Roman Ludwig Lukitsch

Tanz der Aranaea


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       Das Glück hieß Willi Oberleitner, ein Obergefreiter des deutschen Afrikacorps. Willi, dieser blonde deutsche Hüne mit seinen himmelblauen Augen und dem stechenden Blick, der keine Widerrede dulden ließ. Willi, war unsere Rettung.

       Nachdem wir die riesigen Dünenfelder vor Gialo glücklich umfuhren, lag der Ort Gialo vor uns. Etwa in einer Entfernung von fünf Kilometer. Die Kraftstofftanks unserer erbeuteten Fahrzeuge waren inzwischen so leer, wie das Magazin meiner Maschinenpistole. Wir näherten uns Gialo von Nordost auf einer ausgefahrene Piste, die laut unserem Kartenmaterial nach Umfahren des Ort Gialo weiter in südliche Richtung zum Brunnen Bir Butafall führte. Wir mussten nicht durch Gialo fahren, die Umgehungspiste machte dies möglich. Walt Baker erklärte, dass er sich hier sehr gut auskenne, denn Gialo war bis November des Jahres 1941 von englischen Truppen besetzt.

       Am südlichen Ortsrand von Gialo stieg eine kleinere Staubwolke auf. Ein Transportfahrzeug, wie Greg Harris uns sagte. Greg sah es mit seinem Fernglas. Das Fahrzeug hielt geradewegs auf uns zu. Bestimmt wollte seine Besatzung nach dem Brunnen von Bir Butafall, um ebenfalls Frischwasser zu laden.

       Dort gab es das einzige Wasser, dass sich auch über längere Zeit lagern ließ. Wir mussten auch nach diesem Ort aber zunächst sollte noch Kraftstoff besorgt werden. Wasser besaßen wir noch für einige Tage.

       Willi Oberleitner sprach mich an und bat die Angelegenheit für uns erledigen zu wollen. Tim Johnson, der Staff - Leader lehnte ab, nachdem ich ihm Willis Plan übersetzte.

       Nach einem großen Palaver, das ich eigentlich bisher bei Engländer noch nicht erlebte, stimmten sie dem Plan zu, wenn auch unwillig so denn doch notgedrungen.

       Wir schoben die beiden Fahrzeuge, die uns Dank deutscher Qualitätsarbeit sehr gute und wertvolle Dienste geleistet hatten, hinter einen Sandhügel, und warfen Tarnnetze über. Willi Oberleitner, unser Gefangener, marschierte los in Richtung Piste. Er stellte sich in die Mitte der Fahrbahn und stand ruhig und unerschütterlich, und wartete auf das Eintreffen des Fahrzeuges.

       Wir gaben ihm meine Maschinenpistole, mit leerem Magazin. Teuflische Kameraden hatte ich. Ihre Erfahrungen berechtigten sie zu dieser Vorgehensweise. Wir krochen auf den Sandhügel und meine Kameraden luden die Maschinenpistolen durch. Sie würden bei einem Scheitern oder einer Flucht Willis den ganzen Laden zusammen schießen, dessen war ich mir absolut sicher. Willi versuchte wild gestikulierend das italienische Fahrzeug zum Anhalten zu bringen. Der Fahrer machte jedoch keine Anstalten, zu bremsen. Willi nahm die Maschinenpistole von der Schulter und hielt sie vor das Fahrzeug. Der Fahrer legte eine Vollbremsung hin und sprang gemeinsam mit dem Beifahrer aus dem Fahrzeug. Es befanden sich sonst keine Soldaten in dem Fahrzeug. Wir hörten Willi in schlimmsten preußischen Kasernenhofton brüllen. Ich verstand die Wortfetzen, mit denen er die beiden Italiener im wahrsten Sinne zusammen schrie.

       Meine Desert-Group Kameraden, die kein Wort verstanden, wollten von mir wissen, was Willi da unten auf der Piste für einen Zauber veranstaltete. Ich erklärte ihnen, dass Willi die beiden Italiener aufforderte, ihm das Fahrzeug zu überlassen. Es sei konfisziert für seinen Vorgesetzten Major Waldhoff, Kommandant der 96 Infanterie Division.

       Ob es diese 96 Infanterie Division auch wirklich gab, wusste ich natürlich nicht. Die beiden Italiener bestimmt auch nicht, doch etwas an Willis Auftreten, schien den beiden suspekt. Sie machten keine Anstalten, das Fahrzeug einem abgerissenen Infanterie-Obergefreiten zu geben. Was sich dann aber abspielte, ging rasend schnell von statten. Der Fahrer des italienischen Fahrzeuges, griff an seinen Gürtel und zog die Pistole. Sein Beifahrer nahm den Karabiner in Anschlag. Bevor die Lage für Willi zu kritisch wurde, schlug er den beiden mit zwei kleinen Drehungen den kurzen Lauf seiner Maschinenpistole an die Halsschlagader. Sie sanken zusammen wie leere Sandsäcke und lagen bewusstlos im Staub der Piste. Willi winkte uns mit seiner MP zu, und forderte uns auf, unseren Sandhügel zu verlassen. Tim Johnson und auch die anderen, wirkten völlig überrascht. Sie hatten Willi Oberleitner diese Prachtstück aus Rommels Afrikacorps total unterschätzt.

