Jochen Schmitt

Euskal Herria


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Es folgte die Schafsherde, angetrieben von den Kindern. Die Schlinge eines Strickes um den Hals fesselte den Buben an den Hals des Mädchens, und umgekehrt der Schwester Hals an des Bruders. Das Ende des Seils war am Gürtel eines Soldaten festgemacht. In den Händen hatte jedes Kind einen Stock, um die Schafe vor sich her zu treiben und beisammen zu halten.

      Der Rest der Truppe trottete hinterher und kaute im Gehen die Reste des gebratenen Hammels. Zeit für die Morgensuppe hatte Ibrahim ihnen nicht mehr eingeräumt.

      Am frühen Nachmittag verließen sie das Tal. Erleichtert fielen Wachsamkeit und Anspannung von ihnen ab. Das feindliche Gebiet der Basken lag hinter ihnen. Zwar gab es weit und breit keine Siedlung der Bergmenschen. Sicher war man in Vorgebiet der Frontera, in der Ischibanya jedoch nie. Wenig später war schon der hohe Turm der Burg von Urix zu erblicken, dem ersten Grenzdorf des Emirs von Saragossa und ihr Standort.

      Die Mauren sicherten ihre Grenzdörfer durch eine seltene Mischung von Festung und Burgturm, Qal´a genannt. Daraus entstand verballhornt der spanische Begriff „Alkazar“. Dabei handelte es sich nur um einen mächtigen Burgfried. Der war integrierter Teil einer ebenso massiven Burgmauer, die einen freien Platz umschloss, und nur ein einziges Zugangstor besaß. Tausende dieser Fluchtburgen, die sich glichen wie Tausendlinge, standen damals in gesamt Al-Andalus in jedem Grenzdorf. Der Turm war nur des Dorf-Kaids oder dessen Amirs Wohnung, und zugleich deren Amtsgebäude. Die Stockwerke waren ansonsten durchweg mit Notvorräten zu-gestapelt. Und im Dachgeschoß hielten ständig 3 Wächter Ausschau, die alle 2 Stunden abgelöst wurden.

      Die Burgbesatzung wohnte in Steinhütten direkt hinter der mächtigen Bruchsteinmauer des Wallbereiches. Die Wallmauer war auch zugleich die Rückwand der Hütten, der Ställe, der Vorratskammern und der Speicher. Alle Tür- und Fensteröffnungen lagen nach innen, zum Hof und zum Burgfried dieses Alkazars hin. Die Dächer waren Standtort der ersten sicheren Verteidigungslinie bei einem Angriff. Der fünf Stockwerke hohe Burgfried, mit dem Einstieg im zweiten Stock, war dann die letzte. Eine Qal´a war also einerseits die Kaserne der Garnison, und zusätzlich eine feste Fluchtburg. Denn der Burghof dieser Anlage war im Fall einer Krise die befestigte Zuflucht der nach wie vor christlichen Dorfbevölkerung, und auch ihres Pfarrers.

      Ibrahims Zug an Kriegern war die Garnison der Qal´a von Urix. Ihnen war der Schutz der Siedlung gegen Baskenüberfälle anvertraut. Mehr noch die Überwachung der Dörfler. Schließlich waren die ebenso Basken, wie die in den Bergen. Vielfach sogar durch Verwandtschaft mit ihnen verbunden.

      Die meisten der islamischen „Soldaten“ waren keine Mauren oder Araber sondern Kriegersklaven, als solche bei Maurenüberfällen auf dem Balkan oder bei Razzien im oströmischen Kaiserreich von Konstantinopel erbeutet. Die Mauren bezeichneten sie alle pauschal als „Saqaliban“, also Slaven. Dabei blieb es auch, obwohl im Zuge der Sachenkriege König Karls ganze Heere von gefangenen Sachsen als Sklaven ins Maurenland verkauft wurden.

      Von Beruf waren die Kriegersklaven eigentlich Murabitun, Grenzschützer. Das waren speziell als Burgbesatzung trainierte Fußkrieger. Für echte Razzien wurden sie nicht eingesetzt. Nur zu Kommandounternehmen, um die lokalen Baskendörfer im feindlichen Vorfeld der Grenzburg für deren Eigenversorgung auszuplündern.

      Jeder in der Garnison von Urix hatte inzwischen ein baskisches Mädchen erbeutet und in sein Bett gezwungen. Andere Dorfmädchen ließen sich aus freien Willen in ihr Bett locken. Es gab förmliche Ehen, die der katholische Pfarrer oder der muslimische Imam eingesegnet hatte. In jedem Fall mussten die Frauen auch den jeweiligen Haushalt führen, und für das leibliche Wohl ihrer Eigentümer und Kinder sorgen.

      Die Murabitun des Emirs mussten ihr Brot und ihren Lohn selbst organisieren. Eine „Ghassia“ nannten die Beduinen ihre schnellen, weiten und großräumigen Beuteritte, woraus unser Wort „Razzia“ entstand.

      In der Frontera waren es nicht berittene, kleinere Trupps. So wie der Ibrahims ständig zu kurzen Raubzügen in die nicht befriedeten Baskengebiete unterwegs. Da sie fleißig waren, wofür ihre Kaids und der Amir eifrig sorgten, denn nur so konnte sie sich bereichern, lebten sie als Fußkrieger zwar mehr riskant, aber in stetem Überfluss.

