Gerhard Gemke

Narrseval in Bresel


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„Du wiederholst dich.“ Freddie war noch nie der Sensibelste gewesen. Lisa hielt Jo fest und verhinderte so Schlimmeres.

       „Seht zu, dass ihr Land gewinnt!“, fauchte Jo hinter Jan und Freddie her, die sich schon wieder um neue Freundschaften bemühten. Jan baute sich vor einem überraschten Buckelsack auf, und bevor der etwas Böses ahnte, schrie Freddie, dass es Pastor Himmelmeyer unter dem Drei-Nasen-Fenster hören konnte: „Hier ist der wieder mit dem Stuhl im Sack!“

       Gut, dass Buckelsäcke nicht so schnell waren. Jan und Freddie hatten sich längst hinter dem EDU -Stand verbarrikadiert und lachten sich krumm.

       „Kinderpack, alle in den Sack, feste draufhaun, zackzackzack!“ Böse knurrend schlich der Kerl davon und bellte jeden an, der ihm zu nahe kam, bis er schließlich vor Elfriedes Regenschirm kuschte und sich im Gewühl verdrückte. Vorsichtig trauten sich Jan und Freddie wieder aus der Deckung.

       „Erbarme dich unser!“, keuchte Freddie mit Blick auf Elfriedes erhobenen Schirm. Und Jan zitierte den Plakatspruch: „Helfen Sie uns, wir helfen den Armen.“

       „Meinen auch!“ Freddie, wer sonst, reckte die Hände zum Himmel.

       „Super.“ Genau diese Sorte Coolness, die Lisa tierisch auf den Geist ging. „Du hast doch nicht die Spur einer Ahnung, was die hier tun.“

       „Trau keinem Punkt, er könnte ein Wurm sein.“ Toll, dass Freddie sogar Breselner Sprichwörter kannte.

       „Womit er vollkommen recht hat.“ Jetzt auch noch die Sievers! Es reichte. Lisa sah Jo an. Abhauen? Jo nickte.

       Elfriede drückte ihren zerzausten Dutt wieder in Form und richtete ihre Knopfaugen auf den EDU -Stand. Und auf den schwarzbemalten Dicken dahinter. „Die Kinder möchten gern wissen, wofür hier gesammelt wird?“

       „Kinder!“, schnaubte Freddie. Aber genau das wollte er wissen. Er würde Lisa schon zeigen, wer hier keine Ahnung hatte.

       „Also?“

       Dem Dicken rannen trotz der winterlichen Temperaturen die Schweißtropfen über die Wangen und hinterließen helle Streifen in der schwarzen Schminke. Elfriede klopfte ungeduldig mit dem Griff ihres Regenschirms auf den Tresen. „Ich höre?“

       „Auf dem P...Plakat“, stotterte der Dicke und deutete hinter sich. „Knochenmarkspende.“

       „Mein Knochenmark soll ich spenden?“

       Freddie verkniff sich ein Grinsen. Elfriede war einfach nicht nett zu dem kleinen Schwarzen.

       „Neinnein.“ Der Dicke wackelte mit dem Kopf und mit dem Zeigefinger. „Geld. Also Sie geben uns Geld und wir retten dann …“

       „Wen bitte?“

       „Wie heißt der noch gleich?“ Der Dicke sah sich hilfesuchend nach dem Langen um, der sich mit finsterer Miene genähert hatte.

       „Der arme Pjotr kommt aus Afghanistan und ist sehr krank“, sagte der. „Leukämie. Was wir uns alle nicht wünschen, nicht wahr?“ Er betrachtet Elfriedes Dutt. „Nur eine Operation kann ihn retten. Eine sehr teure. Deshalb eine mildtätige Spende.“

       „Aha“, sagte Elfriede.

       „Verstanden?“, fragte der Lange und wandte sich einem anderen Interessenten zu. Es war nicht klar, ob er Elfriede oder seinen dicken Kollegen meinte. Beide nickten.

       „Dann warten Sie mal, junger Mann.“ Elfriede schenkte dem Kleinen ein Dritte-Zähne-Lächeln und kramte in ihrer Handtasche, bis sie ein abgeschabtes braunes Lederportemonnaie gefunden hatte. Sie öffnete es behutsam und kippte den Inhalt auf den Tresen. Jan prustete und selbst Freddie fiel dazu kein Spruch ein.

       „Na los“, ordnete Elfriede an. „Nachzählen. Ja, genau Sie.“

       „Ich?“

       Elfriedes Gesicht bekam einen mildtätigen Ausdruck. „Bist du etwa der arme Pjotr?“

       Die Augen des Kleinen weiteten sich erschrocken. „Neinnein!“

       „Na also, dann wirst du Geld zählen können.“

       „Äh …“

       „Mach schon!“, raunzte der Lange aus der entgegengesetzten Standecke.

       Dem Kleinen entwich ein Geräusch, das etwas unanständig klang, und endlich begann er zu zählen. „Eins, Zwei, Zwei-Fünfzig, Zwei-Sechzig, Drei-Zehn, Drei-Dreißig …“

       Es dauerte. Schließlich war er bei Siebenundvierzig-Fünfundachtzig angekommen. „Siebenundvierzig-Fünfundachtzig“, sagte er und blickte Elfriede fragend an.

       „Kann nicht sein.“ Elfriede tippte auf ein Zehn-Cent-Stück. „Das hat du übersehen.“

       „Siebenundvierzig-Fünfundneunzig“, flüsterte der Dicke.

       „Sieh mal an.“ Elfriede strich mit der Handfläche die Münzen zurück in ihr Portemonnaie. „Da hat mich Bäcker Blume also beschissen.“

       Verständnislos sah der Dicke zu, wie der letzte Cent zurück zu den anderen klimperte.

       „Eine Lebkuchennase, sagt er, kostet Eins-Neunzig. Und ich habe mit einem Fünfziger bezahlt. Also müsste ich jetzt wieviel im Portemonnaie haben?“ Noch bevor der Dicke zu Ende gerechnet hatte, fragte Elfriede: „Und was kostet bei euch so eine Spende?“

       Jan liefen die Tränen über die Wangen. Freddie brüllte: „Naseeeee!“, und bekam eine aus Lebkuchen über die Schulter gereicht. Jan ebenfalls. Lisa hatte eingekauft, gewissermaßen als Friedensangebot. Vorher hatte sie Jo getröstet, die ihrer Verwandtschaft über den Weg gelaufen war und sich ihr wohl oder übel anschließen musste. „Ich krieg Eins-Fünfzig von euch. Pro Nase.“

       „Können wir mit den Pommes von Donnerstag verrechnen.“

       „Oki.“

       Die drei schoben sich durch das Gewühl Richtung Kunibald-Brunnen, wo erfahrungsgemäß immer jemand zu finden war, und ließen Elfriede mit offenem Mund zurück. Soso, Eins-Fünfzig also! Bäcker Blume konnte sich auf was gefasst machen!

       Der langhaarige Ulli saß missmutig auf dem Brunnenrand und wartete auf unterhaltsame Gesellschaft. Einer, der dafür nicht infrage kam, lehnte etwas abseits an einem Laternenpfahl: Der neue Bassist von Schnürs Enkel . Seit der Vater des alten Bassmanns seinen Traumjob in München mit Wohnung und Dienstwagen ergattert hatte, war Robin zu den Enkeln