Gerhard Gemke

Narrseval in Bresel


Скачать книгу

ganz schlechter Verlierer.

       „Na, na.“

       Jan glaubte, die tiefe Stimme zu kennen, doch das Gesicht mit dem struppigen Schnurrbart und den dicken kreisrunden Brillengläsern, das in der kreischenden Menge vorbeitrieb, war ihm völlig fremd. Ein schwarzer Umhang verhüllte den Kerl von den Schultern bis zu den Füßen. Wohl eine Art Priester, oder einer dieser Schwarzmaler, die alles schlecht redeten. Er drohte dem schimpfenden Buckelsack mit erhobenem Zeigefinger und war schon wieder verschwunden. Auch der Buckelsack schob sich missmutig zurück ins Gedränge.

       Aus demselben Haufen stolperte Sekunden später ein langhaariger Bengel und steuerte prustend und schniefend auf Freddie und Jan zu. „Da war grade einer.“ Ulli konnte kaum sprechen. „Ich hab bloß gesagt, dass er 'n Stuhl im Sack hat, da hat er mich fast umgebracht!“

       „Kennen wir schon“, grinste Jan.

       „Uah!“ Freddie zeigte schreckensbleich über Ullis Kopf hinweg: „Jetzt kommt der Höhepunkt!“

       „Au scheiße!“ Ulli duckte sich hinter eine Ansammlung von Schabracken . „Mein Alter!“

       Und nicht nur der. Aber zuerst noch die Glockenschläge vom Sankt-Urban-Turm. Traditionsgemäß zählten die Breselner mit. „Eins, Zwei, Drei …“ das weitere kann man sich denken, bis „… Elf, Zwölf, Dreizehn!“ Auch das gab's nur in diesem kleinen schwäbischen Kaff. Einmal im Jahr zu Narrseval. Dann aber: Pünktlich mit dem dreizehnten Schlag öffneten sich die riesigen Portaltüren des Breselner Doms, und heraus traten Pastor Himmelmeyer, Bürgermeister Radolf Müller-Pfuhr und Ullis Alter. Also Herr Sterz, der Vorsitzende des Breselner Narrseval-Vereins BNV 1899 . Und schrie „Naseeeee!“

       „Brelau!“, grölte der Platz.

       Ulli versank fast im Boden.

       Jetzt wurde auch noch über dem Dreigestirn ein rundes Fenster effektvoll aus dem Dominneren beleuchtet. Deutlich war darin ein Bild erkennbar aus schwarzen verschlungenen Linien und bunten Glasflächen: Das weit über Bresels Grenzen berühmte Drei-Nasen-Fenster .

       „Naseeeee!“, schrie Herr Sterz wieder und alle Breselner antworteten wie aus einem Mund. Siehe oben.

       „Was für'n Scheiß!“ Freddie wieder.

       „Genau.“

       Freddie fuhr herum. Irritiert blickte er in die zwei unruhigen Äuglein, die ihm aus einem vielfältigen Gesicht zuzwinkerten.

       „Guck nicht so.“ Oma Sievers schlang ihren braunen Kamelhaarmantel um die klapprigen Glieder. „Ich bin nicht verkleidet.“ Gemächlich zockelte sie an Freddie vorbei. „Ich sehe immer so aus.“

       „Haltet mich fest“, murmelte Freddie. „Langsam weiß ich nicht mehr, wer hier wirklich spinnt, und wer nur so tut.“

       „Naseeeee!“, dröhnte Herr Sterz zum dritten Mal.

       „Brelau!“

       „Gehn wir zum Sarglüften“, schlug Jan vor.

       Freddie nickte mit starrem Blick. „Alles besser als diese drei Komiker.“

       „Nehmt mich mit“, stöhnte Ulli. Der langhaarige Gitarrist von Schnürs Enkel war nach jedem Narrseval froh, noch Freunde in Bresel zu haben, denn nun legten die Herren Himmelmeyer, Müller-Pfuhr und Sterz erst richtig los. Ein Feuerwerk des Humors aus gut abgehangenen Pointen und jährlich wiederkehrenden Witzen prasselte auf die Breselner herab, wovon der Bürgermeister-Name noch der aktuellste war.

       Schwester Iffigenie – irgendwo zwischen neunzig und Nonnenhimmel – stand unter dem Vordach des EDU -Stands und lachte Tränen. „Müllabfuhr, wie lustig!“ Sie hatte auch den schon wieder vergessen.

       „Tief im Keller dröhnt die Bartwickelmaschine“, kommentierte ein griesgrämig vorbei stampfender Hobelitz. „Brakedde pfrieml o knorkde Murpftsch! R unkprakschde Schnorrps! “ Was Hobelitze so sagen.

       Schwester Iffigenie und sah ihm erstaunt nach. Dann wischte sie sich die Augen und klopfte einem blassen Jungen auf die Schulter. „Robin, nun lach doch mal.“

       Der Junge sah sie mit müdem Gesicht an. Die Breselner waren nun mal für ihren ausgefallenen Humor berühmt. Da bildete die vergessliche Ordensschwester keine Ausnahme.

       „Soll ich dir den Witz erklären?“

       „Nein, bitte nicht“, hauchte er und ein nicht weniger blasses Mädchen kam ihm zur Hilfe. „Wir lachen später.“

       „Aber Felin“, tadelte Schwester Iffigenie. „Das geht doch gar ni...“

       „Naseeeee!“, brüllte Herr Sterz.

       Iffigenie wendete freudestrahlend den Kopf und jubelte mit allen Breselnern im Chor „…“, schon klar. Als sie ihren Kopf zurückdrehte, waren Robin und Felin verschwunden. Iffigenie blickte erst den langen dürren Kerl hinter dem Wohltätigkeits-Stand an, dann den kleinen Dicken, der genauso pechschwarz geschminkt war wie die Bohnenstange.

       „Wo sind sie hin?“

       Ehe der Lange oder der Dicke antworten konnte, sagte Lisa schnell: „Zum Sarglüften.“

       „Zum Sarglüften?“ Auch diese Breselner Spezialität war Schwester Iffigenie entfallen, wie jedes Jahr. Sie sah Lisa fragend an.

       „Lisa“, sagte Lisa.

       „Aber …“

       Lisa lächelte. „Nase?“

       „Brelau“, murmelte Iffigenie. Wie hieß noch gleich der Stand, vor dem sie stand? EDU . Und was glotzen die beiden Schwarzbemalten sie an? Der Dicke reichte ihr ein Prospekt. Erbarme Dich Unser versprach die Überschrift. Helfen Sie uns, wir helfen den Armen . Iffigenie schaute erstaunt auf ihre Arme.

       „Naseeeee!“

       Die Pflicht rief.

       „Brelau!“

       Als Lisa den Eingang des Urbanturms erreichte, hatte sich davor schon eine Schlange gebildet. Auch hier von Jo keine Spur. Lisa stellte sich hinten an. Etwas weiter vorn erklärte Freddie gerade, dass das Sarglüften noch das Witzigste am ganzen Narrseval sei.

       „So, findest du?“ Elfriede Sievers schob sich grinsend vor Freddie in die Reihe und war komplett taub für die unwirschen Proteste vom Ende der Schlange. Und Freddies Blicke verrieten die Mühe, mit der er Elfriedes Leben rettete. Also die Anstrengung, mit der seine rechte Hand die linke festhielt und umgekehrt, bevor die sich gemeinsam