Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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schlendern ganz gemütlich zur Stadt, so als ob wir alle Zeit der Welt hätten. Wir spazieren beim nördlichen Tor in die Stadt hinein, beim westlichen in Richtung Hafen wieder hinaus, und wenden uns dann dem Markt vor dem Fischerhafen zu.

      Wir alle haben die Marktstände gesehen. Dort können wir ohne aufzufallen stehen bleiben und aufeinander warten.“

      Der Plan scheint allen gut, wir treten nicht als grosse Gruppe auf und werden so hoffentlich weniger beachtet.

      Phoebe und Ariston ziehen als erste los. Beim Stadttor stehen zwei Wächter, die sie aufhalten.

      „Was wollt ihr in der Stadt? Woher kommt ihr?“

      „Wir wohnen dort oben in den Hügeln und wollen zum Markt. Heute ist doch Markttag, oder?“

      „Sicher, sicher, geht nur, ach, ich möchte mir auch lieber dort die Waren ansehen, als hier die Beine in den Bauch zu stehen, aber so ist das Leben! Geh nur, Bruder, und kauf deinem Sohn was Schönes!“

      „Das werde ich tun!“ versichert Ariston, und sie ziehen weiter.

      Bei der nächsten Biegung bleiben sie stehen und wagen einen Blick zurück. Ismene und Anisa sind offenbar nicht aufgehalten worden, sie sind schon hinter ihnen. Niko und ich sind etwas unsicher. Als junge Männer werden wir wohl mit Argwohn betrachtet. Glücklicherweise taucht da aber eine Gruppe von Männern auf, denen wir uns still und leise anschliessen. Sie sind so in ihre Gespräche vertieft, dass sie uns gar nicht bemerken. Die Wachen hingegen kennen die Leute offenbar und winken die ganze Gruppe und damit auch uns ehrerbietig durch.

      Nach dem Tor biegen wir sofort ab und warten bei einem Hauseingang, bis die Gruppe weiter gezogen ist. Enge, verwinkelte Gässchen nehmen uns nun auf, winden sich hügelaufwärts und abwärts, um alle Ecken herum. Bei jeder Kreuzung halten wir Ausschau nach Ariston oder Ismene, das Gewimmel von Menschen wird aber immer dichter. Wir vertrauen einfach darauf, dass alle den Weg zum westlichen Tor finden. Bald haben wir aber das Gefühl, dass wir uns hoffnungslos verlaufen haben, wir sind mitten in einem Menschengewühl, das sich durch die Gassen schiebt nach links, nach rechts, um eine Ecke und wieder um eine Ecke. Vom Rest der Familie ist weit und breit nichts zu erkennen. Wir beeilen uns, wir müssten sie doch längst eingeholt haben.

      Und da endlich sehen wir vor uns Ariston und Phoebe in die nächste Gasse einbiegen. Wir folgen ihnen, schauen vorsichtig nach links und rechts, denn irgendwo müssten ja auch Anisa und Ismene sein. Haben wir die verloren? Und wo nur ist das westliche Tor? Wir schlendern langsamer und langsamer, aber auch mein nächster vorsichtiger Blick in die Runde ist ohne Erfolg. Sollen wir Ismene und Anisa suchen? Da bleibt Ariston stehen, Phoebe bückt sich und rückt ihre Sandalen zurecht, schaut zurück und winkt mit dem Zeigfinger. Gut, sie hat uns gesehen, bleiben noch Ismene und Anisa. Wir bleiben stehen und betrachten ein grosses Tor, das gibt uns etwas Zeit und siehe da, Ismene und Anisa biegen hinter uns um die Ecke, Ismene nickt und mir fällt ein Stein vom Herzen, die Familie ist wieder beieinander.

      Glücklicherweise strahlt die Sonne unverdrossen vom Himmel, und mit ihrer Hilfe finden wir den Weg nach Westen. Nach der nächsten Biegung stehen wir vor dem Tor.

      Auch da stehen Wächter, diese aber kontrollieren nur die Leute, die in die Stadt hinein kommen und beachten uns kaum. Etwas weiter unten beginnt nun der Markt, Gerüche aller Art schweben uns entgegen und bald begrüssen uns die bunten Farben der ersten Stände. Händler preisen uns sofort ihre Waren an, es gibt offenbar fast gar nichts, das wir ihrer Meinung nach nicht dringend brauchen. Immer wieder müssen wir einen gar hartnäckigen Kerl abschütteln, damit wir weiter Richtung Fischerhafen ziehen können. Zwischen den Ständen hindurch können wir bereits einen Blick auf Fischerboote erhaschen.

      Wieder bleibt Phoebe stehen und zieht ihre Sandalen fest. Wir andern schliessen auf, ohne einander zu beachten. Wir wandern in die gleiche Richtung, benehmen uns aber, als würden wir uns gar nicht kennen. Wie alle andern Marktbesucher wandern wir von Stand zu Stand, betrachten die Waren, wimmeln hartnäckige Händler ab, bis wir am Rand des Marktes angekommen sind.

