Werner Karl

Aevum


Скачать книгу

Klingen, die überlangen historischen Hellebarden nicht unähnlich waren. Dabei hatte die Haitianerin den Eindruck, dass die Sambolli von ihrem blitzenden Schwert mehr beeindruckt waren, als von der Energiewaffe.

      Laurent Girard hatte sich mit vorsichtigen Schritten an eine Seite seiner Bataillonskollegin begeben. Sein Gesichtsausdruck zeigte nur zu deutlich, dass er ihnen gegen diese Übermacht nur geringe Erfolgs-aussichten zugestand. Allerdings blieb Bérénice diese pessimistische Einschätzung erspart, da sie sich völlig auf die Gegner konzentrierte. Trotzdem spürte sie seine Unsicherheit.

      »Bleiben Sie locker, Monsieur. Es sind nur fünf.« Gleichzeitig hörte sie in einiger Entfernung im Dschungel Rauschen und Krachen aufklingen. Und es kam rasch näher.

      Eines dieser plumpen Trampeltiere wäre jetzt eine schöne Ablenkung, dachte sie, rechnete aber nicht wirklich damit, dass ihr ein zweites Mal so ein Geschenk widerfahren würde. Auch die Sambolli hörten die Geräusche und tackerten sich aufgeregt unübersetzbare Worte zu.

      Doch das, was dann aus dem Pflanzengewirr hervorbrach, stellte alles in den Schatten, was sich die beiden Trooper vorgestellt hatten: Ein Ungetüm – halb Wurm, halb Tausendfüßler – senkte seinen mächtigen Schädel mitten über das immer noch brennende Lagerfeuer und ließ einen Schwall schleimigen Speichels darauf fallen, sodass die Flammen sofort erloschen.

      Bérénice deaktivierte die Sichel, da diese ihr im Augenblick sinnlos erschien; im Gegenteil: ihre Position in der plötzlichen Dunkelheit überdeutlich markierte. Sie packte Girard an einem Handgelenk.

      »Weg hier!«, schrie sie in die Finsternis und beide wandten sich zur Flucht. Hinter ihnen erklang das entsetzte Kreischen eines Sambolli, das abrupt endete, als ihm die Kreatur den Kopf abriss und mit grässlichem Knirschen hinunterschlang. Die beiden Trooper nahmen nur das Geräusch wahr. Es genügte, um sie weiter anzutreiben. Die anderen vier Sambolli waren gezwungen, sich dem unmittelbaren Gegner stellen zu müssen, während ihre schon sicher geglaubte Beute das Weite suchte.

      »Wir hätten die fünf vielleicht geschafft«, stieß Girard keuchend hervor. »Aber so ist es mir eindeutig lieber, Madame. Dieser Dschungel ist wirklich mörderisch. Es wäre in jedem Fall meine letzte Flucht gewesen.«

      »Die wievielte war es denn?«, presste Bérénice hervor und schlug einen unerwarteten Haken, der ihn fast umriss. Aber ihr Griff um sein Handgelenk war eisenhart.

      »Meine vierte.«

      »Sie sind verrückt, Monsieur. Wissen Sie das?«

      »Das denke ich jetzt auch«, gab er zu und Bérénice hatte trotz der Dunkelheit das Gefühl, dass er dabei lächelte. »Aber ich wäre lieber gestorben, als mich noch einmal fangen zu lassen.«

      Das Getöse hinter ihnen war durchsetzt von schmerzerfüllten Schreien, Krachen von Chitinpanzern und Geräuschen, die man als nichts anderes als zerreißendes Fleisch interpretieren konnte. Und keiner der Trooper hätte in diesem Augenblick sagen können, wer ihnen als Sieger aus diesem Kampf lieber gewesen wäre. Urplötzlich trat Stille ein. Unwillkürlich blieben sie stehen und lauschten in die Nacht. Keiner der beiden konnte abschätzen, wie viel Distanz sie inzwischen zum Kampfplatz zurückgelegt hatten. In Bérénice keimte die Ahnung, dass sie vielleicht nicht groß genug war.

       Wenn dieses Vieh der Sieger ist, hoffe ich, dass fünf Sambolli es satt gemacht haben.

      Sie drehte sich um und wechselte ihr HUD auf Wärmebildmodus. In etwa 40 Metern Entfernung wand sich das Monster. Bérénice konnte nicht erkennen, ob es noch fraß oder sich aufgrund erlittener Wunden krümmte. Doch was sie nach wenigen Augenblicken erkennen konnte, war, dass sich das Vieh wieder in Bewegung setzte.

      In ihre Richtung.

      »Laufen Sie, Girard! Das Mistding scheint noch Appetit zu haben.«

      Wieder packte sie ihn an einer Hand und zerrte ihn mit sich. So gut das HUD und die Sicht damit auch waren: Der Dschungel und dessen sprichwörtliche Undurchdringlichkeit – ausgerechnet in diesem Teil –, hielt sie auf. Das Untier nicht.

