Gerhard Gemke

Narrseval in Bresel


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dass er ein verdammt guter Bass-Spieler war und etwas zu häufig über Kopfschmerzen klagte. Aber wenn einer nichts erzählen will, irgendwann fragt dann auch keiner mehr.

       Sieht fast so aus, als hält er sich am Laternenpfahl fest , dachte Lisa . Neben ihm stand dieses Mädchen. Lisa hatte sie schon am EDU -Stand gesehen, vor dem Sarglüften, zusammen mit Robin und der vergesslichen Nonne.

       „Ich heiße Felin“, sagte sie, noch bevor Lisas eine Frage gestellt hatte.

       Lisa lächelte. „Ich bin Lisa und das sind Jan und der unausstehliche Freddie.“

       „Angenehm.“ Felins Lächeln war schnell wieder verschwunden.

       „Frauen“, knurrte Freddie und schwang sich neben Jan und Ulli auf den Brunnenrand. Die geballte Männlichkeit. Lisa kommentierte sie mit einem ausgiebigem Gähnen. Als sie sich wieder zum Laternenpfahl umdrehte, waren Felin und Robin verschwunden – möglicherweise geflohen vor dieser klapprigen Ordensschwester, die nun den Pfahl umkreiste, als hätte sie nicht nur die Witze vom letzten Jahr, sondern auch ihr Alter und die Würde einer Nonnentracht vergessen. Mit einer Hand hielt sie ihre schief sitzende Haube, mit der anderen versuchte sie, den Zipfel einer flüchtenden Priester-Soutane zu erwischen. Der Narrseval machts möglich , dachte Lisa und sah den beiden zu.

       „Herr Pfarrer, ich muss Sie dringend sprechen.“

       Dem Pfarrer war offenbar nicht nach einem Gespräch. Nervös schob er seine viel zu große schwarze Brille die Nase hinauf und versuchte, der beharrlichen Schwester zu entkommen. Bis er schließlich aufgab.

       „Also gut Schwester“, brummte es unter seinem angeklebten Schnauzbart. „Wo drückt der Schuh.“

       „Iffigenie“, hörte Lisa und grinste. „Sie können mich Iffigenie nennen.“

       „Nun denn, Iffigenie. Was kann ich für Sie …“

       „O, Herr Pfarrer. Ich muss Ihnen etwas beichten.“

       „Mmh.“ Der Pfarrer schien nicht sehr viel Übung im Beichten zu haben. Er drohte ihr mit dem Zeigefinger. „Hoffentlich nichts Schlimmes.“

       Iffigenie legte den Kopf schräg, als dächte sie nach, ob es schlimm war oder nicht. Dann lächelte sie und sagte: „Einen Mord.“

       Der verkleidete Priester nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. Er fasste die Schwester am Arm. „Kommen Sie bitte.“ Lisa starrte ihnen mit offenem Mund nach, bis sie von einem Lachweiber-Haufen verschluckt wurden. Einen Moment lang glaubte Lisa zu wissen, wer in dem Priesterkostüm steckte. Nur ganz kurz überlegte sie, ob sie mit der geballten Männlichkeit auf dem Kunibald-Brunnen herumturnen, oder dem seltsamen Pärchen folgen sollte.

       Der Narrseval-Montag erreichte nun unweigerlich seinen Höhepunkt. Ullis Vater befeuerte die Menge in immer kürzeren Abständen mit Witzen und Naseeeee-Brelau! -Rufen, Buckelsäcke erschreckten wenigstens noch die Kinder, und Bäcker Blume pries (inzwischen heiser) seine Lebkuchennasen an, Stück zu Eins-Fünfzig.

       Lisa lehnte wieder am EDU -Stand. Sie war dem Priester und Schwester Iffigenie, die ihm einen Mord beichten wollte, bis hierher gefolgt, hatte sie aber aus den Augen verloren, als zwei angeheiterte Hobelitze meinten, mit Lisa tanzen zu müssen. Da entdeckte sie die Gänsemarsch-Gruppe, die sich vom Domportal näherte.

