Natascha Rubia

Der EIndringling


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und brachte mir Leder, Holzarbeiten oder versuchte mich zu neuen Ideen für den Werkunterricht und damit zu mehr Leben zu motivieren. Wie jetzt unternahm sie drängend alles, um mich von meinen düsteren Gedanken abzulenken. Doch es vermochte mich kaum aufzuheitern. Meine Adern hingen über Kanülen an Infusionsbeuteln auf dem Ständer der städtischen Angestellten. Anstatt Blut floss bürokratisches Leichengift durch sie hindurch.

      Schon kam Pichler, der Musiklehrer hinzu.

      „Shankar-Mama“, sprach er die Mutter an, „kommen Sie auch zu den Wahlen?“

      „Ich heisse Saskia“, reichte sie Hansi die Hand. „Ich werde sehen.“

      „Das hoffe ich“, meinte Pichler.

      „Sie sind doch so g‘scheit, wieviel Sprachen sprechen Sie?“

      „Sieben“, entgegnete die Mutter.

      Mich ärgerte, wie Pichler das aus ihr herauswurmte. Mir war das bisher nicht gelungen. Wie immer fehlte mir das Interesse an der anderen Person. Oder traute ich mich nicht fragen? Im Moment erfüllte mich die Nähe von Pichler zur „Shankar-Mama“, wie er sie warm und liebevoll nannte, mit Neid.

      „Sehen Sie, so klug“, „nicht wahr Herr Mittelfeind, so g‘scheit ist sie“, nickte er mir aufmunternd zu, als hätte ich den Zug zu ihr schon längst verpasst. Als spräche er also für mich persönlich in der Vergangenheit. Ich stimmte genervt zu.

      „Da muß sie unbedingt zu den Wahlen kommen“.

      Saskia kam. Sie setzte sich in die letzte Reihe, zwei Reihen direkt hinter mich. Ich fühlte mich mild beobachtet. Nach dem Studieren der Lichtphotos und der Bilder, die sie mir mitgebracht hatte, entwickelte ich ein echtes Interesse. War das wirklich eine magnetische Kraft, die sie mir und den Kindern so beiläufig gezeigt hatte? Das Pneuma über den Handflächen eine Art Erleuchtung? Obwohl ich der Nähe von Menschen generell abgeneigt war, wünschte ich heute, weiter hinten direkt neben ihr zu sitzen. Ihr Blick war eine positive, aufmerksame und liebevolle Beobachtung. Ich verteilte die Zettel zur Wahl und reichte ihr einen. Es schmeichelte meiner Eitelkeit, dass sie mich dabei wichtig nahm.

      Meine Familie – privat fast mein einziger Umgang – folgte mir selten bis gar nicht zu meinem Arbeitsplatz und fast nie zu einem meiner Konzerte. Selten genug fühlte ich mich ernst genommen. Es tat mir gut, beachtet zu werden. Saskia war geladen von Energie. Sie hatte Feuer. Und sie war definitiv interessiert, das spürte ich in jeder meiner Poren. Sie setzte sich ganz aussen ans Ende der Bankreihe, die langen, dünnen Beine hoch übereinandergeschlagen. Die hohen Stiefel staken weit aus der Sitzreihe, als wollte sie damit betonen, eigentlich nicht dazuzugehören. Und das tat sie auch nicht. Alleine schon wegen ihres dunklen Teints, der selbst im tiefsten Winter den Süden in den Saal holte. Aber noch weniger wegen der würdevollen Haltung.

      Ihr Abstand zu den Geschehnissen besaß eine Geradlinigkeit, Unverrückbarkeit, als würde sie gleich einer Karyatide die Säulen des Tempels halten und ein Aufstehen von ihr das ganze obere Schulgebäude inklusive der Putten zum Wanken bringen. Wohl war ihre Aufmerksamkeit deswegen in höhere Sphären gerichtet, um den hübschen Kopf in der Waage zu halten. Trotz dieser steifen Anmut einer mythologischen Gestalt strahlte sie intensive Wärme, ja Mütterlichkeit aus.

      Im Wissen, ihr Interesse und ihre Beobachtung geweckt zu haben, tänzelte ich im hölzernen Barocksaal wie ein Geck in meinen roten Schuhen vor ihr her. Meine Eitelkeit war geweckt. In diesem Moment hätte ich es nicht nur mit einer Kanephore der griechischen Antike, sondern mit einem ganzen Harem davon aufgenommen, mein Haupt umschwirrend, das Dampfbad mir eingiessend, in dem sie mich mit Rosenwasser verwöhnen sollten, stolz & schwatzend. Im lauwarmem Thermenwasser über türkisen Kacheln aus 1001 Nacht würde ich mich gehen lassen, wie ein griechischer Gott unter Nymphen. Sie würde mich umhegen, pflegen und lieben und wenn sie alles gegeben hätte, dann würde ich zur nächsten eilen, um unersättlich nach mehr zu bitten. Genau in dem Moment, wo sie mir alles opfern sollte, in dem Augenblick, da sie ganz sie selbst war, gefangen in ihrer eigenen Großmut und Großzügigkeit, in der Sekunde, da sie ihren ganzen Liebbreiz vor mir entfaltete, würde ich sie fallen lassen, wie ein Senkbeil an einem Lot bis auf den Grund des Brunnens, der sie nährte. In diesem Augenblick würde ich ihr die Enttäuschung ansehen und damit endlich Klarheit über ihre Gefühle für mich gewinnen. Ich kannte mein Spiel und ich hoffte oder redete mir zumindest ein, sie wusste, dass ich es mit ihr spielen würde. Mein Sadismus heizte die Situation auf.

