Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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und auch meinem Fahrrad einfach nicht mehr Einhalt gebieten. Also trat ich ebenso verrückt, wie die Zwei vor mir, in die Pedale. Meine inzwischen athletisch angeschwollenen Tretwerkzeuge wurden ja mit dem Sporthebelknopf bestens entlastet. Mit einer Leichtigkeit, eng mit einem Karacho verwandt, überholte ich die zwei Schnaufenden auf dem holprigen Almweg wie nichts. Als Erste, verstehst Du meinen Stolz, als Erste betone ich nochmals, fuhr ich durch den vergatterten Zieleinlauf direkt auf den Brunnen mit der wildgeschnitzten Brunnenfigur zu. Aus dem Maul dieser Wurzelgestalt floss unentwegt frisches kaltes Quellwasser heraus.

      Das kam nämlich so:

      Mir wurde hinterher erst bewusst, dass ich nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich, mein E-Bike zumindest für Notfälle auch zwei Bremshebel, nämlich einen vorne links und einen vorne rechts besitzt. Beim alten Rad hatte ich einen Rücktritt. Beim Elektrischen kannst Du zurücktreten, wie eine Irre, und du wirst Dich überraschen lassen müssen, wo ein geeigneter Landeplatz sein wird. Und der war mit meiner Geschwindigkeit sofort zugegen. Genau, der Brunntrog.

      Doch irgendwie und irgendwas ist da saublöd gelaufen. Ich hatte nämlich kein Reservegewand bei mir. Das ungewaschene stallerprobte T-Shirt vom Alm-Öhi, das ich danach anziehen musste, um eine Unterkühlung vorzubeugen, verbreitete eine ungewohnte Duftnote, die zu Chanel neunzehndreiviertel relativ naheverwandt gewesen sein dürfte.

      Bei mir ist das ganz was anderes. Wenn ich schon die Gelegenheit habe, einmal mit der allgemein bekannten Landluft in Berührung zu kommen, dann lasse ich freilich sämtliche zur Verfügung stehende Düfte auf mich einwirken.

      Ich weiß es eh, saublöd war das. Nicht einmal in der rechten Satteltasche hatte ich ein Erfrischungstuch oder so was Ähnliches zum Aufheitern eingepackt. Deine Frage ist ja berechtigt. Was soll man auf einer Alm, noch dazu mit einem E-Bike und mit einem kleinen Regenschirm anfangen? Wenngleich ich ohnehin – zumindest oberkörpermäßig betrachtet - bereits eine Tropffigur geworden bin. Aber das Quellwasser war trost- und kraftspendend. Einen Durst hatte ich ja obendrein. Da habe ich mir gedacht, wenn ich schon mal halb im Brunnen drinnen liege und halb draußen auf dem mit Steinen gepflasterten Boden stehe, dann nützte ich freilich die Gelegenheit und tu halt so, als ob das ganz normal ist, was ich hier veranstaltet hatte. Ich wollte für die spärlich vorhandene Öffentlichkeit nur das herrliche Quellwasser trinken.

      Wenn ich Dir so nebenbei einen guten Rat geben darf. Setze immer einen Helm auf. Der beschützt Dich und Deine Frisur immens, auch wenn Du nicht bei jedem Radausflug kopfüber in einen Brunnen fallen solltest.

      Außerdem ist so eine Schädelschutzvorrichtung auch als Trinkgefäß zu gebrauchen, was in meinem Fall nicht mehr notwendig gewesen war.

      Das wirklich Schlimme, zumindest für meinen Geldbeutel, kommt ja noch. Wir vier behelmten, dem Oldtimeralter sehr nahegekommenen Mädels haben vor unserer Abfahrt bei der Haltestelle Niederscherzl-Siedlung ausgemacht, dass diejenige, die als Erste am Brunnen vor der Almhütte ankommt, die Pfanne mit dem Kaiserschmarrn bezahlen wird müssen. Ein besseres beweisbares Ankommen hätte es aus meiner Sicht gar nicht geben können. Auch die Jurymitglieder waren letztlich überzeugt, dass nur ich die alleinige Siegerin am Brunntrog bei der Zwischenscherzerlalm sein kann.

      Die Abmachung war selbstverständlich ein totaler Schmarrn, weil Bankomatkarten wurden auf der Zwischenscherzerlalm nicht als Zahlungsmittel anerkannt. Eine Stundung kam nicht infrage, weil es zum einen auch keine Registrierkasse nicht gegeben hatte und zum anderen wollte ich einen Tag darauf nicht noch einmal so einen Almradlerwandertag zum Brunntrog der Erkenntnisse unternehmen.

      Die Rechnung insgesamt übernahm dann vorläufig für mich Anita Reisenhübner. Die war es ja dann auch, die mit ihrem Handy die schönen Fotos gemacht und diese dann ins Facebook gestellt hatte. Ich präsentierte mich ohne Helm, dafür mit einem stalltauglichen T-Shirt vom großväterlichen Kuhtreiber, mit der Aufschrift Pinzgauer-Milch. Nicht der Schweiß, sondern das Brunnenwasser, tropfte mir vom Gesicht und überhaupt meine Frisur war frischgewaschen. Klaro - ohne Lockenwinkler!

