Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


Скачать книгу

hatte. Freilich hat sie einiges auch angesprochen, über das ich nicht bereit bin, auch nur Fragmente dieser Wortfetzen in einem Zwischenraum meines Tagebuches einfließen zu lassen. Bernie verwendete halt ihre kindgerechte Sprache. Fallweise ist auch auf der Dialektebene ausgerutscht. Mein Gott was soll´s. Diese sprachlichen Rutschpartien habe ich ohnehin, soweit es mir möglich gewesen ist, in ein verständliches Tohuwabohu umzuwandeln versucht, aber ihr keinesfalls eine verfremdete Sinndeutung gegeben.

      „Du weißt es ja, Oma Schani (Oma Schani sagt sie, seit sie sprechen kann zu mir), ich mag ja deinen Marmorkuchen sehr gerne. Kann ich bitte noch ein kleines Stück davon haben?“

      Bernie zeigte mir mit ihrem rechten kleinen Zeigefinger und dem noch kleineren Daumen daneben, einen Zwischenraum andeutend von vielleicht drei vier Zentimetern.

      „Die Mama und die Oma sind eh nicht da. Weil übermorgen werde ich nämlich fünfeinhalb Jahre alt. Das hat mir meine Mama gesagt! Eigentlich gehe ich furchtbar gerne gar nicht mehr in den Kindergarten. Aber dem Papa und der Mama, auch meinen zwei Freundinnen und dem Baldi sowieso, erzähle ich halt gerne meine Erlebnisse. Ja, ja, freilich dir auch.

      Dem Pauli interessiert das gar nicht, wenn ich vom Kindergarten mit ihm reden möchte. Der verkriecht sich in seinem Zimmer und macht angeblich seine Schulaufgaben. Das sagt er jedenfalls der Mama und ich muss ihn daher in Ruhe lassen. Dass ich nicht lache. Dir Oma Schani darf ich es ja sagen. Und du versprichst mir hoch und heilig, dass du es niemanden weitererzählst. Versprochen?

      Danke, dass ich mit Dir über meine Geheimnisse reden darf. Weißt du, der Pauli versteckt sich unter seinem Stockbett und dort spielt mit dem Tablet vom Papa. Das weiß ich ganz genau. Wenn der Pauli in der Schule ist, dann klemmt er vorher das Ding von unten zwischen die Matratze und dem Holzdingsbums ein. Niemand kann es sehen. Nur wenn man unters Bett kriecht, so wie ich, dann schon. Und der Papa sucht schon die längste Zeit sein Tablet. Ich hätte es ihm ja schon sagen können, wo es steckt, aber er gibt mir keine Belohnung für meinen Deut. Der Pauli schon. Er hat mir für mein Schweigen zwei Euro geschenkt, das müsste der Papa schon mit einem Fünfer überbieten, damit ich ohne schlechten Gewissen meinen Bruder verpetzen kann.

      Also schau Oma Schani!

      Im Kindergarten tun sie alle so, als wären sie sehr nett zu mir. Fast alle - das stimmt ja dann auch wirklich. Nur die Marika, die blöde Kuh, und der Sven sind doof. Denen zwei verstecke ich dann hin und wieder ihre Hauspatschen und lege sie einfach nur ins Schuhregal im Oberstock ab, wo die andere Gruppe der Ganzkleinen spielt. Die suchen dann wie verrückt und auch unsere Kindergartentante schimpft dabei.

      Aber nur eine Kindergartentante bei uns ist immer grantig. Sie heißt Berta und schaut jedes Mal so Berta-böse drein, wenn jemand von unserer Gruppe nur so aus Spaß Tante Berta ruft. Oder etwas tut, was ihr gar nicht passt. Lange Nase machen, das gefällt ihr gar nicht. Oder gar die Zunge herausstrecken. Ich weiß, das tut man nicht. Ich tue es auch nur bei Notwehr. Schau wir müssen uns doch auch wehren. Oder? Danach schaut Berta noch böser drein und schlackert wie eine Wilde mit ihrem klappdürren Zeigefinger. Nur wenn’s ganz arg laut zugeht, dann schüttelt sie sogar ihre Faust pfeilgrad in die Höhe. Aber mit mir schimpfen tut sie eh nicht mehr. Das hat ihr der Papa beim Elternsprechtag verboten, sagt er.“

      Eigentlich wollte ich Bernie nicht unterbrechen, aber sie hatte offensichtlich mit einer inneren Wut auf die Berta, mit einem heftigen Zug den Kakao ausgetrunken. Gleich darauf wollte ich ihr schon nachschenken. Sie kam mir aber zuvor und unterbrach ihre Erzählung nur mit einem Satz:

      „Oh ja, bitte ein paar Schluck Kaukau mag ich auch. Danke. Aber dein Kuchen ist einsame Spitze. Die Oma da unten kann das nicht so gut und der Opa …? Das weiß ich nicht, ob der überhaupt Kuchenbacken kann. Er bekommt ja von der Oma nicht sehr viel Kuchen. Ich auch nicht.

