Natascha Rubia

Der EIndringling


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Paaren vor unseren Augen verschwanden. Sie lachte laut und ich hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, dass sie über mich lachte.

      „Wissen Sie, ich wollte vor ein paar Jahren einen Einheimischen heiraten, in Indien. Dort erfährt man erst in der Nacht, wen man am nächsten Tag ehelicht. Arrangierte Ehe nennt man das.“

      „Na servus“

      „Er war klein und schmächtig, vom Land. Wir hatten nur eines gemeinsam: Wir verwechselten beide die vier und die sieben. So habe ich mich bei meinen Heiratsangaben verschätzt und war nicht nur vier Zentimeter größer, sondern auch drei Jahre älter als er. Nachdem er auf dem Eheformular dieselben Zahlen verschusterte, bemerkte keiner von uns den Fehler vor der ersten Begegnung.“

      „In Indien heiratet man zuerst auf dem Papier“, bemühte sich ihre Freundin zu erklären.

      „Beide Unterschiede waren für den Inder untragbar. So konditioniert war er“, lachte sie laut. Eine Anspielung auf meine Steifheit? Die Anekdote belustigte beide Freundinnen jedenfalls ungeheuer.

      Gerne wäre ich ein Teil der Lebensfreude der Beiden geworden. Doch der Ernst kehrte nach der Schilderung aus dem bunten Indien, welches an trockenen Daten und Fakten erstickte, zu mir zurück: Meine auf dem Papier existierende Noch-Frau schickte mich in der Sekunde per sms zu ihr in die Wohnung, um ihr beim Zusammenpacken zu helfen. Sie mußte am nächsten Tag auf eine Schulreise. Ihr Ruf war wie eine schwarze Wolke, die mich einholte, ohne bunten Regenschirm in dunkler Neumondnacht zu ihr zu fahren. Viel lieber wäre ich mit den beiden auf ein helles, freundliches Bier gegangen.

      „Kommen Sie noch mit auf einen Drink?“ fragte Saskia sichtlich angeregt und erheitert, indem sie meine Gedanken erriet.

      „Leider, ich muss nach Hause“, wand ich steif ein.

      Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben – doch nicht für lange. Schnell fand sie wieder mit einem witzigen Thema zu ihrem eigentümlichen Humor zurück und huschte mit ihrer Freundin lachend Richtung Naschmarkt. Während ich mein Rad aufsperrte und den Beiden nachsah, bereute ich schon meine Entscheidung. Wieder hatte ich den Spielverderber abgegeben. Dieses Verhaltensmuster sollte mich noch lange verfolgen.

      Am Donnerstag, dem 29. Feber nach der Schule lichtete sich die dichte Wolkenwand, die bereits wie üblich die ganze Woche über der Stadt hing. Das Licht strahlte frech vom Karlsplatz hinüber über den hellen, offenen Schwarzenbergbrunnen bis zu unserer Schule und brachte den Regen an allen Hausecken wie Diamanten zum Funkeln und unsere Fenster zum Glitzern – vor allem dort, wo sie wartete.

      Sie hatte den Tischtennisschläger noch in der Hand und damit offensichtlich vor dem Regenguss mit den Schülern gespielt.

      „Tischtennis?“ fragte ich.

      „Ja, leidenschaftlich.“

      „Da müssen wir uns eine Partie geben.“

      „Gerne.“

      Sie war ein Profi und die Schüler umringten uns bald, indem sie natürlich die Mutter anfeuerten, ihren Lehrer zu besiegen. Auch wir hatten mächtigen Spaß am Spiel, obwohl mir die vielen Zuseher ein wenig peinlich wurden. Bald hatte ich genug von dem Trubel.

      „Es reicht Ihnen?“ bemerkte sie meine Zweifel.

      „Ja danke, ein bisschen müde nach sechs Stunden Unterricht.“

      „Das merkt man.“

      Ich zog es vor, mein Rad zu schieben, anstatt sofort loszufahren. So gingen wir Richtung Karlsplatz in der regenfrischen Luft nebeneinander her. Die noch winterlich tiefe Nachmittagssonne jagte lange Lichtstrahlen zwischen die taufrischen Hausfronten. Direkt auf uns zu.