      Aus dem Hades des Schulstaubes auf die Bühne des großen, mittelalterlichen Versammlungssaales, den die aus den Dachträgerenden geschnitzte Engel seit Jahrhunderten stumm beobachteten, hatten sich unter dem riesigen hölzernen Kronleuter mit Kerzen-Imitaten, die sicher einmal echt waren, inzwischen drei potentielle Direktoren versammelt. Heraus stach wegen ihrer blonden, tourpierten Haare eine an eine Heurigen-Besitzerin erinnernde Mitfünfzigerin, die glaubte, mit ihren Zenzi-Allüren die Menge für sich einzubacken. Keiner konnte sich jedoch dafür erwärmen, von ihr wie ein Kindergartenkind behandelt zu werden. Daneben präsentierte sich eine strenge, teuer in dezente Designer-Tücher gekleidete Hochgewachsene der Oberschicht mit kurzen schwarzen Haaren, die in ihrer Aufmachung ebensogut als Bundespräsidentin kandidieren hätte können. Jedes Wort von ihr konnte ich mitgeschreiben und aufs Klo hängen. Man sah ihr die Nähe zur Kirche genauso an, wie ihre Parteitreue zu den Konservativen, deren Zugehörigkeit sie bei jedem zweiten Satz in moralischer Härte herausstrich. Dabei erntete die dürre Vollprofessionelle jedesmal einen schielenden Seitenblick der blondierten sozial-treuen Vollbusigen. Das hohe verbale Niveau der unterkühlten Schwarzen stammte aus der Vizeregentschaft am Gymnasium für Hochbegabte, die sie in ihrer heutigen Rolle aufs Spiel setzte. Fast verschwindend klein wirkte hinter den aufgeplusterten zwei Hühnern ein trotz Brille stark kurzsichtig wirkender Familienvater, der als dritter Kandidat nur die Ausbildung als Fußballschiedsrichter vorzuweisen hatte. Er versuchte angestrengt, seine mangelnde Qualifikation mit der Infragestellung des Status Quo und der Aussicht auf Befreiung der Lehrerschaft von allen Pflichten und Zwängen wettzumachen. Was ihm trotz seines fortgeschrittenen Alters und der trockenen, scheu vorgetragenen Agenda hinter seinem Grauschleier der Blindheit gegenüber dem Glanz dieser Welt vis à vis der ausgeschmückten Damen wie ein junger Freak aussehen liess. Das Fehlen jeglicher Berufstrophäen versuchte er mit seiner Erfahrung als Familienvater und hemdsärmeligem Pragmatismus wettzumachen. Sein Sportgeist aus einem Leibesübungs-Gymnasium in Ottakring, der verwahrlosten, aber kulturell aufstrebenden Arbeitervorstadt Wiens, verfehlte nicht den Applaus, zumal die Lehrer den geifernden Furien weniger trauten, als der sachlichen Ehrzeiglosigkeit eines amtsmüden Gleichgesinnten.

      Angestachelt von der Bühne der falschen Eitelkeiten befand ich mich zwei Reihen vor den Augen meiner Persephone selbst ihrer Gunst empfohlen und reichte ihr den Wahlzettel, als müßte sie den Liebeskelch trinken und damit mich nominieren.

      „Wen werden Sie wählen?“, fragte sie meine Wiener Maske interessiert. Ich tat dabei so, als würde ich sie mit jeder ihrer Antworten selbst schon erobert haben. Es gefiel mir, zu gefallen.

      „Den Herr´n natürlich.“

      Sie schaute mich verwundert an, entgeistert über mein Interesse, ahnte sie doch genau, dass es mir keinen Pfifferling bedeutete, wer das Haus in Zukunft zu regieren hätte. Undankbarer Job – in meinen Augen – hatte ich nicht meine Schlichen und Tricks, wie ich mich vor zuviel Arbeit drücken konnte, seit zwei Jahrzehnten in diesem Haus in allen Lagen geübt und brauchte demnach um meine pragmatisierte Stellung nicht zu fürchten.

      Sie öffnete ihre Handflächen und schaute sie andächtig an.

      „Sie müssen die Entscheidung vibratorisch fällen“,

      meinte die Spynx kyryptisch.

      „Nur die zweite Kanditatin aus der Begabtenschule ist kühl. Sie hat das Kaliber für den Job, trotz ihrer augenscheinlichen Härte, die doch nur vorgespielt ist.“

      Sie streckte den linken Zeigefinger hoch.

      „Sie fühlt sich unterlegen. Deshalb.“

      Die prompte Reaktion verblüffte und faszinierte mich gleichzeitig. Jedoch fiel es mir schwer, einen wohlwollenden Gedanken an das drahtige, hochambitionierte