       Tim versprach mir eine Sonderbehandlung für Willi, als englischer Kriegsgefangener, wenn wir erst einmal die Kufra-Oasen, und das Hauptquartier der Desert Group unbeschadet erreichen sollten. Weiß der Himmel, ob wir dies je schaffen, dachte ich.

       Die beiden Soldaten wurden in den Kübelwagen gelegt. Sie waren noch in tiefer Bewusstlosigkeit.

       Wir fuhren zu dem Brunnen von Bir Butafall, um die leeren Wasserbehälter zu füllen. Der Brunnen wurde von einer kleinen Gruppe italienischer Soldaten bewacht. Sie waren arglos als sie unser Fahrzeug mit den italienischen Kennzeichen sahen. Als wir allesamt aus dem Vehicle sprangen, war ihnen die Überraschung ins Gesicht geschrieben. So tief in ihrem Herrschaftsgebiet, und auch so weit von den Frontlinien entfernt, vermuteten sie keine englische Gruppe. Obwohl die englischen und auch die deutschen Kampfgruppen viele tausend Kilometer von ihren Stützpunkten aus operierten, waren sie völlig aus der Fassung. Es musste sich um eine am Krieg desinteressierte Gruppe handeln. Sie gingen sogar soweit, dass sie uns bei dem Füllen der Wasserbehälter behilflich waren. Als wir ihnen aber dann den Kraftstoff aus ihrem Fahrzeug pumpten, und zehn Flaschen Chianti-Wein konfiszierten, fingen sie doch an lauthals zu lamentieren.

       Die Läufe unserer Maschinenpistolen überzeugte sie.

       »Die Suppe brauchen wir selbst!« Willi sagte es sehr überzeugend. Sie wunderten sich über den deutschen Soldaten, der üblicherweise ihr Verbündeter sein sollte, und nun mit den Briten gemeinsame Sache machte.

       Abgerissen erscheinende Engländer, schmutzig, unrasiert, mit zerfledderten Hosen und Pullovern, dazu mit einem deutschen Gefangenen, der sich frei bewegen und sogar eine italienische Beretta mit gefülltem Magazin um die Schulter tragen durfte.

       Ich hatte auch wieder meine MP, und die Deserts gaben mir sogar eine Handvoll Patronen obwohl ich auf zehn Meter Entfernung nicht einmal ein Scheunentor getroffen hätte. Damals! Schon bei meiner Kurzausbildung bei der Desert Group brachte ich meinen Ausbilder in helle Verzweiflung. Das wussten auch die Jungs um Tim Johnson. Willi erhielt inzwischen ihr volles Vertrauen. Willi bat Tim nach Ankunft in den Kufra-Oasen die Uniform ausziehen zu dürfen und um freie Weiterreise nach Südafrika. Er sei ledig, meinte er, und ohne Angehörige, und wolle dort, vielleicht mit einem englischen Pass, ein neues Leben anfangen. Tim Johnson stimmte zu und versprach es Willi Oberleitner.

       Die Stimmung war sehr gut. Wir fuhren in Richtung Süden zu den Kufra-Oasen auf der berühmten "Balificata", eine von den Italienern mit Eisenstäbe und Vermessungspyramiden gekennzeichnete Piste.

       Von dem guten Chianti-Wein waren wir sturzbesoffen, einschließlich Greg Harris, unser Fahrer. Er kicherte pausenlos vor sich hin und lenkte das Fahrzeug im Slalom durch die langen Eisenstäbe. Manches Mal verließ er die Piste und drehte im Wüstensand einige riesige Kreise. Als Glücksfall erwies es sich, dass wir im Fahrzeug der Italiener einige Vorräte fanden. Salami, Dosenwurst, Weisbrot und Instant-Kaffe aus englischen Beständen, die irgendwann einmal erbeutet wurden. Nun war der Kaffee wieder in englischem Besitz. Nicht zu vergessen den Chianti, Grund unseres Rausches und der guten ausgelassenen Stimmung. Eine verrückte Welt ist das schon.

       Am Abend lenkte Greg Harris das Fahrzeug von der "Balificata", der italienischen Edel-Piste, und fuhr quer durch das Gelände. Nach etwa zehn Kilometer Fahrt standen wir auf der Höhe eines Djebel, einer kleineren Anhöhe.

       Hier bot sich ein weiter Blick auf die leblose Einöde der Wüste. Im Tal befand sich gleich einer Insel, eine halb verfallenen Lehmhütte mit einigen Palmen. Wie Greg Harris in seinem Zustand diesen Ort, den er scheinbar schon früher einmal besuchte, gefunden hatte, blieb mir ein Rätsel. Die verlassene Hütte wurde einst von der Karawanserei an einem Brunnen erbaut, der jedoch inzwischen versandet war. Wir richteten uns für die kommende Nacht ein. Auf eine Nacht, wie alle Nächte in der Wüste. Eisig kalt und von Sterne übersät, so scheinbar zum Greifen nah. Tim und ich hielten die erste Wache. Für zwei Stunden. Es hatte