Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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      „Da müssen wir nicht mehr suchen, spart uns Zeit, dem kleinen Dieb würden Fremde nicht entgehen!“

      Die Schritte entfernen sich, alle winden sich aus ihrem Gestrüpp und Phoebe klettert von der Mauer herunter.

      „Das hast du gut gemacht,“ loben die anderen, aber ich knurre:

      „Warum hast du den reichen Geizhals Panos genannt?“

      „Das war der erste Name, der mir einfiel!“

      Aber jetzt sind schon wieder Schritte zu hören, diesmal nur von einem Paar Sandalen. Phoebe klettert wieder auf die Mauer: „Es ist Theophanos!“ strahlt sie und wirklich, das Tor öffnet sich und Theophanos der jüngere tritt ein.

      „Ihr müsst sofort aufbrechen!“ sagt er, „am Hafen sind Männer aufgetaucht, die nach euch fragen. Hier im Fischerhafen auf das Boot zu steigen, wäre viel zu gefährlich. Es ist besser, wenn ich euch den Weg in die nächste Bucht aufzeichne.“

      Er zeichnet uns mit einem Zweig eine Karte in den Sand und beschreibt uns die Stellen, an denen wir ganz besonders aufpassen müssen. Weiter erklärt er dann:

      „Mein Vater und ich stechen heute Abend nochmals in See, segeln dorthin und werfen die Netze aus. Wir haben ein kleines Beiboot dabei. Wenn ihr in der Bucht seid, bleibt am Rande des Gebüschs. Ein grosser alter Baum steht fast in der Mitte, hängt ein Tuch an einen Ast. Sobald wir das sichten, rudere ich an Land und bringe euch auf das Boot. Bis ihr dort angekommen seid, ist es schon Abend, und in der Dämmerung können wir euch gut an Bord holen. Der Mond steigt erst spät auf. Beeilt euch aber, damit wir noch in der Dunkelheit davonsegeln können!“

      Damit verschwindet er durch das Tor. Seine Schritte verhallen im Gässchen vor dem Garten und wieder ist es ganz still. Wir nehmen unsere Bündel, öffnen vorsichtig das Tor und treten hinaus. Die Flucht geht weiter durch die letzten Gassen hinaus über Weiden und durch Reihen und Reihen von Rebstöcken. Der Weg ist gut gewählt, es ist kaum möglich, uns von Ferne zu entdecken. Vor uns ist jetzt eine kleine Anhöhe, die wir überqueren müssen und dann sollten wir die Bucht und hoffentlich auch das rettende Fischerboot sehen. Ein kurzer, steiler Anstieg und unter glänzt uns wieder das Meer. Gebüsch säumt die kleine Bucht, und ein grosser Baum ragt in der Mitte auf, das muss es sein. Alle Augen richten sich jetzt auf das Meer. Wo ist das Fischerboot? Weit und breit ist nichts zu entdecken, kleine Wellen kräuseln sich, färben sich rosa in der untergehenden Sonne, aber kein Boot, kein Segel, einfach nichts.

      Unschlüssig bleiben wir stehen. Hinunter steigen und darauf vertrauen, dass das Boot noch auftaucht? Was, wenn wir verraten wurden? Wir betrachten nun die Bucht genauer. Bewegt sich irgend etwas? Werden wir schon erwartet, aber nicht von Theophanos, sondern von den Schlägern des Kritias? Ratlosigkeit greift um sich, aber da flüstert Phoebe plötzlich:

      „Schaut, dort vorn ist ein Segel, man kann es kaum erkennen, aber ich glaube, es nähert sich der Bucht.“

      Tatsächlich, weit draussen segelt ein Boot daher. Das muss Theophanos sein! Alle springen auf, und wir rennen und stolpern den steinigen Weg zur Bucht hinunter. Sofort hängen wir einen Mantel an einen Ast des Baumes, ziehen uns dann zum Gebüsch zurück. Das Boot scheint stehen zu bleiben, dann löst sich ein kleiner Schatten davon und kommt auf uns zu, in der rasch einsetzenden Dämmerung erst kaum zu erkennen, aber bald sind wir sicher, Theophanos holt uns. Näher kommt er und näher, wir waten durch das seichte Wasser hinaus, und Theophanos hilft uns ins Boot.

      Der Wind frischt auf, die kleinen Wellen, die sich so hübsch kräuselten, werden höher und das Rudern wird anstrengender. Aber bald legen wir beim Fischerboot an und klettern an Bord. Theophanos bindet das kleine Ruderboot am Heck fest und setzt dann das Segel. Die Küstenlinie ist dunkel zu erkennen, die ersten Sterne winken am Nachthimmel und das Boot nimmt Fahrt auf. Pagai liegt bald weit hinter uns, aber der Wind wird immer stärker, das leichte Säuseln hat sich in eine steife Brise verwandelt. Kleine Schaumkrönchen erscheinen auf den Wellen, die immer höher werden, und das Boot schaukelt wild. Vater Theophanos zeigt auf die Küste:

      „Eigentlich wollte ich euch um den Hügel dort vorne herum in die Bucht von Korinth bringen, denn dort seid ihr sicher. Die Leute des Kritias werden es kaum wagen, bis auf korinthisches Territorium vorzudringen. Wie ihr seht, kommt aber ein rechter Sturm auf, daher bringe ich euch in die kleine enge Bucht dort drüben. Ein Pfad führt über den Hügel in die Bucht von Korinth, es ist gar nicht weit, ihr schafft das in kurzer Zeit.“

      Wie können wir den beiden Männern nur danken, ohne ihre Hilfe hätten die Leute des Kritias uns sicher erwischt!

