Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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ruhigen Phase, denn beim Essen spricht man ja nicht, das haben wir alle schon sehr früh im Leben gelernt, da brach ich eines der zwölf Gebote des Schweigens. Und niemand hörte mir zu!

      Da bin ich vollkommen bei Dir. Man kann sich in so einem verbal gelenkten Kunstwerk der Sinne nicht sofort zurechtfinden. Mir gelänge es ebenso nicht, wenn ich nicht vor Jahren einen Kurs besucht hätte. Eigentlich wäre es ein Seminar für Schweigsame gewesen. Leider nahmen zu viele Frauen daran teil. Kaum eine von ihnen war, im Gegensatz zu mir, für ein langanhaltendes Schweigen, so knapp unter fünf Minuten, durchtrainiert.

      Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich Dir gleich verkünden werde, wer von den ganz Großen von Politik und Kultur an diesem Schweigeseminar teilgenommen hatte. Im Nachhinein war mir auch klar geworden, warum es vor Jahren einen Schweigekanzler bei uns in der Regierung gegeben hatte. Dieser Mann kommt angeblich jedes Jahr immer noch zu derartigen Exerzitien ins Haus der Unbarmherzigen. So eine Beinahedressur dauert ziemlich genau eine Woche. Danach hast Du bei gutem Wind und Regenwetter das Schweigen erlernt. Nur Freundschaften, was ich darunter verstehe, kann man in so einer Anstalt für Redefaule nicht knüpfen. Das wäre vergebliche Liebesmüh.

      Du hast schon recht. In Wahrheit gibt es nur elf Gebote. Doch das Zwölfte wurde von Verfassungsexperten hinzugedichtet und soll quasi nur einen Versuch einfangen. Jenen Versuch nämlich, schweigen zu wollen und dem Nichtgelingen Fußfesseln anlegen zu dürfen. Dieses zwölfte Gebot wurde uns in dem Seminar von einigen weltabgewandten Klosterinsassen derart auf brutale Weise eingetrichtert, sodass einem die Lust und die Luft zum Reden schlussendlich vergangen sind.

      Ich weiß auch nicht, welcher Teufl mich geritten hatte, so ein Seminar zu besuchen, wo ich doch ein leut- und redseliger Typ bin. Ich mache immer noch gerne meinen Schnabel auf, auch wenn nichts Gescheites dabei rauskommt.

      Zugegeben, die Billa-Reisen-Angebote waren einst ein Schnäppchen gewesen. Den seinerzeit gewonnenen geistigen Wertzuwachs habe ich längst in das Regal der schweigsamen Vergangenheit eingeordnet.

      Und das war´s. Weil ich bin ja nicht zum Kaffeetratsch gekommen, nur um so dazusitzen und zu schweigen. Nein! Ich hatte ja Grund zum Feiern. Keinen Nichtgeburtstag. Schon etwas Anständiges. Nicht einmal Dir habe ich es erzählt, obwohl ich Dich nie von Neuigkeiten ausschließen würde. Schon gar nicht bei einer epochalen Entscheidung.

      Auch für meine Freundinnen wird es eine Überraschung werden, darauf kannst Du einen Schluck aus meinem Kaffee riskieren.

      Also pass obacht! Anfangs Mai ist es gewesen. Schuld war wieder einmal so ein Werbeprospekt und der neue Busfahrplan. Na ja, ich wollte mobiler werden. Jedenfalls für ultrakurze Strecken, wie zum Beispiel in unserem zirka fünfhundert Meter weit entfernt gelegenen dorfeigenen Supermarkt.

      Immer mit dem Bus oder mit der Bahn fahren geht schon aus organisatorischen Gründen nicht. Zum einen gibt es für den Bus in der Nähe meiner Wohnung gar keine Haltestelle nicht und Schienen, die für den Eisenbahnbetrieb unumgänglich sein sollen, schon gar nicht.

      Dann kam eines Tages eben ein Werbeprospekt. Günstig. Das Wort stand ganz groß vorne drauf! Alles, was auf dem doppelseitigen Plakat abgedruckt gewesen war, war um fünfzig Prozent verbilligt. Schuhe, Socken, Jacken, Mützen und Fahrräder. Toll! Schuhe, Socken, Jacken oder Mützen wollte ich nicht. Aber ein Fahrrad schon. Das Elektrische auf dem Plakat sollte es sein. Das hat mir auf Anhieb gefallen. Als besonders Zuckerl wurde die Zustellung frei Haus angepriesen!

      Ich bestellte mir also das supermoderne E-Bike mit zwölf Gängen, zwei Notbremsen und einer Klingel. Was sage ich! Obendrein als Geschenk gab es noch eine Batterie samt Ladekabeln, speziell isolierte Handgriffe in Rot oder Schwarz sowie eine Fahranleitung in zwölf Sprachen. Das alles zusammen zum einmaligen Sonderpreis von zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro.

