Jochen Schmitt

Euskal Herria


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eins mit der Peitsche übergezogen. Ab sofort hast du mit mir aktiv an meinen Studien teil zu nehmen, und ebenso täglich an meiner Ausbildung im Reiten und Fechten!“

      „Hast du mich verstanden?“

      Schweigend verneigte sich Lauro.

      Er hatte die erste Lektion seines Sklavendaseins bereits absorbiert: Untertänig wirken – das war hier die Frage! Er musste seine gesamte ererbte und erworbene Schläue einsetzen, wollte er sich vor der Peitsche schützen, und seinen Baskenstolz und seine Baskenehre wahren. Gehorsam und ergeben scheinen, das war von jetzt an überlebenswichtig. Schon jene zwei Peitschenhiebe im Hofe des Sklavenhändlers hatten genügt, dies zu verinnerlichen. Hungrig und durstig angelangt, hatte er nur um etwas zu trinken und zu essen gebeten. Der Aufseher hatte beides mit je einem Peitschenschlag gestillt:

      „Der erste ist für deinen Durst, der zweite beendet deinen Hunger!“ war die launige Bemerkung des grinsenden Aufsichtssklaven. Der genoss hemmungslos seine Macht, war aber klug genug, keine wertmindernden Spuren zu erzeugen. Er war auf die Zähmung widerspenstiger Neuankömmlinge programmiert. Er hoffte, Lauro zu mehr herausfordern zu können. Der war schlau genug, sich mit dieser einen Abreibung zu begnügen, die ihm fortan unvergesslich blieb. Wenn auch nur vorgetäuscht: Seinem Herrchen wie ein gut dressierter Hund die Hände zu lecken, das entschied in seinem neuen Leben über Sein oder Nichtsein.

      Er warf sich sofort in die neue Herausforderung. Lauro nutzte jede Minute, die er dafür abzweigen konnte. Zuerst mal fand er sich in eine ihm völlig unbegreifliche Welt gestürzt. Der Palast mit seiner Fülle an Leben verwirrte ihn. Ein Teil der Sklaven und Diener sprach baskisch. Er wandte sich an diese um Information. Vieles verstand er dennoch nicht. Langsam kam er dahinter, erkannte Zusammenhänge und das System hinter dem Gewimmel um ihn herum.

      Er sprach und übte mit jedem der anderssprachigen Haussklaven. Wo immer er in seiner freien Zeit eine der Sklavinnen oder der Sklaven einfangen konnte, wurden Sprachen trainiert. Er lungerte im Park herum und belauschte Gespräche. Half den Gärtnern im Gemüseareal des Parks, nur um von denen Anweisungen und Erklärungen annehmen zu können.

      Zu seinem Glück fand sich eine junge Gotin, die als Mozaraberin fließend Arabisch sprach. Das blonde Mädchen war von dem schwarzhaarigen Basken fasziniert, und er von ihrer für ihn bisher völlig fremden Andersartigkeit. Da sie keine Sklavin sondern angestellte Küchenkraft war, konnte sie sich relativ frei bewegen. Nach ihrem Feierabend schlich sie zu ihm in die Parkbüsche. In allen entsprechenden Künsten erfahren, und an ihrer Ausübung hoch interessiert, klärte sie ihn über den kleinen Unterschied in Arabisch auf. Zur praktischen Umsetzung der neu erworbenen Erkenntnisse benötigten sie dann keinen sonderlich umfangreichen Sprachaufwand. In den Pausen dazwischen, und hinterher entspannt, wurde des Sklaven hinzu gewonnener Sprachschatz erfolgreich erweitert und vertieft. Gepaart mit seiner unterschwelligen Angst, brachte ihm seine hellwache Auffassungsgabe rasche Erfolge. Nach den vier Wochen beherrschte er nicht nur arabisch sondern auch die vulgäre Umgangssprache der unterworfenen Christen, aus denen später das Spanische entstand. Bald konnte er, hinter Abdallah im Schneidersitz hockend, dessen Unterrichtsstunden folgen.

      Eine Gruppe fast gleichaltriger Araberjünglinge, die nachwachsende Blüte des Hofes, erfuhr hier das Beste, was es zu der Zeit an Wissensvermittlung gab. Ausgesuchte Lehrer, einige von ihnen angesehene Wissenschaftler, aber auch nur Sklaven, handhabten im Palast des Hadjibs den Nürnberger Trichter. Zwangsläufig schnappte Lauro so nach und nach deren Bildung auf, lernte rechnen und schreiben, und schnappte mit wachem Verstand dieselbe intellektuelle Kost auf, die dem Adelsnachwuchs vermittelt wurde. Bald rascher und intensiver, als die den Unterrichtsstoff absorbierten.

      Fechten und Reiten waren ganz andere Herausforderungen. Sein Herrchen wies ihm den bockigsten Wallach des väterlichen Stalles zu, und amüsierte sich königlich, als es Lauro zunächst nicht einmal gelang, das sich drehende und wendende Pferd zu satteln. Endlich das scheuende und bockende Pferd überlistet, kam er nicht in den Sattel. Auch das gelang schließlich, aber nur für einen Augenblick. Dann katapultierte der Gaul den neuen Reitersmann, begleitet vom nächsten Heiterkeitsausbruch des Adelssprosses, ganz jämmerlich nach vorn über den Pferdekopf ins Gras. Die weiter folgenden ungezählten Stürze, die Lauro auf dem Weg zum perfekten Reiter absolvierte, blieben eine ständige Quelle immer neue Lachanfälle seines Quälgeistes.

