Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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alle vor und richtet ihm Grüsse von Theophanos aus. Jetzt aber strahlt Menos und bestätigt:

      „Ja, ich bin Menos.“

      Ariston zeigt ihm jetzt das kleine Stück Papyrus, das wir von Andokides als Bestätigung erhalten haben, und sagt:

      „Wir sind deine neuen Passagiere auf dem Weg nach Syrakus.“

      Er mustert uns lange, dann sagt er:

      „Gut, ihr könnt mitkommen, aber wir legen sofort wieder ab, bald machen uns die Winterstürme zu schaffen, wir müssen uns beeilen. Holt eure Sachen, dann geht es los!“

      Endlich sicher : Auf See , 404 vor Christus ̶ Panos

      So schaukeln wir denn wenig später aus dem Hafen heraus, das Schiff ist uns immer noch nicht ganz geheuer, aber wir vertrauen auf die Meinung des Theophanos. Der Kapitän ist zwar etwas brummig und wortkarg, scheint aber ganz nett zu sein. Unsere Schlafplätze sind wie erwartet sehr eng, aber doch ganz gemütlich, so geniessen wir die ruhige Fahrt Richtung Westen. Das Boot schaukelt nur sanft, es ist richtig herrlich so über das Wasser zu segeln.

      Wir sind in einer breiten Wasserstrasse gesäumt von Hügeln. Hinter Patrai, so erklärt uns Menos, werden wir auf das offene Meer hinaus segeln, aber soweit sind wir noch nicht. Der Wind ist nur schwach, und als die Sonne die letzten Strahlen über das Wasser schickt und rote Hütchen auf die Wellen zaubert, laufen wir einen kleinen Hafen an. Wir verbringen unsere erste Nacht auf dem Schiff, alle schlafen tief und fest, einmal keine Angst haben, kein Horchen auf ungewöhnliche Geräusche, wir fühlen uns seit langem das erste Mal richtig sicher.

      Am Morgen erwachen wir bei herrlichem Sonnenschein, und weiter segeln wir Richtung Patrai. Diese Art zu reisen gefällt uns allen, sanft schaukeln wir an Hügeln und kleinen Dörfern vorbei, die Sonne strahlt vom Himmel, der Wind ist schwach, was die Matrosen allerdings erbost, denn so kommen wir nur langsam vorwärts. Nur Ariston und ich reisten schon einmal auf einem Schiff, für alle anderen ist es eine neue Erfahrung, die sie mit absoluter Begeisterung erfüllt.

      „Das ist so wunderbar,“ findet Niko „ich könnte bis an das Ende der Welt segeln.“

      „Wart mal ab, bis wir richtig in Fahrt kommen!“ meint ein Seemann. Niko aber strahlt:

      „Ich freue mich darauf!“

      Durch die Enge bei Patrai erreichen wir das offene Meer. Die grosse Wasserfläche im glitzernden Sonnenschein begeistert uns alle, bald aber kommt Wind auf, der immer stärker wird. Das Lächeln auf dem Gesicht von Menos wird breiter, alle seine Seeleute strahlen: So ist es gut, so kommen wir vorwärts. Uns allerdings vergeht das Lachen. Das Schiff scheint wie ein wildes Pferd zu bocken, unsere Mägen bocken mit und bald hängen wir alle an der Reling und übergeben uns. Das Hochgefühl, das uns noch vor kurzem erfasst hat, ist weg, wir fühlen uns miserabel und können uns kaum auf den Beinen halten. Am Schlimmsten hat es Niko erwischt, aber auch die Frauen sind schrecklich seekrank. Ein Matrose hilft mir, die grüngesichtigen Gestalten zu ihren Schlafplätzen zu bringen und eilt dann zurück auf Deck. Dicke Wolken ziehen nun am Himmel auf, der Wind hat noch weiter aufgefrischt, das Schiff pflügt aber tapfer durch die Wellen.

      „Wir fahren hinüber zur Insel Kephallonia und laufen einen kleinen geschützten Hafen an, das dauert noch eine Weile, aber wir sollten den Hafen erreichen, bevor der Sturm richtig losbricht,“ brummt Menos.

      „Das ist doch schon ein Sturm,“ seufzt Ariston, „was kommt denn da noch auf uns zu?“

      Aber wie auch immer, wir sind unterwegs, wir haben den gefährlichsten Teil unserer Flucht gut überstanden, wir werden auch die Seereise noch überstehen.