      Na ja, jetzt solltest Du Dir bitte einmal mit Deiner inneren Ruhe das Gesicht von der Margot vorstellen, als ich ihr von dem einmaligen Schnäppchen berichtet habe. Ich spare sage und schreibe bei dem Kauf von dem E-Bike zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro. Bitte, wenn das kein Schnäppchen sein soll, was dann. Wenn ich zum Beispiel nur eine Doppelpackung Socken um acht Euro sechsundzwanzig Cent gekauft hätte, wäre der Gewinn viel geringer gewesen. So habe ich, davon war ich anfangs auch fest überzeugt, das Geschäft meines Lebens gemacht.

      Die Margot war ja gar nicht neidisch, als sie meinen tollen weißen fahrbaren Untersatz mit den roten Zierstreifen und einem extra breiten Sattel für meinen - na Du weißt schon für was - aus der Nähe betrachten durfte. Ich habe mir extra rote Isoliergriffe ausgesucht. Geliefert wurden mir aber Schwarze. Egal.

      Margot meinte, dass sie schon längere Zeit von einem E-Bike träume. Aber die Bestellfrist auf dem Werbepapier war leider bereits abgelaufen.

      Margot hatte beim Anblick meines wunderschönen Fahrrades, wie man so schön sagt, Feuer gefangen. Nichtsdestotrotz fuhr sie gleich am nächsten Tag mit ihrem Auto nach Schüttdorf. Bei dem dort ansässigen hochkatholischen Fahrradhändler kaufte sie, rein zufällig, verstehst Du, akkurat dasselbe Modell, wie ich es schon bei mir im Fahrradraum stehen hatte. Bloß in den Farben Gelb und Grau. Allerdings um einen völlig anderen Preis. Der Händler gewährte ihr nämlich einen Sonderrabatt von nur zwanzig Prozent. Dies deshalb, weil es ein Vorjahresmodell gewesen war. Sie bezahlte bar.

      Eigentlich war der Handel das Niederträchtigste an der Geschichte. Denn die Gesamtsumme bei ihrer Rechnung betrug nur tausendsechshundertneunundzwanzig Euro. Und ein Betrug war es obendrein. Die Batterie samt Ladekabel war auch dabei.

      Gekauft ist gekauft! Was soll´s. Der nette Zusteller hat sich für mich Zeit genommen und hat mich obendrein mit dem vorne am Lenker montierten riesigen Display vertraut gemacht. Wochen später hatte ich fast alles wieder vergessen gehabt.

      Margot und ich wollten eigentlich gemeinsame Radausflüge unternehmen, was leider wegen Terminprobleme beiderseits nicht möglich gewesen war. Bitteschön, das war eine hilfreiche Ausrede.

      Doch hier im Caféhaus hatte ich großspurig verkündet, dass ich mit meinem Elektro-Fahrrad bereits die einhundert Kilometer Grenze geringfügig - aber doch - überschritten habe. Hochgerechnet dürfte ich sozusagen mindestens fünfzigmal von der Wohnung zum Einkaufen und zurück geradelt sein. Das ist in meinen Augen zumindest ein Erfolg.

      Erstaunt war ich, als Marianne, wie heißt sie noch? Grillsingerwitsch. Genau! Zu mir gesagt hatte, sie habe auch eins. Anita Reisenhübner folgte dem allgemeinen Chorgesang und erklärte feierlich, sie besitze so ein E-Bike schon über zwei Jahre lang. Was war nun die logische Konsequenz? Das kannst Du Dir nicht einmal in Deinen schönsten Träumen ausmalen.

      Gut! Zwei Wochen später, aber noch im August:

      Meine Damen und Herren. Du erkennst wahrscheinlich in diesem Moment bereits die feierliche Formulierung meinerseits. Wenn ich einmal so überspitzt einleiten muss, dann wird unweigerlich der Ernst neben mir großgeschrieben.

      An dieser Stelle und überhaupt muss ich in meiner Erzählung einen langgezogenen Querstrich anbringen, weil ab sofort übernahmen völlig andere Kräfte meinen Tagesablauf. Die überschlagen sich nämlich, die Kräfte, und dabei treten sie mir ganz schön in die Pedale. Ein hartes E-Bike-Training hätte ich machen sollen. Und eine Einschulung obendrein.

      Wer die vielen Tauerntäler kennt, der weiß, über was ich hier erzähle. Es gibt neben den berühmten großen, auch einige wenige, dafür kleine, vom Fremdenverkehr unberührte Täler. Diese könnte man ohne Weiteres mit gebirgstauglichen Fahrrädern erobern. So steht es jedenfalls in den von der Region aufgelegten Prospekten für Mountainbiker. Und genauso ein hirnverbranntes Unternehmen haben wir vier uns im Caféhaus ausgeschnapst.

      Auf der recht übersichtlich gestalteten Radwanderkarte, die ich vor mir in der Küche schon zum wiederholten Male ausgebreitet hatte, konnte ich ja nichts Besonderes entdecken. Zumindest am Papier - ein flaches rot markiertes Terrain. – Aus!

      Die Anita Reisenhübner war schon öfters beruflich, aber auch privat mit ihrem Mann auf dieser Alm. Nette Wirtsleute bewirtschaften sie. Es werden schmackhafte Jausen angeboten, jedoch das Überdrüber soll aber der weithin verbreitete, mir aber bislang unbekannte Kaiserschmarrn sein. Ist nur ein Scherzerl!