Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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das war mir schnell bewusst geworden, ist eine geduldige Zuhörerin. So wie ich sie damals einschätzen durfte, hatte sie an dem Tag kaum einen Lacherfolg zu verbuchen gehabt. Da fiel mir plötzlich der andere von der Schaffnerin erzählte Witz wieder ein. In einem millisekundenlangen mundtoten Augenblick der redefreudigen, immer noch bestens gelaunten Tischrunde, schmetterte ich mit voller Lautstärke, selbstverständlich nur in der löblichen Absicht, meine Tischnachbarin aufheitern zu wollen, den mir ins Gedächtnis zurückgekehrten Blondinen Witz in die entgeisterten Gesichter.

      „Warum haben Blondinen keine Eiswürfel im Kühlschrank?“

      Minutenlange Stille des Nachdenkens trat ringsum ein. Auch die nebenansitzenden hartgesottenen Männer der Bauernschnapserrunde, zwei davon mit Hut bedeckt, damit die darunterliegende Glatze keinen Widerschein auf den Gegenspieler werfen konnte, nützten die willkommene Spielunterbrechung zum Schwindeln.

      Das Mienenspiel von der blonden Marianne neben mir veränderte sich anschaulich – positiv – wie ich damals erkennen durfte. Ja, wie soll ich Dir das am besten begreiflich machen: Einfach so. Ihre Lachfalten traten deutlich hervor. Sie gewannen auf dem sonst glatt polierten, von Schönheitscremen gepflegten Gesicht eine bedrohliche Tiefe. Das eben noch Melancholische flog bis hinüber zur Theke, wo der Walter Winkelmeier inzwischen seine Ohren zu einem Außerirdischen zugespitzt haben musste. Weil er trat nämlich ungeduldig von einem Bein auf das andere, quetschte seine Oberschenkel zusammen, als ob ihm ein unaussprechliches Bedürfnis zu überrollen schien. Er wollte aber von unserem Witz nichts verpassen. Das Drängen auf die Pointe war die allgemeine logische Schlussfolgerung und die wurde vehement von mir verlangt.

      Was soll ich sagen. Inzwischen waren sicherlich sechzig Sekunden oder gar schon eine Minute vergangen. Die Pointe schien mir irgendwie verloren gegangen zu sein. Um eben Zeit zu schinden, wiederholte ich die Frage noch einmal.

      „Warum haben Blondinen keine Eiswürfel im Kühlschrank? Na ja, ist doch klar.“

      Die Pointe war wie ein Blitzgewitter aus mir herausgesprudelt. „Sie haben das Rezept verloren!“

      Marianne, obwohl blond, aber nicht naturblond, wie sie mir später im Vertrauen und zu meiner Bestätigung zugeflüstert hatte, lachte sich auch so was Ähnliches wie einen Holzfuß, diesmal aber mit Schanierln. Zumindest tat sie so, als wäre ihr einer angewachsen.

      Die vier Bauernschnapser hingegen waren bitter enttäuscht. Sie erwarteten einen deftigeren, nicht so einen abgestandenen Ladenhüter aus der verstaubten hintersten Schublade von irgendeinem Otto.

      Der Toni Kreiswagner, An- und Spielführer der Bauernschnapsergruppe, stotterte dann, wie schon allgemein befürchtet, auch einen Blondinen-Witz hervor. Die Pointierung desselben war so versalzen, dass beim Walter Winkelmeier, der gerade zur richtigen Zeit, offensichtlich wieder erleichtert, an die Theke zurückgekehrt war, seine blassgelbe Gesichtsfarbe auf Purpurrot gewechselt hatte.

      Alles in allem war der Caféhausnachmittag ein lustiger. Für mich gab es sogar einen freudigen Zuwachs. Wir, also die Margot, die Anita Reisenhübner und ich, nahmen Marianne als Neuzugang in unserem Freundeskreis herzlich auf. Diese Art von Zeremonie wurde verständlicherweise auch entsprechend gefeiert.

      Marianne sorgte dafür, dass ein frischaufgewärmter Topfenstrudel vom Vortag, von Walter Winkelmeier persönlich sowie mit besten Empfehlungen von seiner Frau Elisabeth aus der Küche, auf unseren Tisch serviert wurde. In aufmerksamer Reihenfolge wurde vom flinken Chefcafetier auch der vorletzte Schluck von meiner lauwarmen Lawuschibria entfernt und durch einen brühheißen Kaffee ersetzt. Ich vermute das geschah rein in der Absicht, die durchschnittlichen statischen Werte seiner Tageseinnahmen zu erhöhen und nicht wie Du vielleicht glaubst, aus reiner Höflichkeit.

      Bei der Marianne konnte ich bald darauf keine Niedergeschlagenheit mehr aus ihrem Gesicht ablesen. Sie gab sich redselig und erzählte nur so drauflos. Wir haben dann erfahren, dass sie seit vielen Jahren im Tauernklinikum arbeitet. Was sie dort genau tut, das weiß ich allerdings nicht mehr.

