Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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      Konkret würde dies bedeuten, dass ich mir gleich einmal beim Lutz im Ausverkauf einen preisgünstigen Teppich aussuchen werde müssen. Jawohl das wusste ich glücklicherweise schon im Voraus, weil das war ja ein Teil meines Planes. Doch dann werden, abgesehen vom Mobiliar, in der weiteren Folge eine ganze Menge an sündteuren Anschaffungen notwendig sein. Vielleicht wird es sogar unumgänglich, mir nigelnagelneue Vorhänge zu kaufen. Ja mein Gott und noch was! Die Tapeten müssten auch ratz-fatz weg. Stattdessen müsste ich zwei Kübeln weiße Farbe zum Ausmalen nachhause schleppen und nicht zuletzt würde ich zum billigen Ramschteppich auch noch die farblich angepasste Bettwäsche hinzu budgetieren müssen.

      Also gut! Nach dem ich die Kursgebühr bar auf den Tisch gelegt hatte, trat unverzüglich ein ähnliches Szenario, wie zuvor der Gedanke von der Schlafzimmerveränderung, auf die Bühne meiner Vorstellung.

      Eines dieser Unvorhersehbarkeiten ragte von der Mehrheit der gesamten Hindernisse himmelhochweit hinaus. Ich hatte schlicht und ergreifend noch keinen Tanzpartner! Ich brauche also unbedingt einen wildfremden Mann, der sozusagen die Befähigung als Tänzer bereits mitbringt. Nur so einer könnte mich mit Gefühl und dem vorzusetzenden Können, Arm in Arm herumführen und meinen noch viel wichtigeren O-Haxn gebotene Disziplin beibringen.

      Also es musste unabdingbar ein männlicher Partner sein. Und dann frage Dich so ganz zahm und wertfrei! Bitteschön woher nehmen, wenn nicht Kidnapping?

      So schaut’s aus, meine lieben Leute! In meinen paar darauffolgenden schlaflosen Nächten geisterte es bei mir ordentlich, um nicht zu sagen, höchst dramatisch in meinen Traumlandschaften herum. Sämtliche verfemten Bildgestalten zerstörten in brutaler Art mein eingefleischtes Singleleben.

      Und Du weißt es ja! Und rührst keinen Finger nicht!

      Stur bin ich obendrein, aber das wissen nur die Wenigsten. Das musst Du schon verstehen, irgend so ein dahergelaufenes Mannsbild wollte ich auf keinen Fall buchen. Dann kam mir auf einmal Mister Zufall, diesmal ohne Krawatte und überdies glattrasiert, in die Quere.

      Zumal ich all das viele Monate lang, ja beinahe zwei Jahre, auch vor Dir geheim gehalten habe, kannst Du meinen damals tanzpartnerschaftlichen Wertzuwachs gar nicht erahnen. Wenn ich Dir einen guten Rat geben darf, dann bitte suche Dir irgendwo in Deiner nächsten Umgebung eine Sitzgelegenheit und platze Dich vorsichtig darauf nieder. So!

      Eines weiß ich! Du kennst ihn schon, meinen leserbriefschreibenden Nachbarn Nikolaus Froschkopf.

      Im Zusammenhang mit meinen unerfüllten Träumen betrachtet, war er vielleicht das Resultat einer niemals suchenden Eigenschaft. Irgendwann dürfte ihm irgendwer auf der Straße oder gar während einer Fahrt mit der Pinzgauer Bahn zugeflüstert haben, dass ich einen Volkstanzkurs besuchen möchte. Der zentrale Angelhaken an der Geschichte war, für ihn zumindest, dass ich mit einer Entschlossenheit, sozusagen auf Biegen und Brechen, einen Tanzpartner aufgabeln wollte. Grundsätzlich falsch war diese Annahme ja auch wieder nicht.

      So ganz genau weiß ich es nicht mehr. Aber zwei oder gar drei Wochen nach meinem spektakulären Friseurunfall und nach einem partnerlosen Kursabend, stand er eines Abends vor meiner Tür und läutete zaghaft daran an. Ich öffnete sie und bat ihn auch gleich herein. Mit einem spitzbübisch inszenierten, offenbar durchgeprobten Mienenspiel versuchte er von mir herauszukitzeln, ob das Gerücht, ich würde einen Tanzpartner brauchen, auch stimmt. Angeblich wurde bereits im Ort über diese Sensation allgemein herumpalavert.

      Ich, die Schani, sucht einen Mann! Na bravo!

      Lange Rede kurzer Sinn: Nikolaus Froschkopf war bereit, mit mir in die tiefgründige Ungewissheit eines Volkstanzkreises zu hüpfen. Ja bitteschön, das Hüpfen wurde später auch zu einem Schlagwort. Viele andere, mir bislang unbekannte Ausdrücke sollten folgen.

