Hans Landthaler

Mel


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fragte sie ihn, ob er ein Sonntagshuhn wolle – ein besonders großes, eines nicht für jeden Tag, meinte sie – er antwortete darauf, dass er für sein Rezept nur ein Montagshuhn gebrauchen könne. Nach einer kleinen Denkpause, in ihrem runden Kopf, schmunzelte sie ihm ein: „Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen“ zu und er stürzte aus dem Laden, weil sein Lachen nicht mehr zu halten war, weil er gedacht, „wenn ich die auf den Arm nehmen könnte, dann könnte ich auch ein Auto tragen“. Sein Lachen amüsierte sie sehr, ihres ihn.

      Er hat sich zu viel Käse geschnitten, dafür zu wenig Brot, so nimmt er zu einem Würfel Käse jeweils nur ein Schnippchen Brot, was ihn stört, aber nicht animieren kann, aufzustehen, um mehr Brot zu holen. Noch immer hält er das Fensterbild im Blick, lässt sich tief aus seiner Kehle summen. Er hat herausgefunden, dass, wenn er mit offenem Munde brummt, er die Töne im Kehlkopf spürt, bei geschlossenem, direkt unter dem Brustbein und der Hals vibriert mehr, als wenn er die Töne direkt ins Freie entlässt.

      Der Rauchsäule am Fischerufer gilt nun sein Interesse. Er holt den Feldstecher aus der Tischschublade, beugt sich vor, öffnet das Fenster, besieht sich den Fischer und seine Frau. Den Sommer über lebt dieser Mann an wechselnden Stellen des gegenüber liegenden Ufers um zu fischen. Die Frau kommt nur sporadisch, um mit dem Mann zu essen oder ihn mit seiner Beute zu fotografieren. Hat der Fischer einen gewichtigen Fisch gefangen, so in der Größe seines Oberkörpers, dann ruft er per Handy seine Frau, die ihn sodann knipst. Kniend im Schilfdickicht, den empörten Fisch vor seine Brust haltend, verwegen drein blickend, wird der Mann dann abgelichtet. Öfter sind schwere Kämpfe mit dem Fisch zu bestehen, bis er endlich in Position ist. Anschließend wird er wieder in den See entlassen. Löst der Fischer den Haken aus dem beleidigten Fischmaul, achtet er darauf, dass nicht schon ein Hakenloch vorhanden ist, denn er hat den einen oder den anderen Karpfen schon bis zu vier Mal gefangen. Nur, wenn es ein neuer Biss ist, wird fotografiert.

      Die Frau hat grellrotes, gefärbtes Kringelhaar, das sie aufgesteckt trägt und an den Federschopf einer Mandarinenente erinnert. Er kann sie ohne Glas erkennen, eine winzige rote Flamme, die das Ufer entlang tanzt, und wegen dieser Frau zeigt er den Mann nicht bei der Polizei an, weil dieser verbotenerweise campiert, Feuer macht und fischt. Er betrachtet sie gerne mit dem Fernglas, wenn sie nackend vor dem Zelt sitzt und ihren Hund bürstet. Der Mann hat einen weißen Bullterrier mit einem braunen Flecken auf dem Rücken, so dass es aussieht als hätte er einen kleinen Sattel aufgeschnallt. Sie ist das Frauchen eines pechschwarzen Kampfhundmischlings. Die Frau trägt spitze Brüstchen, hat Kinderbeine und keine Pussyhaare. Sie erregt ihn beim Betrachten, doch um dabei zu onanieren, ist sie ihm zu sympathisch. Der Fischer wird etwas jünger sein als die an die vierzig geschätzte Frau. Er gestaltet sich ähnlich einem südamerikanischen Indio. Kahlköpfig, schlitzäugig, schlank, muskulös, zäh, kupferfarben, mit bedächtigen, doch flinken Bewegungen. Man kann ihn weder nackt, noch in dem militärischen Tarnanzug, den er meist trägt, im Ufergebüsch erkennen, nur der weiße Hund verrät ihn.

      Diese Fischers sind ohne Arbeit und sie essen keinen Fisch. Er brät sich Fleisch, legt Kartoffeln ins Feuer und Gemüse auf den Rost für sie. Sie sitzt in ihrem Stühlchen, ein Heft auf ihren Knien, schreibt darin herum, hält ab und an inne, um nachdenklich über den See zu blicken, direkt zu ihm, der sich daraufhin instinktiv vom Fenster duckt, obwohl sie ihn von drüben gar nicht erkennen kann. Er stellt sich gerne vor, dass sie Schriftstellerin ist, doch wahrscheinlich betreibt sie ein Tagebuch.

      Manchmal begebe ich mich mitten unter diese Menschen und nicht mal die Hunde können mich fühlen. Wie auch.

      Für Leute, die von Arbeitslosengeld und von Sozialhilfe leben, leben sie ganz gut. Sie fährt ein kleines Auto, er ein großes, seine Anglerausrüstung ist vom Feinsten, und sie trägt andauernd neues Schuhwerk mit hohen Absätzen, sogar an ihren roten Gummistiefelchen.

      Sie sprechen nicht viel miteinander und wenn, dann streiten sie über Geld oder die Hunde. Er sieht von Nahem lange nicht so indianisch aus und sie nicht so jugendlich, wie sie ihm durch sein Glas erscheinen. Er hat sich Rotwein nachgeschenkt und stellt sich vor, was drüben gesprochen wird. Tja. Nie beobachtet er lange, eine Minute, höchstens zwei Minuten. Wenn er sich dieses Duo betrachtet, denkt er nicht, dass er allein ist. Schon lange denkt er nicht mehr in dieser Art. Aber zuvor dachte er sofort an Einsamkeit, wenn er irgendetwas Zweisames sah. Zwei Menschen, zwei Tiere, zwei Bäume, die dicht beieinander standen, Paare, die Hand in Hand gingen und all so was. Heute denkt er sich nichts mehr dabei, er besieht es sich nur.