      Der Mond, der vor kurzem noch ein wenig Licht gespendet hat, wird jetzt von einer grossen Wolke verschluckt und nur noch ein paar letzte Sterne glitzern durch die Wolkenlücken, als wir die kleine, geschützte Bucht erreichen.

      Nun fragt Theophanos, der Vater:

      „Was wollt ihr in Korinth tun?“

      Ich erkläre ihm, dass wir ein Schiff suchen, das uns nach Syrakus bringt.

      „Es ist schon Herbst, viele Schiffe machen sich da nicht mehr auf den Weg übers Meer, die Herbststürme sind unberechenbar. Aber mit etwas Glück solltet ihr schon noch einen Kapitän finden, der euch mitnimmt. Passt aber auf. Da sind auch ein paar ganz undurchsichtige Gestalten in diesem Geschäft!“

      „Wie meinst du das?“ fragt nun Ariston.

      „Da ist einer, wir nennen ihn den Phönizier, aber niemand weiss so genau, wo er her kommt. Er nimmt immer wieder Leute auf seinem Schiff mit und verspricht ihnen, sie sicher dorthin zu bringen, wo sie hin möchten, manchmal macht er sogar Umwege für seine Passagiere!“

      „Das tönt aber doch sehr gut!“ meine ich.

      „Genau, darum findet er ja immer wieder Passagiere. Das Problem ist nur, sie kommen nie dort an, wo sie hin wollten. Vermutlich verkauft er sie unterwegs in die Sklaverei. Wenn dann Angehörige sich erkundigen, sagt er immer: „Woher soll ich wissen, was die Leute machen, wenn sie ausgestiegen sind? Ich bringe sie dorthin, wo sie wollen, was nachher passiert? Wer weiss?“ Also passt auf und vertraut nicht jedem!“

      Wir alle sind starr vor Entsetzen. Mit solchen Schwierigkeiten haben wir nicht gerechnet. Wie sollen wir einen verlässlichen Kapitän von einem Halunken unterscheiden? Das freundliche Lächeln des einen sieht wohl aus wie das des andern.

      „Ich kenne zwei Kapitäne, denen ihr vertrauen könnt,“ erklärt jetzt Theophanos, „der eine heisst Istanos, ihr erkennt ihn leicht, er ist klein und rund und hat rote Haare. Der andere heisst Menos, er ist wortkarg, aber sehr zuverlässig und ein ausgezeichneter Seemann, er bringt Schiffe heil durch ganz üble Stürme. Sein Schiff ist etwas kleiner als die meisten anderen und es hat einen Mast, der unten schwarz und oben ockerfarbig ist. Sieht etwas sonderbar aus, aber das Boot ist in Ordnung. Ich weiss nicht, ob einer der beiden im Hafen ist, wenn nicht, versucht herauszufinden, ob man auf sie wartet, die Händler auf dem Markt wissen das gewöhnlich, sie warten ja auf die Waren.“

      Wir danken für die guten Ratschläge, klettern aus dem Boot und waten an Land. Dann winken wir den davonsegelnden Fischern nach, wenden uns dem Hügel zu und suchen den Pfad. Der ist leicht zu erkennen, und wir beschliessen, noch im Dunkeln weiter zu ziehen und die Sicherheit der korinthischen Seite zu suchen. Tatsächlich haben wir die Kuppe bald erreicht. Der Wind bläst uns um die Ohren, rund um uns rascheln die Blätter, Gebüsch biegt sich im Wind, unsere Mäntel flattern, aber wir haben den sicheren Hafen vor uns und wir sind alle glücklich.

      Nun ist es aber stockdunkle Nacht, dicke Wolken schlucken alles Licht, das der Mond uns vorher noch ab und zu durch Wolkenlücken gespendet hat. Der Pfad ist kaum noch zu erkennen. Wir müssen einen geschützten Platz finden, um auf den Tagesanbruch zu warten. Vorsichtig wandern wir noch eine Weile weiter, halten Ausschau nach einer Art Obdach. Eine Hütte ist nirgends zu sehen, aber da entdecke ich einen grossen Steinblock, der uns doch Schutz vor den immer heftiger werdenden Windböen und dem jetzt auch einsetzenden Regen bieten könnte. Hinter dem Felsblock finden wir einen trockenen Platz, die leichte Neigung des Felsens und ein mächtiger Baum dahinter bilden eine Art Dach. Dicht gedrängt setzen wir uns an die