Jochen Schmitt

Euskal Herria


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auf dem Platz, auf den man sie gezwungen hatte. Ein Bild menschlichen Elends. In ihrem Erscheinungsbild und ihrer Resignation erkannte er die eigene Hoffnungslosigkeit. Er gab auf und verkroch sich in sich selbst. In diesem Augenblick wurde er zu einem anderen. Weg war der lastenfreie fröhliche Junge von Gestern. Jetzt stand dort ein frustrierter und zutiefst im Gemüt beschädigter junger Mann.

      Er war komplett nackt, wie ein Dutzend älterer Jugendlicher neben ihm. Auf der anderen Seite eine Gruppe Mädchen verschiedenen Alters, darunter seine Schwester, alle im Evakostüm den Schaulustigen dargeboten. Zwischen beiden Gruppen hatte sich der Auktionator aufgebaut. Seine Ware hatte er clever auf einem kniehohen Podest arrangiert. Das bot die Geschlechter der käuflichen Körper verkaufsfördernd in Augenhöhe den animiert Glotzenden dar. Die umringten dicht gedrängt den Verkaufsstand. Sie rangelten und drängelten. Jeder wollte gern aus höchstens einer Handbreit Entfernung den kleinen Unterschied zwischen Buben und Mädchen besichtigen und vergleichen. So was bekam man nicht alle Tage, und schon gar nicht kostenfrei geboten. Zum Leidwesen und Neid der anderen Basaris strömten immer mehr zum nackerten Sklavenangebot, und ließen die sonstigen Auslagen unbeachtet links liegen.

      Der Auktionator hatte sich vorn, am Rande des Podiums und in der Mitte zwischen seinen beiden Waren-Gruppen positioniert. Ein fülliger 40er, dessen Körperbau Wohlleben verriet. Um den Kopf ein grauer Seidenschal. Nicht aus religiösem Grund. Tarnung seines Kahlkopfes. Dem Aussehen nach war er Armenier. Er verstand nicht nur sein Geschäft! Er war auch der geborene Marktschreier, Ausrufer und Feilscher:

      „Schaut sie euch an“ brüllte er ins Publikum, „fasst zu, prüft und knetet sie! Aber mit Gefühl, bitte, keine blauen Flecken! Nur erstklassige Angebote! Der Sklavenhändler Ali, das bin ich, und ich verkaufe nur beste Ware! Jedes Mädchen ist noch Jungfrau! Jeder Jüngling von vielfacher Standfestigkeit!“

      Er nahm sich eine alte Matrone im Gewimmel zum Ziel des nächsten Spruches. Die verteidigte standhaft ihren Logenplatz gegen das Drängeln der anderen. Eisern verharrte sie vor den nackten Jünglingen. Lüstern starrte sie auf die Bäuche der Buben vor ihr. Sie konnte den Blick nicht mehr lösen. Sie schien, ähnlich einem indischen Fakir, hypnotisch eine Auferstehung zu versuchen. Unübersehbar, wie ihr das Wasser im Munde zusammenlief. Der Auktionator sah an den Halsbewegungen, dass sie im Leerlauf schluckte:

      „Hallo, alte Mutter, komm noch näher heran und leiste dir einen solchen jungen Hengst! Jeder von ihnen bedient dich Nacht für Nacht ein Dutzend Male! Garantiert! Meine alte Amma hat jeden von ihnen getestet! Unter jedem von ihnen hat sie 10mal hintereinander ein nächtliches Wunder erlebt!“

      Heulendes Gelächter ward sein Echo. Spöttische Zurufe des Unglaubens und anzügliche Zoten folgten seine Rede. Er wandte sich nun zur Rechten, zur Gruppe der Mädchen neben ihm. Er zerrte Seline aus ihrer Gruppe nach vorn, um mit Ihren jugendlichen Reizen sein Geschäft noch mehr anzuheizen.

      „Wer das richtige Angebot macht, darf ihr einen Finger rein stecken und ihre Unschuld prüfen! Vorwärts ihr Gläubigen! Lasst mich wissen, was es euch wert ist, diese Unschuld vom Lande in eurem Bett zu genießen!“

      „Was höre ich da? 3 Silber-Dirhams? Das könnte dir so passen, du Geizkragen! Für drei Silberlinge eine knusperige Jungrau vögeln – das gibt es bei Ali nicht! Wer bietet 10 Silber-Dirhams? Jawohl! 10 habe ich gesagt, wer gibt 10?“

      Raunen und Aufstöhnen in der Menge, dann Gelächter, Spottrufe auf den Auktionator. Da, plötzlich, doch ein erstes Angebot. Acht Silberlinge bot ein alter Patrizier, was nun erst stauende Ausrufe erzeugte, danach aber folgten langsam höherkletternde Offerten. Plötzlich drängte sich ein alter Berber-Krieger nach vorne durch. Schlank und hochgewachsen. Einäugig. Die Narbe eines Schwerthiebes entstellte sein Gesicht. Sie verlief von der wulstigen rechten Augenbraue zum linken Mundwinkel. Obendrein zierte ein nicht unerheblicher Buckel seinen runden Rücken und ein kleiner Kropf seinen Hals. Der grüne Turban auf dem Kopf wies ihn als einen Nachfahren Mohammeds aus. Gegen ihn bot keiner mehr.

