Hans Landthaler

Mel


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alles Geld floss in die Angelei, sie hat auf alles verzichtet, sich nicht gegönnt und zwei Tage bevor er auszog, hat sie sich noch von ihm ein Tattoo aufschwatzen lassen. Sie weitet den Ausschnitt des Shirts und über ihrer kleinen, spitzen Brust kommt ein keltisches Runenzeichen zum Vorschein. Die Haut rundum ist noch gerötet von der frischen Tätowierung. Sie presst eine Faust vor den Mund, so dass die Knöchel weiß hervor treten, unterdrückt das Schluchzen, würgt dafür ein trauriges Kicksen aus der Kehle. Mel fühlt sich unwohl, weiß er doch zu genau, was in ihr vorgeht. Was hat er bloß alles mit der gemeinen Anna erleben müssen. Und um nicht in der ängstlichen Stille zu verbleiben, fängt er an, von ihr zu sprechen. Natürlich will die Fischersfrau wissen, warum die gemeine Anna gemeine Anna genannt wird. Und Mel erzählt ihr bereitwillig die absonderliche Geschichte von dem Kätzchen. Sie ist tief berührt, betrachtet ihn mit zärtlichem Bedauern. Er denkt im selben Augenblick, dass sie ihm sehr gut gefällt. Ihm gefällt ihr offenes, ein wenig naives Gesicht. Ihm gefällt das vertrauliche Gespräch. Ihm gefällt ihre Winzigkeit und dass sie Kinderbeine hat. Mel gefällt es ausgezeichnet, dass sie bei ihm ist, und das sagt er ihr nun. Zugleich erhebt er sich, bietet trotz der frühen Stunde Rotwein an, nur um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Sie sagt nicht Nein, nicht Ja, sie sagt, dass der Fischer in all den Jahren nicht mit ihr geschlafen hat. Er denkt, ob das eine Aufforderung zum Tanz bedeuten soll, erinnert sich, dass er seit der Trennung von der gemeinen Anna auch keinen Sex hatte. Mel stellt die Gläser auf den Tisch, schenkt ein, sie zupft sich mit den Zähnen Hausstückchen aus den Mundwinkeln, blickt apathisch vor sich hin, bis Mel sie nach ihrem Namen fragt. „Judith“, antwortet Judith, will im gleichen Atemzug Mels Atemzug wissen. „Mel“, kommt es tief und warm aus seinem Munde. „Mel, was?“ fragt sie. „Mel, von Melchior, Heilige Drei Könige!“. Sie hat noch nie gehört, dass jemand so heißt. Er erklärt, dass sein Vater Balthasar hieß. Judiths Vater hieß Emilio, weil er Italiener war. Die Katze heißt Fritz, obwohl sie ein Weibchen ist. Judith raucht eine weitere Zigarette, nippt von dem roten Wein. Fritz klettert vom Fensterbrett auf Mels Schulter, dann auf seinen Schoß, dreht sich viermal bevor er sich einrollt, die Augen schließt. „Fritz liebt Männer“, erklärt sie und Mel erzählt von seinen Katzenphantasien. „Sie fühlt sich wohl bei Dir, Melchior“. Judith sagt Melchior und es klingt so zart, als hätte sie Erdbeereis im Mund. Er spürt sein Herz arbeiten, außerdem erscheint ihm die linke Seite wieder ein bisschen taub. Judith berichtet, wie Fritz zu seinem Namen kam, aber Mel hört nur mit einem Ohr zu.

      Mel denkt nämlich zum ersten Mal an mich. Er möchte jetzt nicht sterben. Er möchte aber auch nicht krank sein – halbseitig gelähmt mit Sprachstörungen und was man so hört von Schlaganfallpatienten. Er möchte aber auch nicht zum Arzt und eine sichere Diagnose. Er möchte einfach nur hier sitzen mit Judith und Fritz.

      Sie bemerkt, dass er mit den Gedanken ganz woanders ist, fragt ihn danach und Mel beginnt den gestrigen Tag nachzuerzählen. Sie hat die Beine vor die Brust gezogen, umfasst sie mit den Armen, das Kinn stützt auf den Knien, so hört sie ihm zu. Als Mel bei der Stelle angelangt, wie er mit dem Gesicht fast in die Schnecken fiel, beginnt sie mit einem kleinen Lachgemurmel, verfällt ins Kichern, prustet endlich los in schallendes Gelächter, von dem Mel sich anstecken lässt. Als Fritz daraufhin mit einem Satz erschreckt das Weite sucht, reagieren beide wiederum mit Gelächter. Sie seufzen. Judith steht auf, geht zu Mel, gibt ihm kleine, heftige Vogelküsse auf den Mund, umfasst seine Taille, drückt ihn an sich, hat sein Gesicht an seine Brust gelegt, wiegt ihn und sich sachte hin und her, begleitet von einem Singsang – ähnlich wie man es singt, um kleine Kinder zu beruhigen. Mel stellt sich erst ein wenig steif an, stimmt dann in das Gesumme mit ein, traut sich, ihren Nacken zu streicheln, öffnet den Haarspringbrunnen, küsst in den Feuerschopf. Sie beschaukeln sich schon dreihundertzwanzig Sekunden, als Judith in wiederum melchiort, wissen will, ob er sich selbst befriedigt hat im Anblick ihrer Nacktheit durch das Fernglas. Ehrlich verneint Mel – sie sei ihm zu sympathisch und ihr Kinderkörper … Weil sie ihn nicht versteht, erklärt er ihr einigermaßen verschämt die Bilder, die er zum Onanieren braucht. Sie findet ihn lieb. Das sagt sie ihm auch – reibt ihren Bauch an seinem Geschlecht, was Mel peinlich ist, spürt er doch sogleich Erregung. Außerdem hat er den Frauen abgeschworen, nach der Trennung von der gemeinen Anna.

