahrlos durch die Stadt gehen können, wie es unsere Vorfahren vermutlich einmal getan haben.“ Er lächelte Morten breit an, doch als er merkte, dass Morten es nicht erwiderte, sondern ihn viel eher ernst ansah, erstarb sein Lächeln und er fügte leise hinzu, sodass man ihn kaum hören konnte: „Vielleicht ja eines Tages...“

      Morten schloss für eine Sekunde die Augen und atmete tief durch.

      „Na ja, wir haben einige vielversprechende Schüler an unserer Akademie aufgenommen. Vielleicht wird es ja eine der zukünftigen Generationen schaffen, die Plage der Dämonen aus Manrhay zu vertreiben“, wechselte Steve das Thema.

      Jacque und Morten schwiegen. Es war schwierig, das Problem in den Griff zu bekommen. Schon seit Generationen kämpften die Menschen gegen die Dämonen, deren Anzahl nicht zu schrumpfen schien. Es war noch lange kein Ende in Sicht und niemand wusste genau, wie viele der dunklen Kreaturen sich noch in der Stadt und im Umland herumtrieben.

      Mit jedem Jahr, das Jäger in ihrem Beruf verbrachten, verloren sie an Mut. Viele hatten das Gefühl, dass auf einen getöteten Dämon zehn neue kamen. Es war ein Kampf gegen Windmühlen. Viele zogen sich ab einem gewissen Alter einfach in die Einsamkeit zurück. Manche, weil sie keine Kraft, andere, weil sie keine Hoffnung oder keinen Glauben mehr hatten.

      Dabei war der Zeitpunkt, bei dem sie ins Exil gingen, von Person zu Person unterschiedlich. Die Harten hielten bis ins hohe Alter durch und bissen sich durch Kämpfe, bis ihre Körper nachgaben und sie im Kampf starben. Manche hingegen, und das hieß nicht zwingend, dass sie schwach waren, manchmal kam einfach das Leben dazwischen, das sie beutelte, stiegen schon kurz nach Abschluss der Akademie aus und suchten ihr Heil weit abgelegen von jeglichen Zeichen der Zivilisation. Falls man das Leben in Manrhay denn überhaupt so nennen konnte.

      Viel zu viele brachen unter dem harten Schicksal zusammen, das die Jäger begleitete wie einen Schatten. Morten wusste, dass der Kollaps einen gnadenlos erfasste, sobald man die Gedanken zuließ. Wer grübelte und nach einem Sinn suchte, der war schon verloren.

      Das Problem war nur, dass niemand diese Gedanken abschalten konnte. Manche konnten vielleicht lange davor weglaufen, doch niemand war ganz frei davon.

      „Wir werden verfolgt“, sagte Jacque leise.

      Morten nickte zustimmend. Irgendwo hinter den Nebeln schlich ein Schatten umher, der sie seit geraumer Zeit beobachtete, ihren Schritten folgte.

      Steve wandte sich beunruhigt um und versuchte zwischen die Schwaden zu blicken. Überall könnte dort etwas lauern.

      4.

      „Seid ihr euch sicher, dass dort etwas ist?“, fragte Steve zaghaft. „Ich kann gar nichts