      Der Geruch von Fisch weist uns den Weg, der Fischerhafen liegt vor uns. Ismene und Anisa bleiben bei den letzten Ständen stehen, wir wenden uns den Schiffen zu. Ariston und Phoebe kennen ihre Rollen. Er schärft Phoebe nochmals ein: „Du bist mein Sohn und ich will dir den Fischerhafen zeigen. Du musst die Schiffe ganz interessiert ansehen und falls ein Fischer fragt, was wir tun, interessierst du dich brennend für Fische und Fischernetze und was weiss ich noch, es wird dir schon was einfallen!“

      „Keine Sorge“ versichert sie, „du wirst staunen, wie sehr sich dein Sohn für die elenden Fische interessiert! Wart es nur ab!“

      Sofort nähern sie sich dem ersten Boot und betrachten es aufmerksam. Ich wage einen Blick zurück. Ismene und Anisa betrachten bei einem Marktstand Stoffe, das ist gut. Wir halten uns hinter Ariston, denn jetzt müssen wir uns auf die Suche nach Theophanos machen.

      Wir bleiben beim ersten Boot stehen, Ariston und Phoebe schlendern nun zum zweiten und dann zum dritten Boot. Dort flickt ein Fischer seine Netze.

      „Warum hat dein Netz Löcher?“ fragt jetzt Phoebe. Der Fischer schaut auf und lacht. „Das passiert halt einfach immer wieder, wenn wir einen grossen Fang haben.“

      „Verzeih!“ schaltet sich Ariston nun ein, „mein Sohn interessiert sich sehr für Boote und Fischer. Wir wohnen oben in den Hügeln, da sieht er das Meer eben nur von Ferne!“

      Dem Fischer scheint das zu gefallen, er zeigt Phoebe mit Begeisterung sein Boot. Phoebe spielt mit und lässt sich alles erklären.

      „Hast du denn noch nie ein Fischerboot gesehen?“ fragt der Fischer.

      „Nein,“ meint Phoebe, „du weisst ja wir kommen aus den Hügeln, dort hat es nur Schafe!“

      Der Fischer lacht. Ganz beiläufig erzählt Ariston nun dem Fischer:

      „Unser Nachbar, der hat einen Verwandten, der hier Fischer ist. Wir sollen ihm Grüsse bringen. Kennst du ihn?“

      „Da müsste ich schon wissen, wie er heisst!“

      „Ach so, natürlich, er heisst Theophanos, kennst du einen Theophanos?“

      Niko und ich horchen nun gespannt.

      „Nicht hinüberschauen!“ schärfe ich Niko ein!

      Wieder lacht der Fischer:

      „Einen? Ich kenne sogar zwei, seht ihr dort drüben das Boot mit dem blauen Mast? Das gehört dem Theophanos, dem Vater und der junge Mann, der dort gerade die Netze aufrollt, das ist auch Theophanos, aber der Sohn!“

      „Das freut mich, wir müssen die beiden begrüssen!“

      Ariston bedankt sich bei dem freundlichen Fischer und spaziert langsam weiter bis zum Boot der beiden Theophanoi. Der Vater klettert gerade vom Boot, als sie dort ankommen. Wir rücken auch etwas näher, wir möchten die Unterhaltung mit Theophanos mitbekommen. Ariston begrüsst ihn und erzählt ihm, dass er Grüsse von Georgios bringe. Daraufhin verdüstert sich das Gesicht des Fischers, er mustert Ariston und Phoebe schweigend, und wir alle befürchten schon, einen falschen Theophanos erwischt zu haben. Dann aber schaut er in die Runde und nach einer Weile fragt er: „Bringt ihr Grüsse oder noch etwas anderes?“

      Nun drückt Ariston ihm schnell die Hölzchen, die Georgios uns mitgegeben hat in die Hand. Theophanos steckt die Hölzchen in seinen Gürtel, erkundigt sich nach der Familie des Georgios, nach dem Wetter in den Hügeln, dem Honig , den Schafen, und wir wissen nicht recht, was wir davon halten sollen. Weiss er gar nicht, was die Hölzchen bedeuten? Ist er doch der falsche Theophanos? Dann aber sagt er laut:

      „Schaut mal, was wir heute gefangen haben,“ zeigt auf grosse Körbe hinter dem Boot. Wir folgen ihm dort hin. Erst jetzt sagt er leise:

      „Ich sehe, dass ihr Hilfe braucht. Wir sind ja weit von Athen entfernt, aber vorgestern sind sonderbare Kerle in der Stadt aufgetaucht, sie suchen nach Verbrechern, aber wir alle vermuten, die Verbrecher sind eher sie selbst. Sie suchen sogar eine ganze Familie, auf die haben sie es ganz besonders abgesehen. Ihr seid ja nur zwei,“