Werner Karl

Aevum


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dass sie ihn medizinisch behandeln würden. Aber wir haben uns getäuscht …« Wieder unterbrach er sich und zeigte Naya eine leicht abwesende Miene, die sie auch ohne Scan vermuten ließ, er sähe das Gesicht des Arztes vor sich. »Er starb an diesem scheiß-kyllranischen Narbenkrebs. Der hat ihn innerlich zerfressen.«

      Plötzlich lächelte er und sah Naya mit einem Ausdruck an, der getränkt war von Mitleid und Dankbarkeit. »Ich war die ganze Zeit in der Baracke, die er seine Krankenstation nannte. Leider starb er vor meiner vollständigen Genesung und ich musste wieder in meine alte Unterkunft. Kurz vor seinem Tod brabbelte er ständig vor sich hin und gab völlig unzusammenhängendes Zeug von sich … Essigbusch und Faustfliegen kamen häufig darin vor und Katana. Wissen Sie, wer oder was Katana sein könnte?«

      Naya war für einen Moment wie weggetreten, sagte aber zunächst nichts. Offensichtlich hatte Girard das Schwert ihrer Freundin nicht als ein japanisches Katana erkannt. Nach ein paar Sekunden knüpfte sie scheinbar ohne Aufregung an seine Frage an. »Fragen Sie Nice danach. Sie wird es Ihnen erklären. Und Ihre dritte Flucht?«

      »War vor etwa einem halben Jahr. Wieder nur ein Tag, bis sie mich hatten. Ein paar Schnitte mehr auf meiner Brust.«

      »Sie sind ein Dickkopf, Monsieur.«

      »Ja, so sind wir Franco-Kanadier. Wenn wir uns etwas in den Kopf setzen, ziehen wir es durch.«

      »Und jetzt schließlich Ihre letzte Flucht. Sie waren dieses Mal nicht allein. Immerhin …«

      »Zu Beginn waren wir tatsächlich zu sechst. Aber wir hatten im Prinzip keine Ahnung, auf was wir uns einließen. Meine bescheidenen Erfahrungen waren nicht dergestalt, dass man daraus Vorteile hätte ziehen können.«

      »Wie haben Sie Ihre Kameraden verloren?«

      Ein Schatten huschte über das Gesicht Girards und es war offensichtlich, dass er wusste, dass er jetzt wie der Tod selbst aussah. »Peter wurde von einem dieser mistigen Flugaffen geholt. Zwei andere starben an Stichen irgendwelcher Insekten. Die Einstichstellen verfärbten sich binnen Minuten zu schmutzig braunen Eiterherden. Als sie aufbrachen, schrien sie vor Schmerzen und kratzten sich die Wundherde auf, dass ihr Blut nur so hervorschoss. Michaili packte in der gleichen Nacht der Wahnsinn. Er sprang plötzlich auf, brüllte herum und rannte so schnell in den Dschungel, dass wir ihn nicht mehr fanden. In der Nacht hörten wir ihn aus verschiedenen Richtungen schreien … bis ein Fauchen erklang und danach … nichts mehr.«

      »Und Ihr letzter Gefährte?«

      Girard zuckte mit den Schultern. »Vor drei Tagen verschwand er einfach. Ich kann nicht sagen, ob ihn etwas aus dem Dschungel geholt hat oder ob er einfach davonlief. Ich schlief, da er die Wache hatte. Als ich erwachte, war er weg. Einfach weg.«

      Naya und Girard verfielen anschließend in nachdenkliches Schweigen. Beide waren in Erinnerungen versunken und hatten nur mit einem Ohr Bérénice und den Mazzar zugehört. Als jetzt auch die ihre Diskussion beendeten, herrschte Ruhe in der eng besetzten Zentrale.

      Bérénice hatte zwar gesehen, dass sich Naya und Girard unterhalten hatten, aber nichts vom Inhalt mitbekommen. »Es steht außer Frage«, begann sie, »dass wir nicht einfach zum Lager gehen und Saddis-til-saddis erklären können, der Krieg sei vorbei. Das würde er uns nie glauben. Die Gefahr, dass alles in einem Gemetzel endet, kann ich förmlich riechen.« Sie zuckte enttäuscht mit den Schultern. »Selbst unsere beiden Pazifisten sehen ein, dass die Sambolli mitunter sehr stur sein können. Und gerade unser Lagerkommandant scheint hier ein Paradebeispiel abzugeben. Hat also einer von euch eine Idee, wie wir einen Kampf vermeiden könnten?«

      Zu ihrer Überraschung antwortete Girard sofort. »Ja, habe ich, Madame.«

      »Ich hoffe, eine, die wir nicht bereuen werden«, warf Bérénice ein.

