Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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einem Dirndlgwandl auf die Wiese, sondern zog eine reißfeste Jeanshose an. Übrigens das ist schon die zweite Hose, weil meine erste hatte einen Riss von diesen blöden Stacheln, und zwar an jener Stelle abbekommen, wo eventuell zufällig hinter mir gehende prominente Persönlichkeiten eine Art von Provokation erkennen hätten können.

      Na ja, das Wechselschrittelernen ging dann deutlich einfacher. Das konnte man auch in der frischen Luft, also am asphaltieren Weg sehr gut üben, ohne dass entgegenkommende Passanten sich von meinem Bewegungsrhythmus gestört hätten fühlen müssen. Weniger gut ging es auf Schotterwegen, insbesondere dort, wo zusätzlich noch größere Steine gelegen sind.

      Ich werde Dich gar nicht fragen, ob Du Walzer tanzen kannst. Nein, das werde ich gewiss nicht tun. Ich möchte mich Dir gegenüber nicht auch noch blamieren wollen. Reumütig gebe ich es ja zu, ohne dass ich meine Dummheit deswegen bloßstellen müsste, ich konnte es nicht. Hier schien der allgemeine Geduldsfaden bereits einem vierzig Millimeter dicken und zwanzig Meter langen Stahlseil ähnlich geworden zu sein. Einerseits pendelte die Gelassenheit vom Froschkopf daran und andererseits die Beharrlichkeit meiner Tanzlehrenden, die mich immer tiefer und tiefer in die Versuchung – du kannst es - hineingeführt haben.

      Die Walzermusik kannte ich wohl. Allein schon vom Kehricht Pauli, meinem Volksschulbegleiter, habe ich genügend Walzertakte mitbekommen. Der ja, wie Du sicherlich weißt, einen sehr verantwortungsvollen Job beim Burgtheater in Wien ausüben darf. Ansonsten habe ich nur aus der Ferne, oder übers Radio zum Beispiel, von Walzertakten gehört. Aber dass man bei einem Walzer- oder bei der in Verwandtschaftsverhältnis stehenden Polka unbedingt eigene und noch dazu verschiedene Schritte machen muss, davon hatte selbst ich keinen blassen Dunst nicht. Wobei man beim Walzer nicht unbedingt nur stur eins, zwei, drei – eins, zwei, drei, über den Tanzboden zu schweben hat. Nein, nein, beim Wiener Walzer musst Du schon ganz genau beim Auftakt aufpassen. Der geht nämlich so: Eins, zwei dann eine Pause zum Einatmen und dann erst drei. Also lernen und nochmals lernen stand da stets auf meinem Programmzettel.

      Solltest Du jemals in die Lage versetzt werden, was ich dir nicht wünsche, nämlich so wie ich, unvorbereitet mit dem angewärmten Tanzboden in Berührung zu kommen, also bildlich gesprochen, zwar nicht kopfüber dorthin katapultiert zu werden, dann, ja, ja dann musst Du Dich definitiv auch mit der Mathematik ein wenig auskennen. Dazu brauchst Du keine extra Formeln oder Gleichungen lernen. Nein so schlimm ist es auch wieder nicht. Du musst nur beim Walzertanzen mindestens bis drei zählen können und beim Polkatanzen ist dann vier die Grenze des Erreichten.

      Wenn Du es aber so machst, wie ich es am Anfang meiner Karriere gemacht habe, nämlich umverkehrt beim Walzer bis vier zählen und dafür bei der Polka bis zwei oder höchstens drei, dann liegst Du mit Deinem Tanzpartner daneben oder Du steigst ihm andauernd auf seine fünfundvierziger Fußbettsandalen. Jeder Zeuge wird dann ungeniert behaupten dürfen, dass Du von höherer Mathematik überhaupt keinen blassen Dunst hast.

      Ich finde es immer noch köstlich, wie sich alle drei, nämlich die Margot, der Herbert und mein Nikolaus Froschkopf, viele Stunden lang bemüht haben, mir in meinem Wohnzimmer Privatunterricht im Walzer- und Polka Tanzen zu erteilen. Damit wurde tatsächlich verhindert, dass ich nicht ganz und gar von den anderen Kursteilnehmern auf die Schaufel genommen worden bin. Das grenzte schon gehörig an die Belastbarkeit einer Freundschaft, das kann ich Dir sagen. Für diese Aufopferungen habe ich mich auch bei ihnen schon mehrmals bedankt.

      Gut oder nicht gut! Du hast es ja eben gelesen. Ich habe mein Nikolaus Froschkopf geschrieben! Er ist in meinen Gedanken vom unteren Dienstgrad als Nachbar, wenn man so sagen darf, gemächlich zu meinem Tanzpartner aufgestiegen und letztendlich wurde er sogar in meinem Freundeskreis aufgenommen. Das will was heißen.

      Damit ich es nicht vergesse. Eines muss ich Dir noch glasklar und ohne Verschnörkelungen mitteilen: Die Volkstanzpaare in unserer Gruppe sind lauter nette Menschen. Sie stehen einer Unbeholfenen, wie ich eine immer noch bin, fortwährend mit einem netten Lächeln hilfreich zur Seite. Und Geduld haben sie alle mit mir gehabt. Und so viel Geduld, glaube ich zumindest, haben sie immer noch.

