Hans Landthaler

Mel


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stehen. Sah starr durch die Türe in die Nacht. Er atmete kräftig. Ein leichtes Zittern durchschauerte seinen Körper und er rief ein wenig heiser: „Und du bist noch schöner und gemeiner als je zuvor!“ Dann nahm er den von ihr benutzten Teller, das Besteck, warf es mit samt dem Glas hinter dem Toilettenhäuschen in den Schutt. Die Wolldecke steckte er in eine Plastiktüte, um sie am nächsten Tag in die chemische Reinigung zu bringen.

      Kapitel 4 Die Bauersfrau

      Durch das offene Fenster strömt süße Luft. Mel riecht die Dahlien. Er sieht hinaus, bewundert den kleinen Blumenwald, den jede Menge Insekten bewohnen. Geht er freitags in den Bauernladen und blühen besonders schöne Dahlien, dann schneidet er einen buschigen Strauß für die Bäuerin. Sie lächelt ihn dann so liebevoll an, dass Mel sich liebkost vorkommt und ebenfalls dies von Herzen kommende Lächeln aufsetzt. Was rührend aussieht, stehen sie sich so gegenüber. Sie unterbricht die Szene, holt aus dem Nebenraum den blauen Krug, stellt die Blumen hinein und die ganze Pracht auf den Ladentisch. Während Mel noch immer selig lächelt, sucht sie ihm in aller Ruhe ein dickes braunes Ei nach dem anderen aus dem großen, grobgeflochtenen Holzkorb.

      Morgen ist Freitag und leuchtend bunte Dahlienköpfe hängen im Grün. Er wird ihr wieder einen Strauß bringen. Er sieht sie vor sich in ihrer weichen Molligkeit, denkt, dass sie oft wochenlang der einzige Mensch ist, mit dem er spricht. „Mit wem habe ich gesprochen in den vergangenen zwei Wochen?“ denkt er nach. Er reibt sich das Kinn mit der Hand, tippt sich mit dem Finger an die Nasenspitze, massiert die Wangen, blickt ratsuchend an die Zimmerdecke, bläst die Backen auf, pustet sie leer und es fällt ihm niemand ein.

      „Habe ich vierzehn Tage mit niemandem gesprochen?“ fragt er sich. „Mit niemandem geredet? Habe ich überhaupt einen anderen Menschen gesehen?“ Die Fischers habe ich gesehen, vom Steg aus. Zwei helle Flecken am Ufer gegenüber, den Mann auf dem Damenrad, der in dem Korb auf dem Gepäckträger zwei Enten transportierte, der Briefträger war da, brachte eine Ansichtskarte mit Grüßen aus Bad Berleburg von Rita. Das war es, grübelte er. Nein! Nein! Da waren noch die Kinder, die das Ufer entlang hampelten, diese uralte Frau mit der Alditasche voller Kiefernzapfen, die ihn nach der Uhrzeit fragte, bei seinem täglichen Rundgang um den See. Aber das war’s, kann er nachdenken wie er will.

      Mel weiß nicht, wie die Bäuerin heißt.

      Er denkt, sie heißt Angelika. Sie redet hauptsächlich über Krankheiten und Mel amüsiert sich, denn er leidet unter keiner. So hat er Gelenkschmerzen erfunden, um auch einen Beitrag leisten zu können. Dafür bekommt er von ihr Brennesselpaste, um sich damit einzureiben. Mel jagt damit den Ameisen Angst ein und sie meiden seinen Vorratsschrank. Die Bäuerin hat schmerzende Venen, spricht frank und frei über ihre problematischen Mensen, die Gallensteine und die ewige Malaise mit den Zähnen. Sie spricht nie über ihren Mann.

      Mel bildet sich ein, sie appetitlich zu finden, weiß insgeheim, dass sie zu schwer, fantasiert sie sich prall und fest im Fleisch, in seiner Onanie. Wenn sie mit dem deftigen Leib auf ihm liegt, ihn zudeckt, wie ein fleischliches Plümo, zittern Mel die Beine.

      Er wünschte, sie zu fotografieren, in seinem See badend. Vorsichtig, scheu entblößt sie sich, legt ihre Kleidung behutsam auf einen Busch, sich wieder und wieder umblickend, vergewissernd, dass ihr nicht zugesehen wird. Mel kann sie sehen! Sehr gut sogar. Aus dem Fensterchen des geschlossenen Hochsitzes, der versteckt an einer Pappel lehnt. Mit dem Teleobjektiv wird er sie ablichten, während sie mit zaghaften kleinen Schritten durch das Schilf ins freie Wasser watet, ihr prächtiges Hinterteil weiß aus dem See leuchtet, sie sich abrupt ins Nass stürzt, um die Kühle zu überlisten.

      Sie kann ein lautes Prusten nicht unterdrücken, wendet sich auf den Rücken, strampelt das Wasser wellig, um sich warm zu machen. Nun ist der kleine Schock überwunden. Sie schwimmt in ruhigen, kräftigen Zügen der Seemitte zu, verweilt, dreht sich um die eigene Achse, taucht unter, schleudert ihr langes Haar beim Auftauchen durch die Luft.

      Wasserperlenbogen! Klick! Fotografiert.