      Wir werden hin und her geschüttelt, das Schiff taucht in tiefe Wellentäler ein und steigt dann wieder auf einen Berg von einer Welle auf, mir scheint es, kleine Häuser aus Wasser rollen auf uns zu, der Wind heult, die Wellen tosen, aber die Seeleute sind guten Mutes und ich denke: so schlimm kann es da doch wohl nicht sein. Ariston ist verschwunden, er hat sich wohl zu den anderen zurückgezogen. Ich bleibe auf Deck, klammere mich an die Reling und versuche, in der Ferne die Küste der Insel zu entdecken. Da schubst mich ein Matrose und brüllt dann in mein Ohr:

      “Schau, dort ist die Insel, wir haben es bald geschafft!“

      Und wirklich, immer wieder taucht Land aus den Wellen auf, ein Hügel scheint näher und näher zu kommen. Der Wind lässt etwas nach, auf der anderen Seite taucht jetzt noch eine kleine Insel auf, Menos steuert sein Boot geschickt zwischen den beiden hindurch in einen kleinen Hafen. Auch hier bläst der Wind, aber seine ganze Stärke kann er nicht austoben, das Boot schaukelt nur noch sanft. Aus dem Schiffsbauch taucht das grüne Gesicht von Niko auf. Menos lacht, klopft ihm auf den Rücken und fragt:

      “Na, hast du es überlebt? Da muss jeder durch, glaub mir, in ein paar Tagen machen dir die Wellen nichts mehr aus!“

      Auch der Rest der Familie stolpert an Deck und wird von Menos gleich an Land in das kleine Dorf auf den Markt geschickt.

      „Ich kann nichts essen und auch nichts Essbares ansehen!“ stöhnt Ismene.

      Aber wir alle spazieren zum Markt und kaum sind wir dort angelangt, geht es allen besser und alle haben Hunger. Der feste Boden unter unseren Füssen bringt die gesunkenen Lebensgeister wieder zurück, wir versorgen uns mit Esswaren für die nächsten Tage und verbringen dann die Nacht in dem kleinen geschützten Hafen.

      Früh morgens sticht Menos wieder in See. Hafen um Hafen laufen wir an, überall warten Händler auf die Dinge, die Menos liefert, da und dort werden neue Waren im Schiff verstaut und dann bald wieder an einen Händler ausgeliefert. Die Tage sind lang, und da bitten wir Ariston, uns doch einmal von seiner Zeit in Syrakus zu erzählen.

      „Warum bist du so sicher, dass wir in Syrakus ein gutes neues Leben anfangen können?“ fragt Ismene.

      Ariston setzt sich also zu uns und erzählt:

      Gefangenschaft und Rettung : Syrakus, 413 - 410 vor Christus ̶ Ariston

      Nach der katastrophalen Niederlage des athenischen Heeres vor Syrakus waren wir, die restlichen paar Tausend überlebender, von Gylippos und seinen Truppen gefangen genommen und nach Syrakus gebracht worden. Wie Vieh wurden wir durch die Strassen getrieben, wo uns die Leute mit Dreck, Abfällen, Steinen, Topf- und Ziegelscherben bewarfen und uns mit Hohn und Spott überschütteten.

      Wir wurden in die Steinbrüche der Stadt gebracht, ein Ort, der sehr leicht zu bewachen war und uns keinerlei Fluchtmöglichkeiten bot. Es wurde uns bedeutet, dass anderntags die Volksversammlung über unser Schicksal und das unserer Anführer entscheiden werde. Nach der Verteilung von etwas Brot und Wasser wurden wir allein gelassen. Nur am Eingang standen ein paar schwer bewaffnete Wächter.

      Hinter uns stiegen die Felsen senkrecht in die Höhe, ein wolkenloser Himmel wölbte sich über uns, Schatten gab es keinen, und am Nachmittag wurde es unerträglich heiss. Das wenige Wasser hatte kaum ausgereicht, unseren ersten Durst zu stillen, und bald klebte einem jeden die ausgetrocknete Zunge am Gaumen. Dazu kam das Stöhnen der Verletzten, deren Wunden keine Versorgung erhalten hatten, denn Verbandmaterial oder irgendeine Art Pflege gab es nicht. Umso mehr litten sie unter der Hitze und der brennenden Sonne. Es wurde Abend und wir hofften auf die Kühle der einbrechenden Nacht. Aber die Felswände strahlten noch lange in die Nacht hinein ihre Wärme ab, und kein Lüftchen konnte sich in dieses Verliess hinein verirren.

      Gegen Mitternacht wurde es dann doch kühler, aber was zuerst als wohltuend empfunden worden war, geriet zur nächsten Tortur: Es wurde kalt, bitter kalt, und gegen Morgen zitterten und schlotterten alle. Jeder versuchte, sich mit irgendeinem Fetzen Tuch zu decken, man legte sich eng aneinander, um wenigstens noch etwas von dem bisschen Körperwärme zusammenhalten zu können. In dieser ersten Nacht starben einige Dutzend der Verwundeten.

      Am nächsten Morgen liess sich zuerst einmal kein Syrakusaner, weder Freier noch Sklave, blicken, und so konnten wir über unser Schicksal nur Mutmassungen anstellen. Sollten