Gerhard Gemke

Narrseval in Bresel


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„Aha.“ Der Priester sah ihn scharf an, was die Schweißtropfen auf der schwarzen Stirn erheblich vergrößerte. „Das heißt, er lebt noch?“

       Der Dicke blickte hilfesuchend zum Pitbull, der Adelgunde mit der Broschüre allein gelassen und sich neben dem Priester aufgestellt hatte.

       „Kniest“, sagte er. „Eggbert Kniest.“

       „Aha“, sagte der Priester wieder und ließ dabei den Dicken nicht aus den Augen.

       „Geschäftsführer von Erbarme Dich Unser.“

       „Das ist noch keine Antwort auf meine Frage.“

       „Dem Patienten geht es den Umständen entsprechend. Er muss bald operiert werden. In meinem Sanatorium. Tja, und das kostet. Diese Afghanen sind ja nicht mal versichert.“

       „Ich möchte wissen, ob er noch lebt.“ Mit einem schnellen exakten Schwenk hatte sich der Kopf des Priesters dem Pitbull zugewandt.

       „Wie kommen Sie auf so eine lächerliche Frage?“

       „Beichtgeheimnis.“ Die Augen des Priesters verengten sich.

       „Sie sind doch niemals ein echter Pfaffe.“

       „Sind Sie sich da so sicher?“

       Der Pitbull war eine Spur in sich zusammengesunken. Eine Winzigkeit, aber der Priester hatte es gesehen. Auch Lisa war das nicht entgangen. Sie fasste Jos Hand und zog sie einen Schritt näher zum Stand.

       „Nun?“ Die Stimme des Priesters war um einige Grad kälter geworden.

       „Wer hat Ihnen denn so einen Unsinn gebeichtet?“

       „Das ist immer noch keine Antwort.“

       „Selbstverständlich lebt der … äh …“

       „Ich hätte gern Ihre Visitenkarte.“

       Einen Moment zögerte der Pitbull, dann hatte er seine Gesichtszüge wieder im Griff und fischte aus der Innentasche seines Jackets ein schmales Kärtchen. „Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie noch Fragen haben.“

       „Genau das werde ich tun.“ Langsam drehte der Priester die Pappkarte zwischen den Fingern, als kontrolliere er das Vorhandensein einer Telefonnummer. „Sanatorium Sorgenfrey, soso.“ Dann steckte er sie in eine Tasche der Soutane, drehte sich weg und ging.

       Pitbull sah ihm nach. Plötzlich wandte er sich ohne Vorwarnung an den Dicken. „Was redest du einen Stuss! Dem Patienten geht es nicht besser! Der braucht eine teure Therapie! Wofür sammeln wir denn eigentlich?“

       Der kleine Dicke fror und schwitzte gleichzeitig. „J...ja, Chef.“

       „Neger, Neger, Schornsteinfeger“, krähten wieder lustig die herzigen Zwillinge. Tante Adelgunde war ihnen mit watschelnden Schritten hinter den Tresen gefolgt und versuchte, sie zu ohrfeigen, verfehlte sie aber und traf stattdessen das Plakat mit dem hohläugigen Jungen, was einen spitzen Schrei des kleinen Dicken zur Folge hatte.

       Während Adelgunde die Krausköpfe nun hinter dem Tresen hervor zerrte, sah Lisa, dass der seltsame Priester die Stufen von Sankt Urban hinaufstieg und sich neben einen ebenso schwarzgewandeten Mann stellte. Pastor Himmelmeyer. Die beiden schienen sich zu kennen. Und aus den Gesten des bärtigen Priesters, die eindeutig zum EDU -Stand wiesen, konnte Lisa leicht auf das Gesprächsthema schließen. Sie spürte zwei Hände, die sich in ihren Arm krallten.

       „Kannst du mich jetzt verstehen?“, flüsterte Jo.

       „Ich hab dich schon die ganze Zeit verstanden.“ Lisa hielt es nicht für nötig, leise zu sprechen. Auch nicht dem Pitbull aus dem Weg zu gehen, der sich nun schnaufend an ihr vorbei drängelte, Adelgunde und die Zwillinge hinterher. Erst als sie endlich außer Sicht waren, entspannte sich Jo.

       „Und ich hatte gehofft, den nie wiederzusehen.“

       Lisa nickte. Am EDU - Stand schimpfte gerade der lange Schwarze mit dem kleinen Schwarzen und bedachte ihn mit Ausdrücken, die selbst die Buckelsäcke hätten erröten lassen. Nur Lisa und Jo nicht. Sie waren bereits unterwegs zum Kunibald-Brunnen, schaun, ob die geballte Männlichkeit inzwischen vom Eisenritter erschlagen worden war. Kurz bevor sie den Brunnen erreichten , gellte ein Schrei über den Marktplatz, der sogar den Breselner Defiliermarsch übertönte, an dem sich die Schützenkapelle gerade versuchte.

       „Tante Adelgunde!“, stöhnte Jo.

       Tante Adelgunde von Breselberg-Rummelpott war schon etwas … speziell. Als Tochter von Kuno dem Kühnen vom Breselberg (1919 bis 1991) verbrachte sie ihre Jugend zusammen mit ihrer Schwester Tusnelda auf Burg Knittelstein, jener mittelalterlichen Festung auf der Spitze des Breselbergs, die der schon erwähnte Ritter Kunibald um das Jahr 1000 erbaut hatte. Beziehungsweise hatte erbauen lassen. Solche Leute bauten schon damals nicht selbst.

       Vor dreizehn Jahren heiratete Adelgunde dann einen gewissen Humbert Rummelpott und zog mit ihm nach Augsburg. Ihre Zwillinge, die auf die lieblichen Namen Kurt und Knut hörten (oder nicht hörten), haben sich ja bereits unbeliebt gemacht. Tusnelda war grün vor Neid auf die jüngere Schwester gewesen und hatte alles daran gesetzt, sich den verwitweten Kaufmann Eduard zu angeln. Mitsamt seiner Tochter Josephine. Wie und warum ihr das tatsächlich gelang, darüber mag der Mantel des gnädigen Schweigens gebreitet bleiben.

       Tusnelda starb vor anderthalb Jahren auf mysteriöse Weise, und es erschienen nicht viele Trauergäste an ihrem Grab. Eduard (jetzt Baron Eduard) wohnte seit dem mit seiner dritten Frau Elvira und seiner Tochter Josephine (also Jo) auf Burg Knittelstein und wurde in regelmäßigen Abständen von der Augsburger Fast-Verwandtschaft heimgesucht. Womit wir wieder bei Tante Adelgunde wären.

       Man stelle sich eine wohlgenährte Dame vor, um die Fünfzig, die Locken seit neuestem zartlila gefärbt, mit zwei linken Händen und einem Handy am rechten Ohr.

       „Nun geh schon dran!“ Das galt ihrem Gatten Humbert, der sich in diesem Augenblick mit dem Familienauto um Bresels Innenstadtring quälte und drei Buckelsäcke anhupte, die es sich auf seiner Motorhaube bequem gemacht hatten. Ausgerechnet jetzt klingelte sein Handy. Humbert tippte auf das Hörersymbol und verzog schmerzhaft das Gesicht, als Adelgundes Schrei seine Gehörgänge durchstach.

       Was war geschehn?

       Kurt und Knut – auch Kurz und Schlecht , oder einfach die Kukies , krause Locken und ebensolche Ideen darunter – hatten sich an zwei Feuerschlucker herangepirscht. Zwei sogenannte Brandkasper .

       „Boah, eh!“

       „Voll geil!“

       Konnte man so sagen.