       Vorneweg ein Pitbullgesicht, bei dessen Anblick Lisa fast geschrien hätte. Niemals würde sie diese Visage vergessen [siehe „Theater in Bresel“]. Dicht hinter dem Kerl folgte eine beleibte zeternde Dame mit zwei identischen Krausköpfen im Schlepp, und als Schlusslicht Jo. Ihr Gesicht hätte auch auf einem Plakat des Spendensammelstandes seine Wirkung nicht verfehlt.

       „Sieh an, der Chef“, knurrte der schwarz geschminkte Lange hinter dem Tresen leise, aber deutlich genug, dass Lisa es verstehen konnte.

       Ein kurzer Blick auf Jos Gesicht reichte. Lisa entschloss sich zu einer Rettungsaktion.

       „Nie wieder, das schwöre ich“, flüsterte Jo, als die Freundin neben ihr stand. „Und wenn mein Vater mir eine Jahresration Taschengeld dafür verspricht. Die können sich den ganzen bescheuerten Narrseval sonst wohin schmieren.“

       Jo schickte mordlüsterne Blicke zu den zwei Krausköpfen, ihren pappnasigen Lieblings-Cousins.

       „Und was macht der hier?“ Lisa deutete mit den Augen auf den Pitbull.

       „Ist jetzt der Chef von diesem Verein“, flüsterte Jo. „EDU.“

       „Wie man sich wandeln kann.“

       Inzwischen hüpften die lustigen Cousins schon um die beiden schwarz geschminkten Gestalten herum und krakeelten „Neger, Neger, Schornsteinfeger“. Wie süß, man musste sie einfach gern haben! Ihre Mutter – also Jos Tante Adelgunde – ließ sich unterdessen vom Pitbullgesicht ausführlich eine der bunten EDU -Broschüren erklären.

       In diesem Moment tauchte hinter dem Pitbull eine weitere schwarze Gestalt auf. Augenblicklich ließen die Krausköpfe von den Schornsteinfegern ab und näherten sich mit ungemein listigen Blicken ihrem neuen Opfer.

       Lisa tippte Jo auf die Schulter. „Der Priester da, kommt der dir nicht irgendwie bekannt vor?“

       „Nein.“ Jo war einfach nur sauer und an keinem Priester interessiert. Auch an keinem, der gerade ihre Cousins wie zwei lästige Stechmücken abschüttelte und direkt auf den EDU -Stand zusteuerte.

       „Hochwürden!“ Der dicke Schornsteinfeger wischte sich den Schweiß von der Stirn und hinterließ ein neues Muster in seiner Schminke. „Darf ich Ihnen unsere aktuelle Hilfsaktion vorstell...“

       „Der Junge da“, unterbrach ihn der seltsame Priester knapp. „Das ist der Knochenmark-Patient?“

       „Ähm, Sie meinen Pjotr?“, fragte der Dicke und deutete mit dem Daumen über die Schulter auf das Plakat mit den Werbesprüchen und dem Bild eines graugesichtigen Jungen, dessen Augen in tiefen schattigen Höhlen lagen, und in dessen linkem Nasenloch ein Schlauch steckte. Das Unangenehmste an dem Bild aber war die Hand, die über die Schulter des Jungen nach vorne kroch. Fünf spinnenbeindünne Finger und zwischen Daumen und Zeigefinger ein silberglänzendes Messer. Ein Skalpell.

       „Ich sehe sonst keinen anderen.“ Die Laune des Priesters konnte mit Jos mithalten. „In welchem Krankenhaus liegt der?“

       Der Dicke schluckte. „Das … äh … darf ich nicht … Sie müssen verstehen, Diskretion. Also wenn jeder wüsste, wo … äh …“

       „Und? Geht's