      Schau hinein, wenn´s Dich interessiert. Schlagzeile – Schani im Brunnen der Zwischenscherzerlalm sicher gelandet!

      Später daheim habe ich nachgedacht, warum eigentlich die Alm Zwischenscherzerlalm heißt. Sicherlich wegen der zwei Zwergfelsen, die vermutlich ursprünglich steinerne Findlinge gewesen sind. Wahrscheinlich stammen die Zwei aus der längst vergangenen Eiszeit. Dann sind sie irgendwie von oben heruntergekugelt und dann links und rechts am Talboden einfach so liegengeblieben. So könnte es gewesen sein.

      Aber vielleicht auch deshalb, weil der saublöde Brunnen zwischen dem Gatter und der Almhütte, geradlinig mitten im Einzugsgebiet, saumäßig ungünstig platziert worden war. Möglicherweise hatten die Erbauer sogar mit dem niederträchtigen, ja hinterfotzigen Gedanken gespielt, dass so manche Gäste es ohnehin nötig hätten, sich nach einem bekannten fernöstlichen Ritus, einer gewissenhaften körperlichen Reinigung zu unterwerfen.

      Selbstverständlich ist dieses touristische Angebot, das im Rahmen der Nationalparkförderung betrieben wird, ausnahmslos freiwillig und kostengünstig. Vor allem soll dieses kulturelle Sonderprojekt noch vor dem Genuss der kulinarischen Köstlichkeit eines wohlriechenden Kaiserschmarrns vollzogen werden.

      Und anstatt der Preiselbeermarmeladen-Zugabe wird letztlich als Draufgabe das kleine Anekdoten-Scherzerl über mich, nämlich die Erfrischung mit dem Brunnenwasser, recht zur Freude der Hüttenwirte und ihrer Gäste, und zwar seit dem Ereignis, mehrmals in der Woche vazöht.

      03 Auf dem verwickelten Tanzparkett

      Im Mühsal der Zufriedenheit

      stecken tausende Melodien.

      Welch´ eine Aufgabe

      sie zu ordnen.

      Es erfüllt mehr als ein Leben.

      Das Gedicht stand irgendwann einmal in einer Wochenzeitung. Natürlich auf einer Seite, die vermutlich sonst kaum jemand beachtet. Aber in mir haben die paar Zeilen - hier oben und da drinnen - wo manche meiner Nebendaherlebenden eine gähnende Leere aufweisen, ein ruhiges Platzerl entdeckt. Wahrscheinlich hat man auch nachgeholfen, damit in der zweitobersten Schublade die tragenden Gedanken dieser ungereimten Dichtkunst jederzeit für mich griffbereit sind. Und ordnungsliebend bin ich ja obendrein. Das weiß sogar die Margot.

      Wenn ich - nur ein Beispiel - nach dem Frühstück meinen Bleistift oder Kugelschreiber von der Raika irgendwo hinlege, dann kannst Du sicher sein, dass ich ihn vor dem Mittagessen – allerdings zwei Tage später - wieder finden werde. Wenn ich aber den Gegenstand mit all seinen unschätzbaren Werten dorthin lege, von wo ich ihn am frühen Morgen entnommen habe, dann mein Lieber ist auch das Suchen völlig zwecklos. In so einem Fall bin ich wirklich gezwungen, mich hinzusetzen und eine der obersten Schubladen meines Speichers in gedankenverlorener, ja hektisch gewordener Sanftmütigkeit, jedenfalls mir gegenüber, zu öffnen. Wenn es eine gute Übung gewesen war, dann werde ich wahrscheinlich mein Schreibzeug in den nächsten eineinhalb Monaten wieder finden.

      Verzeih bitte! Ich bin wieder einmal vom Thema abgeschweift und suche nun die Brücke, die mich in erreichbare Nähe zu meiner Willensbestimmung von vorgestern führen wird. Das gelingt mir zwar nicht auf Anhieb, aber irgendwie schaffe ich es dann doch, einige verwirrende Gedanken loszuwerden.

      Schwerfällig und gleichfalls genügsam ist mir die Vernunft entgegengekommen und gab mir stillschweigend einen Fingerzeig. Ich möge doch das in mir schlummernde Stillleben, jenes mit der Musik und dem Tanz, endlich zur Vollendung verhelfen. Den Druckpunkt meiner vergangenen Gemütsanlage bestimmte allemal noch die raffinierte Technik sowie ebenso meine vorwitzige Distanz, es ganz einfach Durchstehen zu müssen. Ihr stiller Ton ist mithilfe der Harmonika kleinlaut abgetreten. Jetzt dränge ich, es möge mir weiterhin gelingen im Geheimnis der Tanzkultur herumzuwühlen, um darin die Formen zu deuten und ihre Farben sehen zu lernen. In meiner verschwenderischen meditativen Betrachtung gewähre und schenke ich auch den schöpferischen Entscheidungen ihren berechtigten Raum.

      Diesen hier vorliegenden Abschnitt habe ich viel später geschrieben und ihn vorbeugend für eventuell auf mich zukommende Ungerechtigkeiten oder gar Unfälle eingefügt. Ich musste mich ja schützen