      „Sie haben einen Schal an.“

      „Den trage ich immer.“

      „Ihr Hals. Ihr Hals ist entzündet.“

      „Woher wissen Sie das? Ich verwende im Winter immer einen Schal.“

      „Am Zeigefinger. Der ist ganz heiss, und der Zeigefinger korreliert mit dem Hals. Deswegen zeigen wir so auf einen Anderen.“ Sie deutete mit dem Indexfinger auf mich.

      „Du“, sagen wir so, fügte sie lächelnd hinzu. Dieser Finger korrelliert mit der Kommunikation, dem Miteinander und der Freundschaft. Wenn man meditiert, kann man den subtilen Zustand an den verschiedenen Fingern erkennen. Jeder Finger steht für einen Nervenplexus an unserer Wirbelsäule. Kühl bedeutet frei von Belastung und Wärme will heissen, dass ein Misstand darauf wartet, entfernt zu werden. Das Chakra dreht sich dann nicht perfekt und wir sollten es von der Hitze befreien.

      Sie können das selbst verändern jetzt.“ Sie blieb abrupt stehen.

      „Massieren Sie den Scheitel, die Fontanelle, bis es oben kühl herauskommt, halten Sie die rechte Hand und Ihre Aufmerksamkeit zehn Zentimeter über dem Kopf und dann drehen sie diese im Uhrzeigersinn vor dem Hals. So!“

      Ich lehnte das Rad an meine Hüfte, tat, wie befohlen und hielt meine linke Hand dabei ausgestreckt mit der Handfläche nach oben.

      Es ströhmte zuerst heiss aus der Fontanelle und kühlte dann langsam ab, zurück blieb ein frischer Hauch. Dann drehte ich meine rechte Hand vor dem Hals, dort, wo sich eine Mulde bildet und ich eine Art Magnetismus wahrnahm. Das Chakra war heiss.

      „Spüren Sie etwas?“, fragte sie.

      „Ja, es wird wärmer“.

      „Dann müssen Sie die Hitze hinausziehen und wegschmeissen.“

      „Einfach so auf den Boden?“

      „Ja. Aber nicht mir auf die Füsse“, lachte sie.

      Mein Hals fühlte sich wirklich an, als würde er kochen.

      Das Entziehen der Blockade aber kühlte ihn merklich. Die Technik kam mir simpel vor.

      „Das müssten Sie jeden Tag machen, wenn Sie keine Halsentzündung wollen.“

      „Und das funktioniert? „

      „Sicher. Einfacher, als jede Medizin.“

      „Ich nehme immer Halstabletten mit in die Schule.“

      „Das brauchen Sie jetzt nicht mehr. Es kommt vom vielen Sprechen. Es ist aber auch immer ein Zeichen für eine gestörte Kommunikation.“

      Es war mir unheimlich, dass sie das alles wußte. Ich hielt ihre Aussage für eine Anspielung auf meine Tendenz zur passiven Aggression. Gleichzeitig machte sie mich auch neugierig. Frauen, die mir geistig etwas vorraus hatten, faszinierten mich.

      Das Licht bahnte sich einen letzten Weg zwischen den vom Regen getränkten Ulmen und wir schlenderten über den Karlsplatz in die angrenzende Margaretenstrasse.

      „Und Ihre Hände, sind die dann immer eiskalt?“, fragte ich neugierig.

      „Selbst ausprobieren!“, antwortete sie provokativ und lachte.

      „So oft es geht. Sollte ich in eine unangenehme Situation kommen, werden sie warm. Zum Beispiel bei einem Gespräch mit einem Menschen, der lügt.“

      „Und was tun sie dann, damit sie wieder kalt werden?“

      „Ich meditiere“

      „So mit Kerze und im Schneidersitz am Boden?“

      „Mit der Aufmerksamkeit auf dem Scheitel. Es ist ganz einfach. Schauen Sie: Drücken Sie wieder Ihre rechte flache Hand – mittig – auf die Fontanelle, auf den Scheitel, sehen Sie. Dann wird es ganz kühl. Und jetzt versuchen Sie, ihr Bewusstsein auf diesen Punkt über dem Kopf zu halten. Automatisch wird man dadurch gedankenfrei.“

      Ich tat, wie empfohlen, aber ehrlich gesagt spürte ich schon den ganzen Weg von der Schule bis hierher einen kühlen, angenehmen Windhauch über den Kopf. Es fühlte sich an, wie eine Antenne zu einer unerschöpflichen Energiequelle. Ich hätte Bäume ausreissen können in diesem Moment. Ob sie dasselbe empfand?

      „Eine Meditation kann ich