Hans Landthaler

Mel


Скачать книгу

er war gerade dabei ein Tablett, mit Wein, Schinken und Oliven in den Garten zu tragen, als sie ohne anzuklopfen in der Türe stand, ihm gegenüber. Vor Überraschung blickte er ihr starr in die Augen, sie hielt seinem Blick stand, bis zu ihrer zynischen Begrüßung. „Na, du Melchior!“ „Du Melchior du, du bist vielleicht ein Melchior…“ Das waren ihre Bezeichnungen für ihn, nie hatte sie ihn Mel genannt. Sie bediente sich von dem Tablett, das er immer noch vor seiner Brust hielt, stolzierte kauend durch den Wohnraum, inspizierte schamlos. Mit einer Olive in den spitzen Fingern deutete sie aus dem Fenster zum See, an dem sie Gefallen fand. Vehement verweigerte Mel ihr darin zu schwimmen, mit der Begründung des absoluten Naturschutzes. Es wäre wie eine Entweihung für ihn gewesen, die gemeine Anna in seinem See. Also saßen sie an dem Tisch im Schatten des Walnussbaumes und sie schenkte sich Wein ein in Mels Glas. Als er zurück kam mit einem Glas für sich, hatte sie Schuhe und Strümpfe ausgezogen, die Füße auf seinen Stuhl gelegt, also ging er nochmals hinein , brachte einen Stuhl und eine Flasche Wasser mit, aus der sie sogleich begierig trank, ihn grinsend ansah, als sie einen langen grollenden Rülpser von sich gab.

      Mel hatte noch kein Wort, kein einziges Wort gesprochen, so fragt er nun „Und sonst geht’s dir gut?“ Wie auf Stichwort schnatterte sie los, mit ihrer ausdruckslosen Stimme, den See nicht aus dem Blick lassend. Die Eigentumswohnung, die gewaltigen Reisen, die beiden Autos ihres Lebenspartners, wie sie ihn benannte. Den neu angelegten Garten, den Hund und ihre Mutter, die mit über Sechzig noch zu studieren angefangen hat. Mel bat seinen Gott, er möge die gemeine Anna verschwinden lassen, aber er erhörte ihn nicht. Wie nie.

      So saßen sie bis die glutrote untergehende Sonne sich im See spiegelte, Bewunderung in ihr auslösend, die sich alsbald im Sonnenball Thailands auflöste. Selbst die Walnussbäume waren in Thailand eindrucksvoller. Erst Recht die Seen. Ach Gott, und erst die Katzen dort und in Thailand hatte sie diesen Lebenspartner kennen gelernt, auf dem Golfplatz. Während die gemeine Anna Thailand pries, konnte er ihr Profil studieren. Fältchen hatte sie um die Augen bekommen. Feine winzige Spinnennetzchen. Der Mund etwas sinnlicher, obwohl die Unterlippe noch schmaler geworden. Mel mochte sehr ihren Mund, nicht aber ihre harten Küsse. Ihre Cleopatra-Nase mit den sensiblen Flügelchen besänftigte seine Ungeduld über ihr langes Bleiben. „Sie wird bis zum Tode schön sein“, dachte Mel.

      Das wird sich herausstellen! Was will sie hier, fragte er sich ein ums andere Mal. Sie ist doch nicht gekommen, um mit mir unter dem Baum zu sitzen und zu plaudern. Er wollte sie aber auch nicht danach fragen. Sie hatte aufgehört zu palavern, sah Mel lange an. Dieser wünschte sich nichts sehnlicher, als eine Katze auf dem Schoß, die er streicheln, liebkosen könnte, um dem peinlichen Schweigen zu entgehen, als die gemeine Anna plötzlich aufstand, gemächlich ihrem Kleid entschlüpfte, dem Slip entstieg und lässig auf den See zuging, mit beschwingtem Hinterteil.

      Das beschwingte Hinterteil erdachte Mel, dem außerdem ihre rasierte Scham aufgefallen war. Die kräftigen blauen Adern in den Kniekehlen und die kleine tätowierte Spinne zwischen ihren Schulterblättern. „Komm schon, du Melchior!“ forderte die gemeine Anna und Mel entließ seine Kleider bis auf die Boxershorts. Er hatte keine Meinung zu seinem Tun.

      Lau war die Wassertemperatur in der Uferzone, doch umso mehr sie in die Mitte schwammen, häuften sich diese eiskalten Stellen. Der See war schwarz und die reflektierenden Lichter des Fischerufers ließen ihn noch unergründlicher erscheinen. Er konnte sie nur durch die blasse Helligkeit ihres Gesichtes wahrnehmen und dem sanften Geplätscher ihrer Schwimmzüge. Sie schwammen so nah an das Ufer, bis die Fischers als Personen erkennbar waren. Sie konnten gerade stehen, fühlten die Kieselsteine im Schlick. Mel klärte sie flüsternd über die Fischers auf, die sich in langen Schatten um das Feuer bewegten.

      Herr und Frau Fischer waren nackt und es sah so aus, als tanzten sie um das Feuer, was die gemeine Anna so erregte, dass sie im Wasser pupste, Blasengebrabbel hinter ihr aus dem Wasser stieg. Fast wäre sie in lautes Gelächter ausgebrochen, hätte Mel ihr nicht den Mund zugehalten. Doch einer der Hunde, dieses schwarze Biest, wie Mel ihn nennt, hatte sie anscheinend bemerkt, denn er lief hysterisch am Ufer auf und ab, bevor er sich zähnefletschend ins Wasser stürzte. Mel und die gemeine Anna standen wie gebannt im Wasser, so nahe zusammen, dass Mel ihre Hüfte an der seinen spürte. Sie konnten von dem Hund lediglich die gelb leuchtenden Augen sehen, sein Knurren und sein hecheln hören.