      Girard lächelte sie in einer Mischung aus Charme und unbarmherzigem Willen an. »Wir müssen zurück zu meinem letzten Lagerplatz. Und ich muss mich wieder in einen Barbaren verwandeln.«

      Februar 2317

      Knapp eine Stunde später – die Sonne hatte gerade die Hälfte ihres Weges zum Zenit zurückgelegt – ließ ein durchdringender Schrei die übliche Geräuschkulisse des Dschungels verstummen. Ein paar Sambolli-Wärter ruckten aus ihrem Dämmerzustand auf und blickten sich um. In nur dreißig Schritten Entfernung zum Lager, gerade noch am Rand der mühsam von den Gefangenen gerodeten Freifläche, stand der Mann, den seine Verfolger vor einigen Tagen angeblich nicht gefunden hatten. Seltsamerweise schien niemand bei den Sambolli darüber verwundert zu sein, dass auch der Suchtrupp bislang noch nicht wieder aufgetaucht war. Doch das halbe Dutzend Wärter und fast fünfzig der Gefangenen, die sich gerade außerhalb ihrer Hütten aufhielten, ahnten, was mit den Jägern geschehen sein könnte, als sie die Gestalt näher in Augenschein nahmen.

      Spacetrooper Laurent Girard stand hoch aufgerichtet da, vier Sambolli-Hellebarden lässig auf der linken Schulter als Bündel balancierend und eine fünfte in der rechten Faust haltend. Er trug wieder seine Fetzen. Die einzigen, die von seiner Gefangenenkluft übriggeblieben waren. Sein Haar hing wirr um den Kopf und sein ganzer Körper war bedeckt von Schweiß, Pflanzenresten und Dreck. Selbst auf seine Kameraden, die sich binnen Augenblicken zu einer großen Menge zusammenfanden, wirkte er wie ein prähistorischer Krieger, der seine Gegner herausforderte. Keinem fiel auf, dass sein Bart seltsam gepflegt rasiert war. Der Rest seiner Erscheinung verwischte diese einzige Spur, die hätte verraten können, dass er nicht direkt aus der grünen Hölle hinter ihm kam.

      Auch die Sambolli wurden zahlreicher, als das insektoide Getacker der ersten Wächter die übrigen erreichte. Binnen einer Minute versammelten sich alle Wärter des Lagers und starrten auf den einzelnen Mann. Allein die Waffen  besser das, was der Besitz in den Händen eines Menschen bedeutete  hielt sie vorläufig davon ab, den Mann einfach anzugreifen und niederzumetzeln.

      Die Sambolli achteten alles hoch, was massiver als ein Chitinpanzer oder das härteste Edelholz ihres Planeten war. Erzabbau, dessen Verhüttung, geschweige denn Verarbeitung, war ihnen so fremd, wie es der fernste Stern am Himmel über Samboll nur sein konnte. Dieser Umstand hatte es den ersten Maz-zar-Kontaktern erleichtert, die Insektenabkömmlinge als Vasallenvolk anzuwerben und als willige Erfüllungsgehilfen für Arbeiten auszunutzen, die sie selbst nur ungern erledigt hätten. Geschmiedete Klingen standen daher bei allen Sambolli-Fürsten hoch im Kurs. Im Grunde Glasperlen gegen harte Arbeit. Nur verdiente Krieger erhielten von den Mazzar eine dieser hellebardenähnlichen Waffen. Und keiner, der so eine Klinge besaß, würde sie freiwillig aus seiner Hand geben. Ergo mussten die ehemaligen Besitzer der Hellebarden allesamt tot sein. Womöglich umgebracht von diesem einen Mann, der sich seiner Wirkung auf seine ehemaligen Wärter nur zu genau bewusst war.

      Bevor sich die Sambolli eines Besseren besinnen konnten, stieß Girard einen neuen Ruf aus.

      »Black Ice!«

      Dann rammte er die Waffe in seiner Rechten in den Boden, packte eine der Klingen von seiner linken Schulter und warf sie vor sich auf die Erde. Die mittlerweile vollzählige Menge der Gefangenen riss ihre Augen auf und schien ihren Ohren nicht glauben zu wollen. Jeder von ihnen kannte den Kampfnamen ihrer Trooperkollegin, von der sie natürlich annahmen, sie sei längst dem Dschungel zum Opfer gefallen. Doch die Gestalt und sein Ruf verkündeten eine andere Botschaft. Die Sambolli kannten weder den Namen noch dessen Bedeutung. Aber als Herausforderung verstanden sie ihn sehr wohl.

      »Black Ice!«, schrie Girard und donnerte die zweite Waffe den Sambolli vor die Füße.

      Aus mehr als einhundert Kehlen brandete der Ruf wie ein Echo zurück und trieb die Sambolli-Wärter einen Schritt nach hinten. So etwas hatten sie noch nie erlebt.

      Noch zwei Mal wiederholte sich der zum Schlachtruf mutierte Name der Trooperin. Bereits nach dem zweiten war auch Lagerkommandant Saddis-til-saddis aufgetaucht und hatte mit deutlichem Entsetzen die Waffen betrachtet. Er hatte sofort verstanden, dass seine fünf Jäger nie wiederkehren würden.

      Die letzte Hellebarde nahm Laurent Girard wieder in seine rechte Faust.