Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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      Der Pfad schlängelt sich den Hügel hinauf, noch ist kein Hufgeklapper hinter uns zu hören.

      Bald aber wollen Phoebe und auch Niko eine Rast einlegen.

      „Ich bin müde,“ klagt Phoebe „und ihr habt versprochen, dass wir uns ausruhen können, wenn wir abgebogen sind!“

      „Natürlich, bald,“ tröstet Ismene, „aber erst müssen wir einen Platz erreichen, wo wir ungesehen rasten können. Hier aber sieht man uns von der Strasse aus, die Reiter könnten uns folgen.“

      Also steigen wir steil hinauf zuerst über karge Wiesen und durch Gestrüpp, dann windet sich der Pfad durch ein kleines Wäldchen, aber schon sind wir wieder auf offenem, weithin überschaubarem Gelände. Ab und zu versperrt ein grosser Felsbrocken den Weg. Wir umgehen einen besonders mächtigen Felsen und stehen plötzlich vor einem Händler mit zwei Eseln. Erschrocken bleiben wir stehen. Er mustert uns neugierig und fragt:

      „Was macht ihr denn da oben in den Hügeln? Habt ihr euch verirrt?“

      „Das könnten wir dich ja auch fragen,“ finde ich.

      Der Händler lacht.

      „Ich will zum Markt nach Athen, ich bringe Waren aus dem kleinen Dorf da oben,“ und er zeigt über seinen Rücken zurück. Er wendet sich an Ariston: „Aber wo wollt ihr denn hin?“

      Ariston sucht offensichtlich verzweifelt nach einer Ausrede, findet aber keine Erklärung. Also springe ich ein und wende mich an den Händler:

      „Das ist ganz einfach. Die verstorbenen Eltern meines Herrn stammen aus einem kleinen Dorf hier oben, der Herr hat ein Gelübde getan, dass er zu dem Dorf pilgern und dort ein Opfer darbringen will. Das hat sein Vater so bestimmt.“

      Der Händler nickt: „Ihr seid gute Leute, es ist wichtig, dass man den Wünschen seines Vater nachkommt. Aber wie heisst denn das Dorf? Ich kenne es sicher!“

      „Cholarges, kennst du es?“

      „Cholarges! Aber sicher kenne ich es, nur seid ihr da auf dem falschen Weg, ihr müsst da oben, wo der Weg sich gabelt, nach rechts gehen und wieder etwas zurück! Kennt ihr denn den Weg nicht? Es ist doch euer Dorf!“

      Seine Augen wandern nun neugierig über unsere kleine Familie und scheinen alles aufzusaugen. Dieser Mann, da bin ich sicher, könnte uns genau beschreiben, wenn die Häscher des Kritias ihn ausfragen würden.

      Wir dürfen uns nicht aus der Ruhe bringen lassen. So zucke ich mit den Schultern und antworte:

      „Wie soll mein Herr denn das Dorf kennen? Sein Vater ist ja als Kind schon von dort weggezogen, er selbst hat es noch nie gesehen!“

      Das leuchtet dem Händler ein.

      „Ach so ist das, das verstehe ich, ich habe mich schon etwas gewundert, aber wenn ihr da oben nach rechts abbiegt, kommt ihr sicher hin, ihr könnt es nicht verfehlen!“

      Wir alle klettern nun auf die Steine um den Weg für die Esel frei zu geben und bald hören wir das Klappern der Hufe nicht mehr.

      Als er endlich verschwunden ist, fragt Ariston:

      „Wie bist du auf Cholarges gekommen? Kennst du das Dorf?“

      „Nein, natürlich nicht, aber einer der Pilger hat mir erzählt, dass er die Gegend gut kennt und eben aus dem kleinen Dorf Cholarges stammt.“

      Ariston seufzt: „Was würde ich nur ohne dich machen, ich danke dir, da ist so viel, das wir dir verdanken!“

      Unsere Lage ist schlimm, aber für einen kurzen Moment bin ich überglücklich. Bald ist mein Glücksgefühl jedoch wieder verschwunden, und ich mache mir grosse Sorgen. Das listige Blinzeln der verkniffenen Augen des Händlers hat mir gar nicht gefallen. Hat er unsere Geschichte geglaubt? Ich bin nicht so sicher.