      Mein lieber Spitz! Hast Du vielleicht in Deinem bisherigen Leben schon einmal etwas über aschling gehört? Stell Dir das vor, ich auch noch nie. Aschling, so hat man mir zu übersetzen und aufzuklären versucht, sei genau das Gegenteil von vichigeh, nur ein bisschen anders. Aschling wird in der volkstümlichen Tanzsprache häufig bei der Gestaltung von verwickelten, ja bisweilen auch verzwickten und kniffligen Ganzkörperverformungen verwendet. Wobei die Wirbelsäulenhauptbelastungen der angeblich gesunden gymnastischen Verrenkungen überwiegend aufs Dirndl fokussiert sind. Dirndl - war mir auch neu. Stell Dir vor, ich bin mit meinem Plus-Sechzig plötzlich a Dirndl und der Froschkopf a Bua.

      Um diesem Begriff bei den Tanzfiguren gerecht zu werden, genügt es auf keinen Fall nur nach rückwärts zu stolpern. Jetzt kapiere ich auch schön langsam, warum es anscheinend verpflichtend ist, einen Allgemeinmediziner, zumindest in Rufbereitschaft, in der Nähe zu wissen. Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint.

      Ich wollte nur anmerken, dass der Bua, also mein Froschkopf, gleich nach dem leise herausgebrüllten Kommando der Tanzlehrer und Lehrerinnen - aschling außi - aschling außi - er sich so tief wie nur irgendwie möglich hinunterbücken muss. Dabei dürfen seine Fußspitzen keinesfalls mit der Tanzpartnerin, also mit mir, und auch nicht mit seiner eigenen Nase in Berührung kommen. Erst dann darf man mit dieser unmenschlichen Haltung nach rückwärts ausbrechen. Am Schluss soll man auch durchbrechen, um nicht in der Verzweiflung zusammenzubrechen.

      Damit man in der Folge dann auch getrost durchatmen kann, darf man laut gültigem Regiebuch im Anschluss jene aufrechte Haltung einnehmen, die man seit vielen Generationen ungeniert als einen Erfolg der Evolution sowie als ein angestammtes Eigentumsrecht betrachten kann. All diese Befehlsgewalten gibt die Musik vor. Und das musst du erst einmal kapieren.

      Viel schlimmer, so dachte ich am Anfang meiner Volkstanzkarriere, kann es beim besten Willen nicht mehr kommen.

      Dass Du Dich aber nicht täuschest, lieber Freund! Das Aschlinggehen war erst der Anfang aller Erbarmungslosigkeiten, die ich als Frischgefangene mit gewisser weiblicher Bürde und mit Stolz erhobenen Hauptes miterleben durfte. Kein Wunder also, dass meine Haupthaare auf der linken Schädelseite wesentlich schneller gewachsen sind, als die orangen Flecken auf der genau gegenüberliegenden Stelle. Das hatte mir damals mein Hausarzt auch gesagt, alles unterliegt einer Veränderung, sogar die Haare am Kopf. Und recht hat er gehabt.

      Ich wollte Dir aber, weil ich gerade dabei bin, noch einiges übers Volkstanzen im Kreis unserer Volkstanzgruppe erzählen. Mein Gott, da gibt es Tänze, sag ich Dir, das glaubst du nicht. Der Knödeltanz zum Beispiel oder die heimtückische Schlawina-Polka, ein Kunstwerk aus den Alpen. Der Drah-di-Waschl ist ein Tanz, in dem eine Figurenvielfalt innewohnt, an der selbst so mancher Jedermann Darsteller vor dem Dom zu Salzburg der Verzweiflung etwas näher kommt, als der Teufel es eigentlich sein müsste.

      Aber schau, mein Tanzpartner, der Nikolaus Froschkopf, ist ja mit einer Begeisterung bei der Sache. Außerdem ist er schon entsprechend vorbelastet. Volksgetanzt ist er schon als unverheirateter Jugendlicher. Und gelernt ist eben gelernt! Auch die unmöglichsten akrobatischen Verformungen, die er seinen noch halbwegs intakten männlichen Körper hin und wieder aussetzen muss, sind für ihn kaum dramatisch. Bei mir war es schon ein wenig anders.

      Und Walzertanzen kann der, sag ich Dir. Dabei wird mir immer ein wenig schwindelig, weil ich dabei immer noch, zwar lautlos, eins-zwei-drei zählen muss. Ein Walzer mit vier Schritten geht sich angeblich mit den Takten der Musi net aus, sagen meine Tanzlehrer.

      Heute und jetzt blicke ich mit einer heimlichen Freude auf die vergangenen Kurse und den einzelnen Veranstaltungen zurück, aber gleichzeitig freue ich mich schon wieder auf die kommenden Lektionen.

      Von einem Wechselschritt oder von einem Zwiefachen hast Du wohl auch noch nie etwas gehört? Stimmt’s oder habe ich recht? Als Frau war ich selbstverständlich noch niemals nie beim Militär nicht. Klar habe ich mir schon einige Paraden im Fernsehen angeschaut. Klar weiß ich auch über einen Gleichschritt Bescheid. Mein Lieber, aber von einem Wechselschritt wurde mir niemals etwas eingetrichtert. Das alles, und noch viel mehr, galt es zu lernen.

      Also pass obacht!

      Um erst das Aschling zu üben, suchte ich mir einen unsymmetrisch gemachten Stacheldrahtzaun, irgendwo zwischen Kaprun und Piesendorf. Nein, nein, genauere Ortsangaben