      Die ganze Zeit über bemerkte er nicht, dass Blut aus seiner Hand tropfte. Eine spitze Nussschale bohrte sich in seine Haut. Erst jetzt, als er das Glas zum Munde führt, sieht er die Tropfen und er denkt, das Blut habe eine schönere Farbe als der Wein. Er drückt ein Fetzchen der Papierserviette auf die Wunde. Diese Art von Wohlsein steigt in ihm auf, von der er sagt, es ist, als wäre Gehirn in Sahne eingelegt. Die Augen geschlossen, kaut er an dem Schluck Rotwein, Brombeere, Marzipan, versäumt darum die Rückkehr der Schwäne. Ein Schwanenpaar mit vier Jungen, die erst vor ein paar Tagen fliegen gelernt. Er beobachtet sie seit ihrer Kükenzeit, sitzt dabei auf dem Stoffklappstuhl im Schilf, auf dem Steg, den er sich aus Holzpaletten bis ans Wasser gebaut hat, obwohl Naturschutzgebiet. Bei sich ist er nicht so pingelig wie bei den Fischern. Die Schwäne haben sich inzwischen an ihn gewöhnt, die Jungen sind sogar so zutraulich geworden, dass sie zu seinen Füßen ruhen, während die Eltern sich im See treiben lassen. Es befällt ihn Schmunzelei, wenn er denkt, dass seine imaginäre Katze ihn auf Schritt und Tritt folgt und wie die Schwanenvögel wohl reagieren würden, wenn sie der Katze ansichtig würden.

      Er genießt das Vertrauen dieser Tiere, belohnt mit Rosinenstückchen vom Vortage, die er sich von der Bäuerin dafür geben lässt. Ein eigenartiges Bild, sitzt er mit den Schwänen am Ufer, in sich versunken, unförmig in dem langen Parka, den klobigen Gummistiefeln, ab und an sich eine Rosine in den Mund steckt, den Teig den Jungen zu bröckelt, den Eltern auch mal einen Brocken zukommen lässt. Einsam sieht er aus, rührend würde er selbst dazu sagen, wenn er sich so sehen könnte, denn Einsamkeit ist für ihn nicht mehr existent. Er hat sie sich abtrainiert, fühlt sich nur ganz selten allein, denkt nur manchmal an die Katze, fantasiert nur wenig, will nicht mehr unkontrolliert von seinem Gehirn beschäftigt werden. Beschäftigung bedeutet für ihn, nichts Ernsthaftes tun, nichts mit Hingabe, nichts mit Können. Nur etwas tun, um etwas zu tun, kommt für ihn nicht in Frage. Unsinnig, dann besser bewusst nichts tun. Nur die Luft aus- und einatmen, die Augen geschlossen oder geöffnet, innerlich eine Melodie im Magen kreisen lassen. Wenn er so in sich ruht, wirkt sein Körper weich, seine Gesichtszüge wie die eines alten Kindes. Ein kleines Lächeln, in sanft gewölbten Lippen, zärtliche Faltenfädchen um die Augen. Er denkt, dass es gut wäre, so zu sterben. Zack – Aus.

      Sein Oberkörper würde nach vorne fallen … in die Nussschalen. Also schiebt er die Holzschale an den Rand des Tisches, ebenso das Weinglas. So würde man ihn finden, mit friedlicher Miene und sie würden sagen: „Gut ist er gestorben und ein schöner Tod!“ Nur die gemeine Anna, denkt er, hätte bestimmt einen dummen Spruch parat. Die gemeinste Frau in seinem Leben, dennoch denkt er ihr, öfter am Tage.

      Wer aber sollte ihn finden? Er würde niemandem fehlen, ein ungeheurer Zufall, wenn gerade einer seiner seltenen Besuche erschien. Gut, dass er keine Katze hat, die würde elendlich verhungern oder würde sie ihn anfressen. Er lacht, während er sich ausmalt, wenn ihn die gemeine Anna auffände, empfangen von einer gigantischen, fetten Katze, die ihm die Beine abgefressen hat. Er vertreibt diese Gedanken, stellt sich stattdessen vor, wie es wäre, auf dem See zu sterben. Mitten auf dem See, in einem Boot bei Nacht – Vollmond könnte es sein. Er würde spüren, wie sein Herz langsamer und langsamer schlägt, liegend auf dem Rücken, in die Sternennacht blickend. Vielleicht brächte er es sogar noch fertig, eine Melodie in seinem Körper zu empfinden. Ob er sich ein Boot zulegen sollte? Aber es ist verboten auf dem See zu rudern. Aber nachts, nachts … Ach was, kein Boot, keine Katze, alles nur Ballast.

      Ich kann es nicht deuten, würde es aber gerne wissen, was es auf sich hat mit dem See, bei ihm. Natürlich weiß ich seine Gedanken, aber seine Gefühle nicht. Formt er seine Gefühle nicht in Worte, so sind sie mir verschlossen. Wenn er nicht mehr bewusst denkt, dann gelingt es mir, mich von ihm zu lösen, begebe mich hinaus in die Mitte des Sees und versuche zu begreifen, was er wohl fühlt. Es ist gut so, dass er mich nicht