      „Wir müssen rasch weiter und ein Versteck für eine Rast finden. Wir alle brauchen Wasser und etwas Ruhe!“

      Ariston nickt und keuchend steigen wir weiter auf. Wir folgen dem staubigen Pfad, die Sonne brennt gnadenlos, aber niemand beklagt sich, alle marschieren schweigend weiter. Dann aber erreichen wir ein kleines Wäldchen, bald wandern wir im Schatten und da sehe ich, was wir brauchen. Eine Mulde ein Stück vom Weg entfernt mitten im Gebüsch mit saftigem Gras verspricht Wasser. Wir halten an und ich eile hin: Wirklich, hier ist eine Quelle. Zwischen moosigen Steinen murmelt ein kleines Bächlein. Sein Wasser hat eine üppige Pflanzenwelt rundherum geschaffen, über uns zwitschern Vögel und rasch verschwinden ein paar Eidechsen unter den Steinen. Ein kleines Paradies für müde und durstige Wanderer.

      Nun können wir rasten. Alle sinken erschöpft ins Gras. Anisa verteilt Wasser, Brot, Käse und Oliven. Phoebe legt sich auf das Mooskissen unter einem Baum und schläft sofort ein. Erst jetzt merken alle, wie müde sie sind, und es ist gut, dass wir uns erholen können. Aber allzu lange darf die Rast nicht sein, noch sind wir nicht weit genug von Athen weg und schon gar nicht in Sicherheit.

      Die Sonne steht aber hoch am Himmel, es ist heiss und anstrengend, in der Hitze zu marschieren. Es ist wohl besser, etwas hier zu bleiben, bis die Sonne sich auf den Weg zum Horizont macht. So ruhen wir uns alle erst einmal richtig aus.

      Die Schatten sind schon etwas länger, da frage ich Ariston:

      „Sollen wir nicht weiter gehen. In den Hügeln können wir nachts nicht wandern, wir brauchen etwas Licht, da wäre es gut, sich auf den Weg zu machen.“

      Wir packen alles zusammen und brechen auf zurück zum Weg. Ein Geräusch lässt uns alle aber stockstill stehen bleiben. Dieses Geräusch, was ist das? Es wird lauter und klarer und Niko und ich wissen im gleichen Moment was das ist: Pferdehufe!

      „In Deckung,“ flüstert Niko, „wir müssen uns verstecken, das sind Pferde!“

      Alle laufen zurück zu der Quelle.

      „Nicht zur Quelle, vielleicht merken die Reiter auch, dass hier Wasser ist, dann wollen sie die Pferde tränken, versteckt euch weiter hinten im Gebüsch und passt auf, dass nichts, aber auch gar nichts liegen bleibt.“

      Das Klappern der Hufe ist schon so laut, dass keine weitere Aufforderung nötig ist. Alle stürzen sich auf das nächste Gebüsch, es raschelt noch eine Weile, dann ist niemand und nichts mehr zu sehen und zu hören.

      Das Hufgeklapper kommt näher und bald sind auch Stimmen zu vernehmen. Ich wage einen Blick durch das Gestrüpp. Ja, das sind rohe Kerle, es könnten durchaus Leute des Kritias sein. Jetzt halten sie die Pferde an, und ich kann auch verstehen, was sie sprechen.

      Der Erste, vermutlich der Anführer sagt:

      „Weit und breit kein Mensch. Der Händler hat doch gesagt, sie seien hier hoch gekrabbelt. Die können noch nicht weit sein. Zudem haben sie Frauen dabei, die sind nicht so schnell, wir sollten sie eigentlich schon eingeholt haben.“

      Beide schauen sich um.

      „Es ist heiss,“ meint der Zweite, „rasten wir ein bisschen, die holen wir bestimmt noch ein. Sind sie denn Vögel, dass sie davonfliegen können? Die finden wir schon, nur Geduld. Aber die Pferde brauchen jetzt einmal etwas Wasser, dann kommen wir wieder schneller voran.“

      Beide lassen die Blicke rundum schweifen und bemerken dann den saftig grünen Platz. Sie schauen sich an, nicken und wortlos leiten sie die Pferde zu dem saftigen Gras. Genau auf uns zu.

      Wir alle erstarren in unseren Verstecken. Bald finden sie die kleine Quelle, steigen von den Pferden und lassen die durstigen Tiere trinken.

      „Ach, ist es schön hier, komm, rasten wir ein bisschen!“

      Der Zweite schaut sich um.

      „Aber nicht zu lange, du weisst, Kritias schäumt vor Wut, wir müssen die Leute finden!“

      „Natürlich, aber etwas Rast tut uns gut, und wir haben ja schon eine Spur, wir finden die schon!“

      Beide setzen sich nun auf einen moosigen Platz unter eine knorrige Eiche genau dorthin, wo Phoebe vorhin geschlafen