Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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was sie bedeuten. Da es nur kleine Holzstücke sind, die man leicht verbrennen oder auch nur ins Unterholz fallen lassen kann, bemerkt gar niemand, dass hier Nachrichten hin und her gehen. Bewahrt die Stücke aber gut auf, für Philippos sind sie wichtig!“

      Ariston steckt die Hölzchen in seinen Beutel, dann nehmen wir Abschied von den guten Schäfersleuten und machen uns wieder auf den Weg.

      Zuerst müssen wir zurück zum Pfad, auf dem wir am Tage zuvor gewandert sind. Dieser führt nun immer wieder durch kleine Eichenwäldchen, aber auch über karge mit Steinen durchsetzte Wiesen, Flecken von gelblichem Gras und verdorrte Blumen wechseln ab mit dornigem Gestrüpp. Auf und ab geht es, aber der Weg ist bald recht breit und wir kommen gut voran. Dann aber fängt er an, sich talwärts zu neigen, und nach der nächsten Biegung liegt tief unten vor uns die Ebene von Megara.

      „Wie schnell würden wir dort unten vorwärts kommen,“ seufzt Ismene, aber alle wissen, wie gefährlich dies wäre. Wie Georgios uns geraten hat, folgen wir aber dem Pfad, der wieder etwas aufwärts und in felsiges Gebiet führt. Wir kommen nur mehr mühsam voran, der Weg ist manchmal nur ein Geröllfeld und kaum zu erkennen. Da taucht vor uns die Felswand auf, die Georgios beschrieben hat. Und wirklich, der Weg führt genau darauf zu, direkt vor einen riesigen Steinbrocken.

      „Ist das das Ende des Weges?“ erkundigt sich Phoebe, „müssen wir umkehren?“

      Neugierig nähern wir uns der Felswand, der Weg führt bis zu einem mächtigen Steinbrocken und endet in einem Gestrüpp davor. Alle bleiben stehen. Wo soll jetzt ein Pfad durch die Felsen führen? Da ist weit und breit nichts zu sehen. Schliesslich ziehe ich das Gebüsch vor dem Felsen auseinander und siehe da, so etwas wie ein Pfad windet sich dem Felsen entlang und verschwindet im nächsten Gebüsch. Alle folgen mir nun auf dem kaum erkennbaren Pfad, der sich durch Gestrüpp und Felsen schlängelt und dann vor einer Ansammlung von kleinen und grossen Felsbrocken zu enden scheint. Ich klettere von Fels zu Fels, ziehe mich hoch über den letzten grossen Brocken und siehe da, oben liegt ein kleines Tal, durch das sich ein schmaler Weg zieht.

      Bald sind alle über die Felsen geklettert, die Wanderung kann weiter gehen. In der Ferne ist ein Hausdach zu erkennen, dann noch ein paar mehr, eingebettet in eine karge Wiese liegt der kleine Weiler, vor dem Georgios uns gewarnt hat. Wir verlassen den Weg und umgehen die Häuser in grossem Bogen durch Wiesen und Gebüsch. Der Weiler liegt bald hinter uns. Nun sollten wir uns doch langsam dem Haus des Philippos nähern. Alle halten Ausschau und tatsächlich, weit vorne scheinen ein paar Häuser zu liegen.

      Das Haus etwas ausserhalb ist umgeben von Olivenbäumen. Vor dem Haus lädt ein Mann Körbe und Krüge auf einen Wagen. Wir bleiben unter einem schattigen Olivenbaum stehen, und Ariston tritt zu dem Mann.

      „Philippos?“ fragt Ariston.

      Der Mann stellt den Korb ab und fragt ziemlich barsch: „Ja, und wer will das wissen?“

      „Ich heisse Ariston, und das ist meine Familie!“ Er zeigt auf unsere kleine Gruppe Wanderer.

      Philippos lässt seine Augen über uns schweifen.

      Nun holt Ariston die Holzstücke aus seinem Beutel und übergibt sie dem Mann. Gespannt warten wir; was wird er nun tun?

      Philippos schaut sich um, sagt dann: „Kommt mit!“ und führt uns in sein Haus. „Setzt euch,“ er zeigt auf eine Holzbank und dann bittet er seine Frau, uns Wasser zu bringen.