      Mein Lieber, das hat´s auch gebraucht. Weil bei unserem vorletzten Kurs wurde ein Mehrfigurentanz einstudiert, die große Portionen von einem christlich engagierten Ernst und nicht von einer leger anmutenden Gaudi, von mir abverlangt worden war.All die anderen Profivolkstänzer in der Gruppe haben diese sauschwere Kost schon längst im kleinen Finger verdaut gehabt. Nur ich als blinde Anfängerin hatte ja wieder einmal keine Ahnung davon. Sogar meine Füße gehorchten kaum der Befehlsgewalten, die von außen her über die verschiedensten Lautsprecherorgane meiner Lehrbeauftragten in mein Gehirn hätten eindringen sollen. Aber nichts davon geschah hier oben bei mir.

      Nun war es wieder einmal so weit. Wie schon so oft in letzter Zeit befanden sich sämtliche Geduldsfäden auf dem technischen Prüfstand. Ganz genau wie zurzeit bei VW, aber nur geringfügig anders. Unsere vier Tanzlehrer und innen, alle waren sie tanzbodenerprobte Profis, gingen wegen mir an diesem Abend ganz bestimmt mit zwölf grauen Haaren mehr am Kopf nach Hause. Das kannst Du mir wohl glauben.

      Was bedeutete schon das Aschling unten durch? Oder die Wechselschrittfolgen? Oder gar die Walzer- und die Polka Schritte? Schließlich habe ich ja monatelang daran geübt und deswegen konnte ich auch hin und wieder spärlichen Zwischenapplaus einheimsen.

      Aber das ist gar nichts, gegen das alles überragende, verwickelt und verwoardackelte Durcheinander, das ganz gewiss ein bergbauender Pinzgauer aus lauter Enttäuschung über eine wahrscheinlich verschmähte Liebe erfunden haben muss. Anders ist es auch gar nicht vorstellbar. Schau mal her! Wie sonst soll ein anständiger, braver Mensch es Zuwegebringen, mit der Schönheit der Musik gleichzeitig physische Grausamkeiten derart zu vermengen, wenn nicht die Liebe in den Noten im Spiel ist. Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass der Notenkünstler beileibe niemanden, außer seiner Liebsten vielleicht, und schon gar keine Volkstänzer bewusstes Leid zufügen wollte.

      Nikolaus Froschkopf, und nicht nur er alleine, sondern auch Margot und der schlaue Herbert, hatten einen umwerfenden Ehrgeiz entwickelt. Sie setzten dem Spuk ein Ende und gleichermaßen der Einfachheit halber einen Termin bei mir durch, der als unumstößlich zu gelten hatte. Ich war ihnen quasi ausgeliefert. Einige aus unserem Tanzkreis hatten aber doch zumindest mir gegenüber Erbarmen gezeigt. So geschah es dann auch, dass ich den Bewegungsabläufen des frustriert verwickelten Pinzgauers langsam, aber konsequent immer näher gekommen bin und ihm sozusagen im Geheimen auf den sprichwörtlichen Leib gerückt bin und ihm sozusagen den Kampf angesagt habe.

      Aber wie Du weißt, der Teufel schläft nicht gern nur auf einem Bein. Vermutlich tat dies auch jener Pinzgauer nicht. In boshafter Weise strickte er quasi als Zugabe zu einer weiteren, wahrhaftig sehr schönen musikalischen Komposition, eine Unzahl von kaum in Bewegung zu haltenden Figuren hinzu. Diese seine Erfindung war zumindest anfänglich mit einer Verwicklung meines von Gott geschaffenen Knochengerüstes kaum mehr in Einklang zu bringen. Der Gute, nicht Gott, der andere halt, baute nämlich nach Meinung der Orthopäden absolut regelwidrige, für mich nicht mehr als jugendlich einzustufende Anfängerin, schwer auszuführende Knotensysteme ein, um den Genuss der Beschwerlichkeiten noch um einige Stufen höher hinaufschrauben zu können.

      Aus diesen Drehorgien, die meist mit schwer therapierbaren rauschähnlichen Charakterdarbietungen einherzugehen pflegen, entstand schließlich zuerst das Fenster rechts. Im Anschluss daran, mit einem professionell ausgeführten, aber drehverkehrten Schwung, das unglaublich faszinierende Fenster links. Danach kam mit einer unermesslich flotten Bewegung der Jochbergerdrehverschluss. Dann war der Kas gegessen.

      Frag mich bitte jetzt nicht, wie das formvollendete Fensterln mit Musikbegleitung auch noch tanzbar gemacht wird. Ich bin nämlich auf diesem Gebiet voll und ganz dem Nikolaus Froschkopf auf seine flüsternden Anweisungen ausgeliefert gewesen.

      Wahrscheinlich hast du recht, wenn Du denkst, dass diese Bosheiten für den Ausdenker der rhythmischen Volkstanzbewegungskultur, jedenfalls in meinem Fall denke ich, eine Blamage dargestellt hatte. Da kannst Du auch versichert sein, dass ich mich in Zukunft von solchen verwutzelten Verformungen nicht mehr verjagen und schon gar nicht ins Bockshorn jagen lasse.

      Den Landler, vermutlich auch von einem abgeblitzten Pinzgauer arglistig ausgedacht, haben wir vier