      Erfrischt in sichtbarer Zufriedenheit schwimmt sie zurück. Was für ein Anblick, den Mel sich ausmalt, als sie sich aus dem Wasser erhebt. Die nassen Haare dreht sie zu einem Strang, legt ihn über die breiten, weichen Schultern nach vorne. Nun tauchen ihre Brüste auf. Schweben einen Augenblick wie kleine Ballons auf dem Wasser. Klick! Kugelbauch mit dunkler Nabelrosette. Klick! Und endlich das schwarze, akkurat gebuschte Haardreieck, von dem Mel eine Serie klickt. Die Schenkelsäulen lassen keinen Zwischenraum. Klick! Gut ausgeformte, muskulöse Waden. Klick! Fast zu graziöse Fesseln. Klick! Standhafte Füße. Klick! Mit runden Zehen. Klick! Wie aus Elfenbein geformt steht sie, mit erhobenem Gesicht, die Sonne auf sich wirken lassend. Klick! Kein Anschein mehr von Scham, als sie sich in der Wiese räkelt. Klick! Der Busen schwankt über den Rippen. Klick! Der Bauch nun flach. Klick! Das Dreieck zum Quadrat geraten, weil sie die Beine weit gespreizt. Klick! Klick! Klick! Bis hierher denkt sich Mel in Lust. Das reicht! Fein erquickende Erleichterung.

      Träumer Melchior wäre es doch ein Leichtes für dich, sich die Frau so vorzustellen, wie sie in Wirklichkeit nach vier Geburten, der harten Arbeit, ihrer vierzig Jahre und dem Übergewicht aussieht.

      Mel sieht zu, wie gewaltige Wolkeninseln über den Horizont geschoben werden. Der Himmel über dem See spiegelt sich in einem stumpfen Taubenblau darin. Mel ist ruhig, doch unentschlossen seines Tuns. Ein deftiges Gewitter mit vielen Blitzen könnte seine angenehme Lethargie verlängern, somit wird beginnende Langeweile ihn zum Aufstehen veranlassen. Erst kaum wahrnehmbares Blitzzucken noch im hellen Himmel. Nach langen sieben Sekunden der erste heiße, grollende Donner. Wie auf Kommando schwärzen sich die Wolkenknäuel, der Horizont wird bleiern und nun kann der Tanz beginnen… Mel ruft all dies ab, was sein Gehirn über Gewitter weiß. Tauscht die Wirklichkeit in seine Eigene. Er ist schon länger aus der allgemeinen Realität ausgestiegen. Die allgemeine Realität gehört der gemeinen Anna, den korrupten Politikern, den scheinheiligen Religionären, der ängstlichen Menschheit. Er hat für sich die einfache Art der Angst abgeschafft. Angst ist notwendig, aber nur, wenn sie sich lohnt. Der Lohn der überwundenen einfachen Angst, so Mel, ist Selbstvertrauen, Zuversicht und die Einsicht in die Einmaligkeit des Lebens. Der Inhalt der Angst muss bestimmt werden. Angst ist nicht gleich Furcht, wie Zufriedenheit nicht Glück bedeutet. Alleinsein nicht Einsamkeit.

      Als Mel vor eintausendsechshundertachtundfünfzig Tagen hier einzog, hatte ihn die normale Angst noch. Er verschloss die Fensterläden abends, oder wenn er sich zum Einkauf begab. Verriegelte die Türe mittels eines Querbalkens. Die Axt, das Handy neben dem Bett und er dachte Tag und Nacht daran, sich einen Wachhund anzuschaffen. Die Existenzängste ließen ihn schlecht schlafen. Er hörte in die Nacht nach verdächtigen Geräuschen. Die Lebensangst ließ ihn am Morgen den Tag bezweifeln. Er hatte Angst vor seinen Ängsten und als diese sich auch körperlich bemerkbar machten, suchte er am hundertdreiundsiebzigsten Tag den Schutz des Sees auf, verblieb dort den Tag mit der Nacht. Er sprach mit sich selbst kein Wort. Ließ sich einfach denken.

      Jeden Gedanken, auch die Niederträchtigsten, die Maroden, die Brutalsten, die Mitleidigsten, die Gemeinsten und Kitschigsten, dachte er zu Ende. Er schwitzte dabei kalten Schweiß, würgte an Übelkeit. Es raste sein Herz und er zitterte an Leib und Seele.

      Mit der Morgenröte, dem Aufschweben der Sonne, wurde Mels Körper so ruhig wie seine Gedanken. Er konnte in den See sehen, ohne darin etwas entdecken zu wollen, ging nach Hause, entfernte Schloss und Riegel, legte alles offen dar, was ihm bedeutend und wertvoll. So hatte er die einfachen Ängste überwunden und komplizierte hatte er keine.

      Kapitel 5 Die Fritzin

      Während Mel in seinem selbstgemachten Gewitter sitzt, bemerke ich die Katze. Eine grauschwarz Getigerte, im Unterfell weiß, leicht kartonbraun abgemischt. Der Schwanz ist bis zum Ansatz knallschwarz, wie Mel sagen würde. Sie streicht unentschlossen die Dahlien auf und ab, bleibt sitzen … oder ist es ein Kater? Scheint, als hört sie sich um. Wenn Mel sie sieht, wird er verrückt. Seit er hier lebt, hat er in der Nähe des Hauses noch nie eine Katze zu Gesicht bekommen. Sie sitzt mit aufrechten Vorderbeinen, ihre Ohren peilen nach Geräuschen, die Schwanzspitze wippt auf und ab. Sie lauert