Gerhard Gemke

Narrseval in Bresel


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bis Jo vor zwei Jahren auf das Adalbertinum wechseln durfte. Dann hatte Sibylle von Oelmütz Knittelstein verlassen, hoffentlich für immer. Vor ihrem inneren Auge sah Jo noch das spitznasige klapperdürre Fräulein die Kurbel drehen, um einer Gruppe fotografierender Amerikaner die einwandfreie Funktionsweise des Knittelsteiner Burgbrunnens zu demonstrieren. „Schwäbische Wertarbeit, you see?“ Mit ihrer schrillen Stimme, die selbst das Kreischen der Kurbel übertönte, und ihren mit fahrigen Bewegungen, die jeder Vogelscheuche gut gestanden hätten.

       Einmal hatte Jo das Fräulein wiedergetroffen. Im letzten Jahr, kurz bevor Sibylle endgültig verschwand, in Begleitung von Eggbert Kniest. Jo wollte nie mehr daran denken. Sie schüttelte sich. Warum musste der Kerl ausgerechnet jetzt wieder auftauchen und sie an das Fräulein erinnern? An ihr bleiches Gesicht, bleich wie der Junge auf dem Plakat, der in Onkel Eggberts Sanatorium lag. In das Adelgunde die Kukies hoffentlich bald steckte. Jo nahm sich vor, den Eimer abzuhängen und im Burgbrunnen zu versenken.

       Langsam drehte sie sich um. Es herrschte mittlerweile eine schmatzende Stille im Remter. Der Grund dafür waren die bis zum Anschlag mit Toast und brauner Pampe gestopften Mäulchen der süßen Zwillinge. Adelgunde war eifrig bemüht, genügend Nachschub zu schmieren. Jo setzte sich an ihren Platz.

       „Onkel Eggbert hat also ein Sanatorium.“ Es sollte möglichst gelangweilt klingen.

       „Für dich immer noch Herr Kniest“, zischte Adelgunde und pfefferte je ein braun verkleistertes Toast rechts und links auf die Teller. „Wieso?“

       „Nur so.“

       Adelgunde interessierte die Antwort gar nicht. Sie war schon aufgesprungen und eilte zur Remtertür, durch die gerade ihr Gatte und Schwager Eduard den Raum betraten.

       „Humbert“, keifte sie, „wo bleibst du denn! Kümmer dich gefälligst auch mal um die Kinder. Elvira, das Toast ist alle. Und Eduard, der Eimer da draußen, der …“

       „Liebe Adelgunde“, sagte Baron Eduard erstaunlich gut gelaunt (und Jo vermutete, dass er mit Humbert schon das ein oder andere Fläschchen Breselbräu seiner letzten Bestimmung zugeführt hatte), „liebe Adelgunde, du findest bestimmt noch selbst den Weg zum Burghof hinunter.“ Lächelnd ließ er seine Schwägerin mit weit offenem Mund stehen.

       „Aber der Eimer … quietscht so“, flüsterte Adelgunde und ließ sich von einem ebenfalls gutgelaunten Humbert an ihren Tischplatz zurückführen.

       „Na, Jungs?“ Eduard plumpste neben Knut auf den Stuhl. „Hat's geschmeckt?“

       „Nee“, schmatzte Knut und Kurt nickte eifrig.

       „War's schön beim Narrseval?“

       Kurt: „Voll geil!“

       Knut: „Gibt's noch Toast?“

       „Nein“, sagte Elvira mit letzter Beherrschung und knallte einen Teller mit Lachsscheiben auf den Tisch. „Ich werde Emma bitten, dass sie morgen zum Frühstück neues besorgt.“

       „Da will ich Semmeln“, nuschelte Knut an seinem Zeigefinger vorbei, den er gerade aus dem Glas mit der braunen Pampe gezogen hatte.

       „Lass das!“, schimpfte Adelgunde.