      Da ist schon die Manuela eine ganz andere. Weißt du, die ist nicht so groß wie die andern drei Tanten, weil sie immer am Boden mit uns herumrutscht. Ihre Jeanshose hat wahrscheinlich deshalb schon mehrere Löcher. Ihre beiden Knies schauen nackert heraus. Die Mama sagt, das sei modern jetzt. Ich weiß nicht so recht. Die Manuela lächelt uns Kinder den ganzen Vormittag an. Weil am Nachmittag bin ich sowieso nicht da. Und gerade am Nachmittag soll sie nervöser werden, so sagt das halt der Baldi. Und der Baldi ist mein Freund, weißt du. Und der muss halt bleiben …

      Na ja, eine richtige Tante soll die Manuela auch noch nicht sein. Sie wurde noch nicht getadelt oder wie das heißt. Jedenfalls darf sie alles im Kindergarten tun. Auch mit der Gitarre spielen. Das kann sie so gut und sie singt auch mit uns. Und die Tante Berta kann das gar nicht. Singen meine ich. Sie krächzt nur zum Gaudium von uns Kindern herum. Dann wird sie gleich noch böser und stampft davon. Berta ist auch viel älter als die Manuela. Und nächstes Jahr wird sie die Chefin sein. Die Manuela meine ich.

      Ja, ja der Kaukau ist spitze Oma Schani. Kann ich noch einen Schluck Wasser drauftrinken. Danke.

      Aldi ist auch in meiner Gruppe. Eigentlich heißt sie Aldilina und kommt von ganz weit her. Sprechen kann sie, sag ich dir, sogar eine ganz andere Sprache. Wir Kinder verstehen sie ganz gut, wenn so herumdeutelt. Manuela auch. Nur die böse Berta hat kein Verständnis. Aldi redet halt ein bisschen komisch Deutsch. Einmal komisch war sie auch in der Pause. Sie musste aufs Klo. Und ich auch. Wir gingen dann zusammen ins Mädchenklo. Aldi lief gleich ganz aufgeregt hinaus aus dem – wie heißt man den das nur – aus dem Klo natürlich. Sie sagte irgendwas Komisches und meinte hinter dem – Du weißt schon – steht ein Igel.

      Manuela begann laut zu lachen. Nein, nein, Oma Schani, sie musste sich sogar den Bauch halten vor lauter Lachen. Geweint hat sie auch nebenbei. Ich und Aldi wussten nicht warum. Manuela erklärte dann der Aldi das ist doch kein Igel nicht, sondern ein Klo Besen. Aldi war ganz blass geworden und sagte zur Manuela, die Mama macht das bei ihr immer mit dem Papier. Daraufhin musste die Manuela von der Tante Greti abgelöst werden.

      Wir sind ja die Schneckerl-Gruppe. Weißt du, an der Tür hängt eine Riesenschnecke mit einem riesigen rosaroten Schneckenhaus und mit einem Sattel obendrauf. Da könnte man sich hinaufsetzen, wenn es eine wirkliche Schnecke gewesen wäre. Aber es ist nur ein Bild – schade.

      In unserer Gruppe ist auch die Tante Greti dabei. Sie wohnt im Kindergarten obenauf, und wenn sie stressig ist, dann hat sie noch so groooße grüne und orange Lockenroller und auch Mikadostaberl im Haar drin stecken. Einmal hat sie der Baldi so der Hand gezupft und gefragt: Tante Greti wie viele Fernsehprogramme kannst du mit deiner Antenne empfangen ...?

      Da haben wir Mädchen alle laut gelacht und den Baldi aufgeklärt. Weil er als Bub kannte diese Haarverdrehspielereien überhaupt gar nie nicht. Weißt Du, seine Mama Rita, hat extrem kurze Haare und manchmal sind sie auch noch rot. Na ja, sooo rot nicht, eher sogar dunkelrot bis lila. Im Sommer sind sie sogar grellgrün. Der Papa meint dann ihre Haare wären ein Futter für die Elefanten. Weil sie so groß auch noch ist. Sie bringt den Baldi selbst alle Tage mit dem Auto zum Kindergarten. Nur abgeholt wird er meistens von seiner Oma.

      Du Oma Schani!

      Obwohl ich nicht sehr gerne in den Kindergarten gehen will, taug´s ma do scho a. Ich kann mit den andern Kindern herumtoben und tanzen, so wie ich möchte und werde nicht von vorne bis hinten immer nur bemuttert und bemuttert und bemuttert. Freilich darf ich dort im Kindergarten-Garten auch herumlaufen und werde nur ab und zu von der Manuela eingebremst. Weil draußen steht sie ja herum, passt auf und raucht auch manchmal ganz heimlich eine Zigarette. Das tut sie aber nur wegen der lästigen Bremsen, sagt sie. Und deswegen glaube ich halt, ist sie auch viel größer als drinnen.

      Doch der Papa sagt … ja bitte ein Schluck Wasser, mein Mund trocknet schon fast aus … der Papa meint, Zigarettenrauchen darf man eigentlich im Kindergarten nicht. Auch nicht wegen der Bremsen. Ich tu das sowieso nicht und der Baldi hat das bestimmt auch noch nie probiert.

      Laura heißt sie. Sie ist meine Freundin. Der Baldi mag sie auch, aber nur wegen ihrer Puppe. Die heißt auch Laura und hat hinten einen gelben Stern auf ihrem Kleid. Nein, die raucht sowieso nicht. Puppen können das doch gar nicht.

      Normalerweise braucht die Manuela das auch nicht tun. Also mich einbremsen, meine ich. Weil manches Mal bin ich sogar ein folgsames kleines Mädchen, das sagt sogar