      Mel dachte, dass ihm diese Frau nur Unglück bringt. Warum war sie nur gekommen und weshalb ist er mit ihr in den See? Der Hund kam näher, doch hatte er aufgehört zu knurren, zu bellen. Stattdessen japste, jaulte er und ab und zu verschwanden die bedrohlichen Augen im Wasser, tauchten ein Stück näher wieder auf. Mel hoffte, dass dies anscheinend schlecht schwimmende Tier es nicht schaffen würde, doch ehe sie sich versahen, klammerte sich der halb ertrunkene Hund verzweifelt an Mel und als dieser ihn auf den Arm nahm, leckte der ihm das Gesicht. Das Gesicht der gemeinen Anna war so bleich wie der silberne Mond, der maskenhaft aus dem Wasser strahlte. Ganze siebenundzwanzig Sekunden hatte Mel vergessen zu atmen, sog nun gierig die Luft ein und stieß sie erleichtert aus. Der Hund hatte seinen Kopf auf Mels Schultern gelegt und Mel watete mit ihm an Land. Die Fischers, vom Feuer beschienen, standen in rötlichen Silhouetten am Ufer. Mel ließ den Hund ein paar Meter davor los, schubste ihn von sich und der paddelte hektisch an den Strand, schüttelte sich das Wasser aus dem Fell und raste wie von der Tarantel gestochen ein ums andere Mal um den Scheiterhaufen. Mel ließ sich rückwärts ins Wasser fallen, schwamm ruhig, die Fischers nicht aus den Augen lassend, zur gemeinen Anna zurück, die steif, wachsbleich, bibbernd, mit großen Augen an der gleichen Stelle stand. Sie legte sich ebenfalls auf den Rücken, als Mel sie erreichte, und sie glitten fast lautlos dahin, bis sie das Schilf spürten.

      Erst als sie aus dem Wasser stiegen, bemerkte Mel den Verlust seiner Shorts. Die gemeine Anna zitterte, klapperte mit den Zähnen und Mel dachte, dass er so was noch nie gehört. Die Flaumhärchen standen senkrecht, als er ihre Gänsehaut abtrocknete. Sie hatte noch keine Worte, sah ihn aber beharrlich an. Er hatte ihren zarten Körper in die große Wolldecke gewickelt, saß am Tisch, trank ein Glas Wein. Das Ihre stand unberührt auf dem niedrigen Schemel von Mels Bett, in dem sie lag. Sprachlos! Allweil suchte sie seine Augen, trafen sich ihre Blicke. Er konnte nicht lange standhalten, blickte in das dunkle Fenster, in sein Spiegelbild. Er sah sich mit entschlossener Miene, fand sich älter als er war. Einen amüsierten Mund bemerkte er. Sie wird doch nicht hier übernachten wollen, befürchtete er. Auffordern zum Gehen konnte Mel sie im momentanen Zustand auch nicht. Auch ihm war kalt, hätte sich gerne niedergelegt, doch nicht zu ihr, denn womöglich hätte sie das falsch ausgelegt.

      Ich habe Mel noch nie ratlos erlebt. Die Gedanken glühten in seinem Gehirn, rasten durcheinander. Selbst mir fiel es schwer, ihnen zu folgen.

      Auf keinen Fall würde er sich mit ihr einlassen. Sexuell, dachte Mel. Es war ihm so unbehaglich, dass Übelkeit in ihm aufstieg und als er sich endlich erhob, um nach draußen an die Luft zu gehen, fragte die gemeine Anna ziemlich schroff: „Zu Essen gibt es bei dir wohl nichts, du Melchior?“

      Etwas zu tun, war erleichternd für Mel. Er schnitt von dem Brot, bereitete Spiegeleier in der Pfanne, bestreute den angemachten Käse mit Schnittlauch, viertelte Tomaten, deckte nebenbei den Tisch. Sie erhob sich vom Bett, entfaltete die Decke, dass er ihre Nacktheit wiederum zu sehen bekam, bevor sie sich erneut einwickelte, zu Tisch schritt, sich umständlich auf den Stuhl niederließ. Sie wartete gar nicht erst ab, bis Mel sich setzte. Leerte mit einem Zug das Glas Wein, rülpste, kicherte, drückte ein Brotstück erbarmungslos in den Eidotter, drehte, wendete es darin, steckte es im Ganzen in den Mund. Auch das hatte er nie an ihr gemocht. Mel aß um den Dotter herum. Erst das Eiweiß, zum Schluss dippte er das zarte Gelb mit kleinen Brotstücken auf. Die gemeine Anna stach mit einem Finger in den Käse, belutschte diesen, bevor sie mit quengelnder Stimme behauptete: „Du bist mit diesem Köter bekannt und lässt mich in der Angst. Fast wäre ich darauf hereingefallen. Du Angeber!“

      Diese Spitzfindigkeit nahm Mel zum Anlass, sie an ihren Aufbruch zu erinnern. Daraufhin bekam sie einen roten Kopf, kniff für einen Augenblick Mund und Augen zusammen, trank in aller Ruhe schweigend ein weiteres Glas Wein. Danach zog sie sich betont langsam an, trat ganz nahe an Mel heran, der aufgestanden war, um sie an die Türe zu geleiten, pickte ihn mit spitzem Finger in seine Brust, sah ihm gerade in die Augen und fauchte: „Du bist hässlich alt geworden, Mel!“

      Es