      Wieder schaut er die Holzstücke an: „Ihr seid in Gefahr? Kritias?“

      Wir nicken alle. Dann betrachtet er zuerst uns alle, dann das zweite Holzstück:

      „Georgios bittet mich, ich soll euch helfen. Das werde ich tun, auch ich habe von euch gehört, zwei Männer, zwei Frauen, ein Sklave und eine Sklavin. Die üblen Kerle von Kritias suchen nach euch, ihr seid wirklich in Gefahr.“

      Da schaltet sich Ariston ein:

      „Das ist falsch, drei Männer, zwei Frauen und eine Sklavin.“

      „Gut,“ findet Philippos, „trotzdem seid ihr nur zu gut zu erkennen.“

      Eine Weile studiert er Phoebe.

      „Hört zu, das Mädchen da, das könnte man doch in einen Jungen verwandeln. Haare abschneiden, Jungenkleider und schon sieht eure Gruppe ganz anders aus.“

      Phoebe ist entsetzt: „Haare abschneiden?“

      „Die wachsen wieder, nur ein Stück davon und schon bist du ein ganz passabler Junge.“

      Alle betrachten nun Phoebe. Warum eigentlich nicht? Ein Mann mit zwei Söhnen ist nun mal etwas anderes als ein Mann mit Sohn und Tochter.

      Erschreckt sieht Phoebe sich um:

      „Ich sehe schon, ihr wollt alle, dass ich die Haare abschneide.“

      Dann aber fügt sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu:

      „Ich wollte schon immer mal ein Junge sein, also los, aber ich will dann auch als Junge behandelt werden und einen Dolch brauche ich auch!“

      „Das ist die richtige Einstellung!“ findet Ariston.

      Ismene und die Frau des Georgios verschwinden nun mit Phoebe im Haus, und wir Männer setzten uns vor dem Haus auf eine kleine Bank in den Schatten.

      „Ihr werdet sie kaum wieder erkennen, meine Frau steckt die Kleine sicher in Kleider unseres Sohnes, er ist schon etwas grösser, aber so wie ich meine Frau kenne, hat sie den zu kleinen Chiton gut aufbewahrt.“

      Wir sind alle gespannt und springen auf, als die Frauen aus dem Haus kommen. Phoebe hat sich in einen netten Jungen verwandelt, der etwas zart wirkt, aber umso grimmiger einen Dolch in der Faust hält. Wir alle lachen:

      „Den kannst du vorläufig wegstecken, aber wir sind beeindruckt, du siehst wirklich echt aus.“

      Ganz zufrieden sind die Frauen aber nicht. Sie betrachten Phoebe von allen Seiten und entscheiden dann:

      „Da müssen wir noch etwas mit Nadel und Faden nachhelfen. Wenn sie sich bewegt, sieht man nur allzu gut unter den Chiton, das geht gar nicht.“

      Also wird die offene Seite noch soweit zugenäht, dass kein Durchblick möglich ist, auch wenn Phoebe rennt oder ein Windstoss den Chiton erfasst.

      Georgios erklärt nun:

      „Ich fahre mit meinen Maultieren bis Aridas, dort bringe ich meine Waren hin. Ihr setzt euch nun auf den Wagen, aber so, dass man von aussen nur die Körbe und Krüge sieht. Vermutlich werden wir auf dem Weg, den ich immer nehme, keiner Menschenseele begegnen, aber das Gelände ist zeitweise sehr offen, und wir können von weitem bemerkt werden. Da ist es doch besser, dass alles so aussieht, wie immer!“

      Wir alle krabbeln nun auf den Wagen, ziehen die Körbe so an den Rand, dass wir nicht leicht entdeckt werden können, und die Maultiere trotten los. Wie wunderbar ist es, auf einem Wagen zu sitzen, statt zu Fuss über den staubigen und heissen Weg zu marschieren. Es ist eine richtige Wohltat, die alle ganz offensichtlich geniessen. Dann aber steigt der Weg an, zuerst nur leicht, dann immer mehr und bald stehen wir vor einem steilen Aufstieg. Die Maultiere werden langsamer, es ist Zeit, dass wir ihnen helfen. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, so steigen wir Männer ab und schieben den Wagen. Auch Phoebe hüpft herunter.

      „Du doch nicht!“ rufe ich ihr zu!

      „Doch,“ meint sie, „ich bin ein Junge, hast du das schon vergessen?“ und eifrig hilft sie, den Wagen zu schieben.

      Die Maultiere merken, dass die Last leichter geworden ist und schreiten wieder munterer voran. Oben auf dem kleinen Hügel klettern wir wieder auf den Wagen und weiter geht es. Plötzlich hält Georgios die Hand über seine Augen und späht angestrengt nach Westen.

      „Was ist dort?“ fragt Ariston.

      „Ich bin nicht sicher, ich dachte, ich hätte etwas in der Ferne glänzen sehen. Jetzt ist das aber weg, das war wohl nichts!“

      Weiter trotten die Maultiere, dann aber