      Was der Boshafte nicht sah oder begriff: Genau das war für Lauro der Einstieg in die künftige Meisterschaft. Gleich am ersten Abend seiner Misserfolge schlich er sich mit einem Apfel und zu später Stunde in den Stall des Wallachs, um sich mit ihm zu beschäftigen, zu reden und ihn zu streicheln. Zwar hatte er zuvor noch nie ein Pferd gesehen. Aber wie man Tiere zu Freunden machte, das hatte er als Landei schon mit der Muttermilch aufgesogen. Das saß ihm als Bauernsohn im Blut. Ein maurischer Stallknecht gab ihm den zusätzlichen Tipp:

      „Jeden Abend musst du deinem Pferd eine Sure des Korans ins Ohr flüstern! Das machen alle Beduinen. Dein bockiger Renner ist daran gewöhnt worden. Daran erkennt er seinen Beherrscher. Du wirst sehen, dass dein Bock dich danach akzeptiert.“

      Lauro dankte für den Tipp, kannte aber bisher keine Sure auswendig, wenngleich er im Unterricht einiges aufgeschnappt hatte. Er fragte sich selbst jedoch, ob der Gaul wohl den Koran kenne. Eher nicht, schloss er messerscharf. Dann genügt das Flüstern, erkannte er. Und flüsterte dem Ross nun abends die Sagen der Basken ins Ohr. Vorsichtshalber in seinem neu erlernten Arabisch, denn dieser Klang mochte dem Pferd im Ohr liegen. Erfüllte tatsächlich denselben Zweck. Und er hatte so eine weitere Chance zum Sprachtraining. Einige Leckerbissen später ließ der Hengst sich von ihm satteln, aber nie ohne weitere Widerborstigkeiten reiten. Das blieb eine dauernde Herausforderung für Lauro. Nur in ständiger Gefasstheit auf die nächste Boshaftigkeit schaffte er es, im Sattel zu bleiben. Immerhin eine Prüfung, die er bald ohne weitere Stürze meisterte. Da kam ihm jetzt die antrainierte körperliche Wendigkeit und Ausdauer zu gute. Eine Folge des hart fordernden Bauerndaseins. Nur mit viel Kraft und. Anstrengung konnte er dieses Pferd kontrollieren. Das trainierte den künftigen Meisterreiter. Nicht weniger aber alle diese Herausforderungen auch seinen Charakter. Wenige Monate genügten: Aus dem unbedarften Bauernbuben formte sich ein selbstbewusster Jüngling, der in der maurischen Mittelschicht bestehen konnte.

      Seine Robustheit half ihm auch durch die Qualen der anfänglichen Schwierigkeiten des Fechtunterrichtes. Sein Eigentümer hatte schon durch längeres Training einen beachtlichen Vorsprung. Abdallah konnte bereits recht gut fechten, und beherrschte die wichtigsten Finten und Schlagarten. Sie fochten unter Aufsicht eines erfahrenen alten Fechtlehrers im Hinterhof des Palasts gegeneinander. Noch nicht mit echten, wenn auch stumpfen Säbeln. Das kam erst später. Sie fochten mit hölzernen Stäben.

      Der erste Tag wurde zu einer wüsten Verprügelung. Lauros überlegene Körperkraft nützte ihn wenig. Ein ums andere mal unterlief sein weit erfahrener Partner seine Deckung, durch-brach seine Paraden und zog ihm eins über. Nicht die blauen Flecken, mit denen er anschließend gesprenkelt war, erbosten Lauro so sehr. Eine fast grenzenlose Wut über das dauernde höhnische Grinsen des Schlägers ließ ihn fast seine Fassung verlieren. Einmal war er kurz davor, seinem Eigentümer mit einem brutalen Faustschlag niederzustrecken. Nur die eiserne Selbstbeherrschung, die er sich auferlegt hatte, bewahrte ihn vor einer intimen Bekanntschaft mit der Siebenschwänzigen.

      Und vor allem die sichere Gewissheit, dass der Schläger eines baldigen Tages der Geschlagene sein werde.

      Dafür trainierte er, härter und immer erfahrener werdend. Er ließ sich verprügeln und lernte allmählich, jeden Schlag zu parieren. Sorgsam hütete er sich, seinen Herrn richtig zu treffen. Das höchste, was er sich gelegentlich einmal erlaubte, war ein Streifschlag ohne Verletzungsfolge. Das musste stets als tölpelhafter Ausrutscher erscheinen, um folgenlos zu bleiben. Selbst das unterließ er, als sie ein Jahr später mit stumpfen Säbeln weitergebildet wurden. Er hielt mit seiner Überlegenheit zurück und vermied es, wie ein Sieger zu erscheinen. Er hätte nun jeden Zweikampf gewinnen, seinen Eigentümer niederschlagen und beschämen können. Klug war so etwas nicht, und daher täuschte er lieber ab und zu, neben vielen Patts und Remis, auch eine Niederlage vor. Selbst dann, wenn ihm das einen weiteren blauen Fleck am Körper eintrug.

      Der alte Fechtmeister machte sich so seine Gedanken dazu – aber er äußerte sie nie. Er griff auch