      Erst mal überzeugte er sich, dass der Preis gerechtfertigt war. Immer noch ohne einen Laut, bohrte er vorsichtig in dem sich schaudernd windenden Mädchen nach dem Jungfernhäutchen. Zufrieden mit dem Ergebnis zog er einen wohlgefüllten Beutel aus den Falten seines Kaftans. 12 Silberlinge zählte er schweigend in die Hand des Händlers. Ebenso schweigsam, was dem Vorgang etwas Geheimnisvolles gab, zerrte er Seline vom Podium und verschwand mit seiner Beute in der Menge. Seline hatte den Konsumenten ihrer so begehrten Unschuld gefunden.

      Mit tränenverschleiertem Blick sah Lauro den Käufer mit seiner Schwester entschwinden. Schier rasend vor Zorn und wutgeschüttelt schwor er sich selbst, sein Leben lang nach ihr zu suchen, sie zu befreien und ihr ein neues Leben zu schenken. Und nebenbei einen fürchterlichen Rachefeldzug gegen alle diese Täter zu führen. Dafür brauchte er kein Schiff mit acht Segeln und 50 Kanonen an Bord! Sein Zorn und seine beiden Hände würden genügen.

      In ähnlicher Weise verlief die weitere Auktion. Mit immer wieder anderen derben Scherzen, mehrdeutigen, aber meist eindeutigen Witzchen und losen Sprüchen, beförderte der gewiefte Händler seinen Umsatz. Dann kam die Reihe an Lauro.

      In diesem Augenblick teilte sich die Menge. Einige Sklavenkrieger trieben sie auseinander. Ein vornehmer Mohammedaner in reicher Kleidung kam durch die Gasse nach vorn. Erschrocken warf sich der Auktionator auf die Knie, versank in tiefe Verbeugung, presste die Stirn auf die Bretter und wisperte kläglich:

      „Oh Sihdi, mächtiger Beschützer der Gläubigen, befehlt eurem armseligen Knecht gnädig euren Wunsch!“ Dann erfasste er geschäftstüchtig die sich bietende Gelegenheit, seinen Gewinn zu steigern. Hurtig floss Inflation in seine Preisvorstellung: „Wenn ihr den Knaben wollt, der Preis ist 8 Silber-Dirham!“

      Der Hadjib des Emirs, Kanzler und der zweitwichtigste Mann im Fürstentum von Saragossa, feilschte nicht. Er ließ von seinem Leib-Sklaven den geforderten Preis entrichten, und befahl seinen Knechten, Lauro abzuführen. Der fand sich bald wenige Straßen weiter im Palast des Hadjib wieder, wo er als ein lebendes Spielzeug Abdallah, dem gleichaltrigen Sohn des Wesirs als dessen erster eigener Sklave zugewiesen wurde.

      Hisham ibn Battuta vom Stamme der Choraisch, also ein Nachfahre des Propheten Mohammed, stammte aus Bagdad, wo sein Vater schon ein Hadjib, also in etwa der „Kanzler“ des Kalifen war. Er war von Natur aus ganz der Verwaltungsfachmann. Seine Studien an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie des Kalifen hatten ihm sein Verwaltungsdiplom eingebracht. Im Grundzug etwas abenteuerlustig, war er seinem Jugend- und Schulfreund, dem mehr kriegerisch veranlagten nunmehrigen Emir, vom Hofe des Kalifen, nach Saragossa gefolgt. Der war ein Kriegsherr und hatte einen Verwaltungsfachmann bitter nötig. Ablauf der Zeit und Bewährung im Amt hatten bewirkt, dass die Jungendfreundschaft der beiden sich ständig vertiefte. Bedingungslose Loyalität war und ist unter Arabern so häufig wie die Begegnung mit einem Yeti. In diesem seltenen Fall, hier war sie auf beiden Seiten gleich tief ausgeprägt.

      Ihm nun, dem mächtigen Kanzler des Emirates, stand Lauro im Innenhof des Palastes gegenüber.

      „Bosco, du nimmst diesen Burschen zu meinem Barbiersklaven. Er soll ihm alle Körperhaare scheren und verbrennen. Wehe es kommt mir eine Laus ins Haus! Zu unser aller Glück hat er wenigstens keine Kleidung mitgebracht! Das erhöht unsere Chance auf einen weiterhin ungezieferfreien Palast! Dann sag der alten Amma Bescheid. Sie soll diesen Wurm gründlich abschrubben, bis er glänzt, ihn einkleiden und meinem Sohn übergeben.

      Nach diesen Worten hatte er Lauro schon vergessen.

       ***

      5. Kapitel: Am Hofe zu Saragossa

      Die ersten Erfahrungen mit seiner neuen Umwelt waren für jungen Sklaven nicht sehr ermutigend. Sein Herrchen war ein kriegerischer und ausgesprochen adelsbewusster angehender Chassa. Bald ein würdiges Mitglied dieser Ritterkaste der Mauren. Zu allererst jedoch war er ein verwöhntes und arrogantes halbstarke Bürschlein. Sein übereitles Selbstbewusstsein bekam durch die Eigentumsrechte an Lauro einen weiteren negativen Schub. Er war nun Herr über Leben und Tod seines neuen Spielzeuges. Keinen Augenblick zögerte er, dies überdeutlich zu beweisen.

      „Du bist nun mein alleiniges Eigentum“ klärte