Gerhard Gemke

Narrseval in Bresel


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Gesicht konnte sie gut verstehen.

       „Fass mich nicht an!“

       „Schon gut, schon gut.“ Pitbull ließ den Jungen los und lachte. „Wolltest wohl deinen Freund noch mal sehen. Gefällt dir das Plakat?“

       „Was ist mit Pjotr?“

       Eine widerliche Lache hatte der Wohltäter. Und dann geschah etwas Unerwartetes. Felin stand plötzlich neben Robin, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Mit einem entschlossenen Schritt trat sie zwischen ihn und Kniest.

       „Lass ihn in Ruhe, du …“ Ihre Stimme war nicht sehr laut, aber klar und scharf.

       Pitbulls Miene verfinsterte sich schlagartig. „Pass auf, dass du nicht bald dran bist“, presste er zwischen den Zähnen hervor, wenn Lisa ihren Ohren trauen konnte.

       Felins Augen sprühten Hass, blanken Hass.

       „Ist okay, Felin. Bis später.“ Robin sah sie an. „Ich hab's vergessen.“

       Langsam drehte Kniest sich um und packte Robins Arm. Selbst als sie fort waren, wich die Anspannung nicht aus Felins Körper. Lisa ging einen Schritt auf sie zu.

       „Felin?“

       „Naseeeee!“, brüllte Ullis Vater über den Platz.

       „Alles klar?“ Keine gute Frage , dachte Lisa.

       Die fröhlichen Breselner antworteten: „Brelau!“

       Plötzlich atmete Felin, als hätte sie für lange Zeit die Luft angehalten. Sie sah an Lisa vorbei auf die schunkelnde und singende Menge, die Robin und den Pitbull geschluckt hatte.

       „Woher kennt ihr den?“ Lisa kam noch etwas näher.

       Doch Felin schüttelte hastig den Kopf. „Vergiss es“, sagte sie, so leise, dass Lisa nicht sicher war, ob sie richtig verstanden hatte, und rannte davon. So plötzlich, wie sie aufgetaucht war.

       Lisa sah ihr nach. Mit einem komischen Gefühl im Magen. Entweder stimmte heute mit ihr selbst etwas nicht, oder der Narrentanz war durchgeknallter als je zuvor. Eine Ordensschwester beichtet einen Mord, ein möglicherweise verkleideter Priester fragt, ob ein Patient noch lebt, der Chef vom Spendenstand droht einem Mädchen, sie könne bald dran sein, und nimmt den blassen Robin mit. Zu seinen Schwestern.

       Lisa blickte auf. Waren heute die Farben anders? Hatte sie etwas Falsches gegessen? Sie war ohne es zu bemerken schon am Rathaus vorbei und im Museumsweg gelandet. Links die mächtige Fassade des Historischen Museums, rechts die Häuserlücke, die die abgerissene Volkshochschule hinterlassen hatte. Und davor redete der haarloser Schädel des Pitbulls auf Robin ein. Grob packte er den Arm des Jungen und zog ihn weiter. Lisa folgte ihnen wie ferngesteuert.

       Am Augsburger Ring bogen sie nach rechts ab, Richtung Capitol-Kino. Dort wartete ein silbergrauer BMW im Halteverbot. Eggbert Kniest schob den Junge in den Wagen und kletterte auf den Fahrersitz. Mit quietschenden Reifen fuhren sie los. Lisa starrte ihnen bewegungslos hinterher.

       Erst als eine Horde Lachweiber ihr Gesichtsfeld bevölkerte, rieb sie ihre Augen und war sich wieder nicht sicher, ob sie geträumt hatte. Was hatte Robin bloß mit diesem schmierigen Typen zu tun?

       Wie von selbst fanden ihre Füße zurück zum Marktplatz. Eigentlich ging sie das ja überhaupt nichts an. Kümmer dich um deinen eigenen Kram! , hatte Freddie gesagt. Vielleicht hatte er ja recht.