      Gemeinsam mit ihrem Mann Miloni wohnt sie sogar im selben Ort wie die Margot, nur rund vier Kilometer weiter talabwärts und dann gleich links hinauf, wo ein alleinstehenden Haus steht. Genau das Große, mit den hellgrünen Balkonen. So ein farbenverspieltes Bauwerk gibt’s dort ohnehin nur einmal. Und von dort ist es nur mehr zweihundert Meter geradeaus zu einem Mehrfamilienhaus einer Wohnbaugesellschaft. Und in diesem Haus im Hochparterre samt Balkon und Abstellraum wohnt das Ehepaar Marianne und Miloni. Angeblich würde man den Wohnblock schon von Weitem sehen, weil gleich daneben drei große weiße Birkenstämme die Schatten auf ihren Balkon werfen.

      Miloni soll ein fleißiger Baggerfahrer bei einer ortsansässigen Baufirma sein. Er ist kein Alkoholiker. Das betonte sie klar und deutlich. Und rauchen tut er auch nicht. Er soll auch nicht in fremden Teichen angeln und schon gar nicht mit einer anderen Frau. Regelmäßig kommt er abends, meist müde und ausgehungert und von oben bis unten voller Dreck, bei der Wohnungstür herein. Im Grunde genommen, ein überdurchschnittlicher langweiliger Typus von einem Mann.

      Miloni und Marianna haben zwei längst schon erwachsene Kinder und die haben auch ihre eigenen Familien. Die Tochter samt Ehemann sowie drei ihrer schulpflichtigen Kinder wohnen in Kroatien unweit vom Meer. Der Sohn lebt mit seiner zweiten Ehefrau in Wien, mittendrin in einem Häusermeer. Er ist Oberarzt im Allgemeinen Krankenhaus und zum Enkel aus seiner ersten Ehe fehle seit Langem der Kontakt.

      In dem Moment, wo sie uns Dreien ihre Familiengeschichte in Kurzform erzählt hat, wäre sie beinahe wieder gekippt und in eine Grube der Melancholie gefallen. Zum Glück griff ich blitzschnell zur Kuchengabel, stocherte ein Stück Topfentorte hinauf, führte diese zu ihren Lippen und habe auf diese Art und Weise professionell Erste Hilfe geleistet. Marianne lächelte wieder.

      Wahrscheinlich hatte sie in ihrem bisherigen Leben wenig zu lachen gehabt. Eine Gabel voller Topfen bewirkt in so einem Fall fast Wunder.

      Stell Dir vor, sie ist zirka fünfzehn Jahre jünger als ich und beinahe gleich alt wie die Journalistin Doktor Anita Reisenhübner. So gesehen ist die Margot demnach die Jüngste von uns vier. Aber mit dem kinnladen- und mundwinkelherunterhängenden Gesicht von der Marianne, aus dem noch vernebelte, trübsinnige Augen herausschauen, da muss man doch etwas unternehmen. Meist in solchen Augenblicken trat wieder einmal mein chronisches Helfersyndrom voll in den Vordergrund.

      Mir war es schon geraume Zeit bewusst. Dies freilich nur aus statistischen Überlegungen heraus. Ich glaube Du hast es natürlich auch bereits geahnt, dass so ähnliche Typen, wie die Marianne, die mit schräg nach unten gezogenen Mundwinkeln in der Gegend herumspazieren, gerademal ungeahnte Fähigkeiten besitzen. Sie sind sozusagen in der Lage, prophezeiende Erfolgsleitern im Schnellzugtempo emporzuklimmen. Anders ist es ja nicht ableitbar, warum solche Menschen, mit so einem Gesichtsausdruck hosenanzugtragende Bundeskanzlerinnen, nicht bei uns freilich, aber in anderen weniger entwickelten Ländern werden können.

      Bei der Marianne ist das selbstverständlich ganz was anderes. Sie leidet fallweise unter der Miloni-Depression, die immer dann bei ihr auftritt, wenn ihre Gedanken einen Spaziergang durch das Vergangene wagen. Ich bin nahezu überzeugt, das wäre einer der Punkte, die man erkennen und wo man mit einer frisch aus der Reinigung kommenden Therapie den Hebel auf Turbo verschieben sollte.

      Unsere gemeinsame Freundin Doktor Anita Reisenhübner ist nicht nur eine hervorragende freischaffende Journalistin und teilverantwortlich auch für die Bezirkszeitung, sie hatte sogar in den jungen Jahren einmal Pädagogik und Psychologie studiert. Danach hatte sie ihre Fähigkeiten als Lehrerin im Gymnasium in Mittersill unter Beweis gestellt. Und wie! Während unseres Gespräches hatte sie alleine die zündende Idee entwickelt, wie man der Marianne helfen wird können.

      Ein klein wenig abgelenkt durch Mariannes Neuaufnahme in unserem Freundinnenkreis war ich schon. Das gebe ich freimütig zu. Ursprünglich hatte ich ja vor, mit meinem einigermaßen hochintelligenten, mühsamst eingeübten Vorrat von schöpferisch Wertvollen am Tratsch-Markt hier am Caféhaustisch aufzuwarten. Schöpferisch deshalb, weil ich selbst eine Methode entwickeln konnte, wie man Kaspressknödln aus einem Topf mit Suppe ohne das Tischtuch mit Fettflecken zu verunzieren, in das tiefe Teller schöpft.

      Das ging erst, als