      »Wäre es Tag, könnten wir uns teilen«, schlug Girard unerwartet vor und wollte sich aus ihrer Umklammerung lösen. Doch sie packte nur fester zu. »Und das Vieh damit vielleicht ein wenig verwirren. Aber jetzt ... hat es uns gleich. Lassen Sie mich los. Madame; ich stelle mich ihm.«

      »Vergessen Sie es, Monsieur; das wäre Selbstmord«, schrie sie durch das Bersten von Stämmen und regenschauerartigem Rauschen zerfetzter Lianen, Blüten und Blattwerk. »Ich kämpfe gegen dieses Monster. Ich bin besser in Form als Sie und zudem ordentlich bewaffnet.«

      Bevor er dagegen protestieren konnte, schubste sie ihn heftig zwischen zwei Baumriesen, versicherte sich, dass er dort einigermaßen geschützt war, und hatte blitzschnell wieder ihre beiden Waffen in den Händen. Als hätte das Vieh nur darauf gewartet, krachte sein Schädel über ihr durch die Baumkronen. Nur schwach sah sie eine Handvoll Sterne in der Lücke schimmern, den Rest nahm das Untier in Beschlag. Plötzlich stutzte Bérénice. Der riesige Kopf taumelte ein wenig hin- und her.

      Ist es relevant verletzt? Doch dann drehte das Ungeheuer den Kopf und das Sternenlicht beleuchtete sein Gesicht. Es ist blind!, durchfuhr es Bérénice. Trotzdem wird es uns finden …

      Und schon stieß der Kopf geradewegs auf sie zu.

      TOTOTOTTOCKKK!

      … erklangen einen Herzschlag später vier Detonationen, zerrissen den Vorderteil des Monsters in Dutzende mannsgroße Brocken. Ekelerregende Gewebeteile und Blut spritzten auf die Agentin herab. Das Tier fiel in sich zusammen, wie ein Fesselballon, dem man schlagartig das Gas entzogen hatte. Der Mund Bérénices stand offen und sie dankte den Helmkonstrukteuren, dass dessen Entwickler die Atemöffnungen so konstruiert hatten, dass sie nichts davon in den Rachen bekam. Allein der Geruch ließ sie würgen.

      »Sind Sie wohlauf, Agentin Savoy?«, erklang Freitags feinmodulierte Stimme. »Müssen Sie sich übergeben?«

      Wie immer hatte Bérénice den Eindruck, echte Besorgnis in der Stimme des Kampfroboters erkennen zu können.

      »Hatte ich dir nicht befohlen, an Bord zu bleiben? Ein BEHEMOTH wirkt in diesem Dschungel wie eine Lärmkanone.«

      »Nachdem die Beobachtungssonde den Sambolli-Jagdtrupp entdeckt hatte, war Ihr Befehl obsolet geworden. Trooperin Naya hatte mich ohnehin seit Ihrem Weggang bedrängt, Ihnen in einem gewissen Abstand zu folgen. Ich beschleunigte mein Vordringen allerdings erst, als ich dieses Lebewesen aus dem Boden brechen und die Sambolli verfolgen sah. Eine mittelbare Bedrohung Ihrer Person war in unzumutbare Höhe gestiegen. Ich kam also gerade noch rechtzeitig.«

      Bérénice wischte sich die Reste der Bestie vom Körper und grinste. »Schon gut, Freitag. Ich danke dir  wieder einmal  für mein Leben.«

      Dann trat Laurent Girard aus seiner Deckung. »Agentin?«

      Bérénice winkte ab. »Später, Monsieur.«

      Der wackelte in indisch anmutender Manier mit dem Kopf. Seine übliche Geste, wenn er einer Sache keinen Glauben schenken wollte. Die Bewegung hatte er sich von einem Kameraden indischer Abstammung abgeguckt, der längst gefallen war. Bérénice wusste, dass Girard sich damit die Erinnerung an den Freund erhalten wollte. »Ich glaube es nicht: ein Kampfroboter auf Samboll?«

      »Der gehört mir.«

      »Zu Ihrer Einheit, Madame?«

      »Nein, ich meine es, wie ich es sagte: Er gehört mir ganz allein.«

      Laurent Girard erwiderte nichts darauf, sondern starrte abwechselnd zwischen dem Kadaver des Monsters und dem BEHEMOTH hin und her.

      »Jetzt sollten wir aber wirklich verschwinden, Monsieur«, wiederholte Bérénice ihre früheren Worte. »Wenn wir nicht Teil des Festmahles werden wollen, das hier in wenigen Augenblicken startet.«

      Girard nickte nur, packte seinen einfachen Speer und bildete fast automatisch die Mitte der Gruppe, deren Spitze der Roboter einnahm. Bérénice sah Girard ein paar Minuten beim raschen Marschieren