       Als Lisa den Kunibald-Brunnen erreichte, schlug Sankt Urban fünf. Sie schaute am Turm hoch. Der Wetterhahn auf der Spitze schwankte im Wind, aber er hielt. Plötzlich wusste Lisa, dass sie diesen Narrseval-Spaß nicht eine Sekunde länger ertrug. Auf dem Absatz machte sie kehrt. Irgendwo zwischen den Brandkaspern glaubte sie Felins mondscheinbleiches Gesicht zu sehen. Oder auch nicht. Ein paar Buckelsäcke versperrten ihr den Weg. Lisa drängelte an ihnen vorbei. Ihre Schritte beschleunigten sich. Nur weg von diesen Lachmäulern, weg von all den kreischenden Weibern, den grinsenden Hobelitzen, den Schabracken, Hohnepipeln und Forzheimern. Und Pitbulls.

       Lisa rannte. Als sie längst die elterliche Eisdiele in der Schulstraße erreicht hatte, hörte sie noch Ullis Vater grölen: „Naseeeee!“ Lisa hielt sich die Ohren zu, um die Antwort draußen zu lassen.

       Es reichte. Wirklich.

      Miserere nobis

       Und wie es reichte!

       „Nett ist es hier. Habt ihr aufgeräumt?“ Adelgunde stakste durch den Remter der Burg, als wäre sie nie ausgezogen. Als hätte sie nicht vor dreizehn Jahren die Flucht aus den düsteren Knittelsteiner Mauern ergriffen und mit ihrem Humbert eine kleine feine Villa in Augsburg bezogen.

       Jo starrte finster auf Adelgundes speckigen Nacken, der sich über den Kragen ihrer Blümchenbluse rollte.

       „Kurt!“ Adelgundes Kreissägenstimme zerschnitt ihr eigenes Echo. „Knut!“

       Ihre lieben Nachkommen waren offenbar stocktaub. Die doppelten Krausköpfe stippten weiter ihre zweifellos ungewaschenen Zeigefinger in eine braune Nougatpampe, die Adelgunde gläserweise aus Augsburg mitgebracht hatte. Nugginussi oder so. Etwas anderes schmeckt ihnen nicht , hatte sie verkündet und die Servierbretter mit Schinkenaufschnitt und verschiedenen Käsesorten beiseite geschoben.

       Gastgeberin Elvira hatte die Bretter ans andere Tischende gestellt und Kerzen angezündet. Und sie erneut angezündet, nachdem Kurt und Knut sie … ja, genau! Dann war Elvira mit mühsam unterdrückter Wut aus dem Speisesaal gerauscht, um Baron Eduard und Humbert zum Abendessen zu rufen. Und hatte Jo mit der netten Gesellschaft allein gelassen.

       „Nehmt eure Finger aus dem Glas!“, schnaufte die Tante.

       Wie gesagt, Kurt und Knut waren für bestimmte Stimmlagen absolut unempfänglich.

       „Sonst steckt euch Onkel Eggbert in sein Sanatorium!“

       Knut grinste. „Wird dann auch für Kurt gespendet?“

       „Nee, für dich.“ Kurt piekste mit dem Zeigefinger einen braunen Fleck auf Brüderchens Wange. „Du hast schon die Pocken.“

       „Eh, du Buckelsack!“

       Jo lehnte am Fenster und schaute hinaus. Die Keilerei hinter ihrem Rücken wollte sie einfach nicht mitansehen. Es interessierte sie auch einen feuchten Dreck, dass Adelgundes Bluse un-er-setz-lich war und Nougatflecken nie mehr rausgingen. Es dauerte, aber irgendwann schaffte es Adelgunde tatsächlich, die Streithähne zu trennen und für eine Art Ruhe zu sorgen.

       Draußen lag der Burghof schon im tiefen Schatten. Der Eimer, der wegen der Touristen über dem Brunnen hing, quietschte