       Und Jo ergänzte leise: „Sonst steckt euch Onkel Eggbert ins Sanatorium.“

       „Herr Kniest!“ Adelgundes Gesicht bekam rote Flecken, die gut zu den braunen Resten an ihrem Kinn passten. „Für dich immer noch Herr …“

       „Ja“, unterbrach sie ihr Mann und angelte quer über den Tisch nach einer Scheibe Lachs. „Der Herr Kniest ist ein außergewöhnlicher Mensch.“ Humbert unterdrückte mühsam einen Rülpser. „Ein wahrer Wohltäter. Habt ihr seinen Stand gesehen?“

       „Erbarme dich unser“, rutschte es Jo heraus.

       „Welch ein großartiger Name.“ Humbert hatte den Umsatz der Brauerei Breselbräu wohl ordentlich angekurbelt. „Ich kenne ihn ja schon seit Langem.“ Sein Blick wanderte zur Zimmerdecke und landete wahrscheinlich in jener fernen Vergangenheit, als er den Wohltäter kennengelernt hatte. „Der Herr Kniest hatte mal eine Firma für Leiharbeiter. Und ich …“, Humbert nickte versonnen, „… war sein Geschäftsführer.“

       „Humbert, das interessiert doch jetzt niemanden.“

       „Doch heute“, fuhr Humbert fort und hob schwungvoll sein Glas. Adelgunde zog ihre Arme erstaunlich fix beiseite und entging dem Schluck Breselbräu um Haaresbreite, der nun auf die Tischplatte spritzte. „Doch heute hilft er armen und kranken Menschen aus Bolivien.“

       „Afghanistan,“ korrigierte Adelgunde.

       „Eggbert. Ein wahrer Wohltäter! Und ich habe ihn mit Pastor Himmelmeyer bekannt gemacht.“

       „So pass doch auf!“

       „Auf Eggbert!“, schrie Humbert.

       Diesmal war Adelgunde zu langsam. Ein schäumender Schluck Breselbräu beschrieb einen eleganten Bogen über den Tisch, landete zielsicher in Adelgundes Dekoletee und verschwand zischend in der tiefen Schlucht zwischen ihren Brüsten.

       „Erbarme dich unser“, grölte Humbert, der von alledem nichts mitbekommen hatte, „sammelt für die schweren Fälle, die in Eggberts Sanato...“ Humbert starrte wie ein begossener Pudel auf die klapprige Rüstung von Ritter Adalbert. Begossen war wörtlich zu verstehen. Adelgunde hatte ihm ein volles Glas Rotwein über den spärlich bewachsenen Schädel gekippt.

       „Mach das nie wieder!“, zischte sie.

       Und Kurt krähte: „Naseeeee!“

       Und sein Bruder: „Brelau!“

       „Aber …“, murmelte Humbert.

       Da stampfte Adelgunde schon aus dem Remter, dass eine Horde Hobelitze vor Neid auf Lachweiber umgesattelt hätte.

       Kurz und Schlecht rutschten glucksend unter den Tisch, wo sie blieben und recht bald verdächtig still wurden. Baron Eduard versuchte ein hilfloses Lächeln, und Elvira starrte mit zusammengepressten Lippen auf die roten Perlen, die Humbert von Kinn und Nasenspitze tropften. Und auf die ehemals weiße Tischdecke. Humbert schniefte laut.

       „Es riecht hier“, sagte er, als wollte er seine Nasengeräusche entschuldigen. „So komisch.“

       Jo bückte sich und hob die Tischdecke. Zing! Zwei angekokelte Brotscheiben flogen ihr entgegen.

       „Naseeeee!“, schrie Knut.

       Und Kurt: „Brelau!“

       „Wir sind die Brandkasper und …“

       Nein, nichts mehr und . Das Donnerwetter, mit dem Elvira sämtliche anwesenden Personen (ausgenommen Ritter Adalbert) aus dem Remter scheuchte, war das schlimmste, seit ein Blitz die Stollen im Breselberg