      Die Abgabe der gesamten Beute einer Razzia, außer den Lebensmitteln, also dem Korn und den Tieren, die von ihnen selbst verbraucht wurden, füllte die Vorrats- und Schatzkammer des Emirs. Der musste ein Fünftel jeder Einnahme an die Kasse des obersten Emirs, an den Herrscher in Cordoba abführen. Dessen Nachfolger erst erhöhte ihren Rang zum unabhängigen Kalifen von Al-Andalus.

      Aus den ihm verbleibenden 4/5 gewährte der lokale Emir, der selbständige Herrscher eines der 20 Wilayatun seinen Raubsoldaten eine Belohnung nach seinem freien Belieben.

      Außerdem hatte die Truppe den christlichen Dorfbewohnern das Kopfgeld der Ungläubigen abzupressen. Eine beachtliche Last für die Betroffenen. Mindestens 12 Kupfer-Dirhams für die Familien der Handwerker und Bauern. 24 Dirham hatte die Mittelschicht zu entrichten, die Reichen 48. Das aber Monat für Monat! Obendrein musste der Landbesitzer eine Landsteuer abführen, und die Bauern jährlich 1/3 von all ihren Erzeugnissen, um den steten Zustrom an Nahrungsmitteln aus dem Dorf für den Emir in Saragossa zu sichern.

      Diese Last der Landwirte klingt ungewöhnlich hoch. Sie wurde dennoch gutwillig getragen. Denn zur Römerzeit, also bis ca. um 400 n.Chr., waren die Iberer rechtlose Sklaven, die gefüttert wurden, und dafür die Latifundien bewirtschaften mussten. Der Ertrag gehörte allein den römischen Landherren. Der Germanenansturm änderte nichts. Statt Römern waren nun die Vandalen, Sueben, und ihre sarmatischen Bundesgenossen, die Alanen die Landherren und Sklavenhalter. Auch unter der nachfolgenden Herrschaft der Westgoten blieb es dabei.

      Erst ab 711 n.Chr. änderte sich ihre Lage. Die von den Einheimischem „Chaldäer“ genannten Beduinenvölker des Islam, Araber wie Berber, Syrer oder Jemeniten, denen die Bewirtung von Grund und Boden fremd war, machten in ihrer Not und Unkenntnis daraus das Beste. Sie unterteilten die eroberten ausgedehnten Latifundien in kleine Bauernhöfe. Die Mauren zogen dafür die erwähnte Beteiligung am Ertrag an sich. So wurde aus iberischen Sklaven und Leibeigenen freie Landeigentümer, die, weil Christen, den minderen Rechtsstand der Ahl ad-Dhimma bekamen. Das bedeutete das Recht auf Leben, Religion, Landbesitz, bis hin zum Landverkauf. Sie hatten sogar die niedere Gerichtsbarkeit innerhalb ihrer Kommune. Verboten waren ihnen nur der Waffenbesitz, und die Heirat mit einer Muslimin.

      Die höhere Gerichtsbarkeit war dem islamischen Kadi vorbehalten – vor dessen Richterstuhl keines Christen Zeugnis Beweiskraft hatte.

      Verständlich, dass die einheimische Landbevölkerung ihren neuen Herren anhing. Nationalismus war noch nicht erfunden. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ bezeichnet es am Treffendsten. Das hatte nicht den geringsten anrüchigen Beigeschmack. Das wurde von allen als die moralisch anständige Grundhaltung betrachtet.

      Der Kopfsteuer konnte man sich entziehen, indem man zum Islam übertrat. Nach und nach bekannten sich die Bauern überwiegend zu Allah. Den Maurenherrschern passte das gar nicht. Sie behinderten den Religionswechsel, wo immer es ging. Gegen den Koran, dessen Gebote auf Seiten der neuen Gläubigen lagen, waren sie jedoch machtlos. Immerhin erklärt sich so der Umstand, dass jede Islam-Missionierung unterblieb: Nur ein christliche Untertan war ein ergiebiger Steuerzahler!

      In den isolierten und vereinzelten Baskensiedlungen im Gebirge dagegen herrschten Angst und Ohnmacht. Die Siedlungen und Clane in den Gebirgstälern hatten noch keine gemeinsame Organisation. Sie lebten abgeschieden für sich. Die Siedlungen waren meist durch unüberwindliche Gebirgshöhen voneinander getrennt Es gab nur den Zusammenhalt von Sippe und Clan. Als tatkräftige Krieger wussten sie sich im offenen Kampf überlegen zu verteidigen.

      Den listigen Razzien der raubgeschulten Beduinen und ihrer nimmersatten Sklavenkrieger und deren unvorhergesehenen plötzlichen Überfällen waren sie hilflos ausgeliefert. Sie revanchierten sich schlecht und recht durch nächtliche Raubzüge ähnlicher Art.

      In Urix lag die Truppe als Besatzung und Schutzmacht in einer befestigten Anlage, die vor kurzem noch einem westgotischen Dorfherrn als Wohnstätte gedient hatte. Der war bei der Ankunft der Mauren in Al-Andalus mit seiner Familie und einigen Gefolgsleuten in die Nordwestecke des Landes geflohen. Dort, an der Grenze zum Lande der Franken, boten unzählige Höhlen in den Pyrenäenfelsen