      Judith muss wirklich etwas Besonderes für Mel sein – liegen sie doch auf der guten Decke – das letzte Geschenk von Marian, unter dem Walnussbaum, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, Ellenbogen an Ellenbogen und dazwischen Fritz. Mel hat das Radio auf das Fenster gestellt: Es mozartet durch den Garten. Dieser Mel denkt keine Sekunde an die Schwäne, die er sonst um diese Zeit füttert. Er denkt, wie lange wohl Judith bei ihm bleiben wird, ob sie mit ihm schläft und ob er es noch kann. Sein Gehirn hat Bedenken, auch Angst vor Sex. Entsteht etwas daraus? Kommt eine Frau ins Haus? War dann die jahrelange Mühe umsonst, das Alleinsein zu lernen?

      Sie sehen durch das Blätterdach in den veilchenblauen Himmel mit entspannten Gesichtern. Mel ist erstaunt ob dieses „Traums“. Sie hat sich nun zu ihm gewendet, liegt an seiner Seite, ein Bein über den Seinen. Judith flüstert mehr als dass sie spricht. Der Kopf ruht auf seiner Brust, betont zärtlich. Vorsichtig gibt sie ihm zu verstehen, dass er keine Angst zu haben braucht. „Vor was?“ „Dass ich bei Dir hängen bleibe!“

      Mel ist es sehr behaglich mit ihr, froh über das, was sie sagte, und antwortet mit einem breiten Lächeln. Sie stellt sich vor, dass sie ihn sporadisch besucht. Sie erfreut sind, wenn sie einander sehen, sich küssen, in Zärtlichkeit lieben. Mel spürt ihre Brust an seinen Rippen, hat einen Arm um sie gelegt, atmet synchron mit der schlafenden Judith, kämpft gegen den Schlaf, er will die Zeit mit ihr nicht verschlafen. Die Musik variiert in der Lautstärke, je nachdem wie der Wind sie trägt. Ein Dahlienwind – Mozart wird abgelöst von Beethoven und nach Beginn der zweiten Klaviersonate verschlummert er sich. Mel verweigert den ersten Traum schon im Ansatz, jedoch nach siebzehn Sekunden ist er gefangen im Netz der Träumigkeit. Während Mel in unruhiger Träumerei ist, Judith seinem Arm entschlüpft, begutachtet sie den Schläfer. Sie beugt sich über ihn, eine Sekunde sieht es so aus. als ob sie ihn streicheln wolle, und wie nun Galuppi zärtliche Spielereien aus dem Radio hören lässt, tut sie es, haucht Mel ihr einen Kuss ins Haar.

      Ich empfinde auch bei Klaviermusik nichts, dennoch weiß ich, dies ist die Klaviersonate Nr. 8 von Balthasarie Galuppi. Alle Menschen erheitert diese Musik. Mel mag sie auch deshalb wegen Balthasarie … Kaspar, Melchior, Balthasar!

      Judith summt die Melodie vor sich hin, lehnt im Türrahmen des Hauses, lässt den Blick kreisen, pendelt sich nun durch den Raum. Sie betrachtet nochmals Mels Kleinigkeiten, nimmt dies und das in die Hand, sitzt auf dem Bett, stülpt sich die clownesken Schuhe über die Füße, verlässt das Haus durch das Klohäuschen.

      Schwere Regenwolken verdunkeln den Mittag, die Horizonte bleiern, giftig. Grummelnder Donner wandert über den Himmel, gleißende Blitzadern zucken aus dicken Wolkenbäuschen. Ernste, kleine, harte Regentropfen stechen in Mels Gesicht. Der dreht sich bäuchlings noch in der Benommenheit des Schlafes. Die Katze ist in das Haus gespurtet.

      Mel wird plötzlich bewusst, dass Judith fehlt, rappelt sich in die Höhe, schleift die Decke hinter sich her in das Haus. Nein, sie hat keine Notiz hinterlassen!

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